Geschlossene Geschäfte in Wien während des ersten Lockdowns
Reuters/Leonhard Foeger
Neue Empfehlung

Weitere Verschärfungen kündigen sich an

Vor mittlerweile zehn Tagen sind die verschärften Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Kraft getreten. Doch die erhofften Effekte traten noch nicht oder zumindest nicht im erhofften Umfang ein. Angesichts weiter stark steigender Infektionszahlen stehen nun weitere Verschärfungen im Raum. Auch die aktuellen Empfehlungen der Ampelkommission gehen in diese Richtung.

Geht es um mögliche weitere Maßnahmen, herrscht vonseiten der Regierung noch Schweigen. Weder das Kanzleramt noch das Gesundheitsministerium wollten sich am Donnerstag in die Karten blicken lassen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verwies wie schon die Tage zuvor auf den Freitag als Stichtag. „Ich habe immer gesagt, wir werden nach zehn Tagen beginnen zu evaluieren. Wir haben heute Tag zehn“, so Anschober Donnerstagvormittag bei einer Pressekonferenz.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte am Donnerstag noch nichts zu möglichen weiteren Verschärfungen sagen. Die Regierung sei aktuell mit der Evaluierung der gesetzten Maßnahmen beschäftigt, sagte Kurz beim 37. Vorarlberger Wirtschaftsforum. „Sie müssen mir noch ein, zwei Tage Zeit geben“, so der Regierungschef.

Entscheidung bis Samstag?

Dass sich in den kommenden Tagen der „weiche Lockdown“ in eine härtere Variante verwandeln könnte, stand für viele am Donnerstag allerdings außer Zweifel. In zahlreichen Medienberichten war bereits von einem „Voll-Lockdown“ oder einem „harten Shutdown“ zu lesen. Und immer wieder nannten die Berichte Samstag als den Tag, an dem die neuen Verschärfungen auch öffentlich kommuniziert werden sollen.

Was das sein würde, blieb am Donnerstag – ob des Schweigens der Regierung – noch auf Informationen dem Vernehmen nach beschränkt. So liegt etwa nahe, dass neben der Gastronomie und Hotellerie nun auch wieder ein großer Teil des Einzelhandels und der Dienstleistungsbetriebe ihre Türen schließen müssten. Gesundheitsminister Anschober machte am Donnerstag zumindest deutlich, dass er mit Bildern von Menschenmengen in Einkaufszentren und vor Geschäften keine Freude hat.

Ampelkommission: Maßnahmen „möglichst zeitnah“

In Richtung des Schließens von Geschäften und Dienstleistungsbetrieben könnten auch die aktuellen Empfehlungen der Ampelkommission verstanden werden. Das Gremium im Auftrag des Gesundheitsministeriums tagt immer Donnerstagnachmittag. Laut „Oberösterreichischen Nachrichten“ („OÖN“) riet die Kommission der Politik diesmal dazu, „möglichst zeitnah“ zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Konkreter wurden die Empfehlungen nicht, verwiesen wurde aber auf die Ausgangsregeln und Betretungsverbote im Covid-Maßnahmengesetz.

Das dürfte wohl bedeuten, dass aus Sicht der Expertinnen und Experten bei den Ausgangsbeschränkungen, im Handel, bei Dienstleistungen, an öffentlichen Orten oder im öffentlichen Verkehr noch nachgeschärft werden könnte. Die bereits gesetzten „gelinderen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens“ würden „nicht ausreichende Wirkung“ entfalten, zitierte die Zeitung aus dem Beschluss. 18 von 20 Kommissionsmitgliedern hätten zugestimmt, nur eine Fachexpertin und der Vertreter Kärntens hätten sich enthalten, hieß es.

Empfehlung für offene Schulen

In einem anderen Punkt wurde die Kommission in ihren Empfehlungen deutlich konkreter. So sprach sich das Gremium für weiterhin offene Schulen für die unter 14-Jährigen aus – und folgte damit offenbar den Vorschlägen des Bildungsministeriums. Der Beschluss soll einstimmig gefallen sein, lediglich das Bundeskanzleramt soll sich enthalten haben.

Die Empfehlung, die Kindergärten, Volksschulen sowie die Sekundarstufe eins (Zehn- bis 14-Jährige) möglichst lang offen zu halten, bleibe aufrecht, heißt es in dem Beschluss. Bei diesen Betreuungseinrichtungen handle es sich nach den aktuellen Zahlen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) weiter nicht um die Treiber des Infektionsgeschehens.

Schnelltests und Maskenpflicht

Empfohlen werden aber weitere Präventionsmaßnahmen, um auch den Schulbetrieb für die Zehn- bis 14-Jährigen (eine Gruppe mit höherem Infektionsgeschehen als die unter Zehnjährigen) weiterhin zu ermöglichen. Es sollen Antigen-Schnelltests zum Einsatz kommen, die Maskenpflicht für Schüler und Lehrer auch im Unterricht, eine Staffelung der Schulöffnungszeiten, die Nutzung größerer Räume und Sport nur noch im Freien. Die Vorschläge stammen aus einem Diskussionspapier des Bildungsministeriums, das die Kommission laut „Standard“ am Donnerstag einstimmig annahm.

Teil des Papiers sind auch Pläne für ein tageweises, aber auch ein freiwilliges Homeschooling. So sollen die Eltern in Rücksprache mit dem Klassenvorstand entscheiden, ob ihre Kinder weiterhin am Unterricht teilnehmen oder nicht. Klar scheint allerdings auch: In so einem Fall würde die Regelung zur Sonderbetreuungszeit sehr sicher nicht greifen. Wer sein Kind zu Hause lassen will, muss sich das also leisten können.

Breite Front für offene Schulen

Die Frage, ob der Unterricht weiter in der Schule stattfinden soll, war in den vergangenen Tagen heftig diskutiert worden. Dabei wurden die Stimmen, die sich für ein Offenhalten der Schulen aussprachen, von Tag zu Tag lauter.

Schulschließungen: Anschober legt sich nicht fest

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich am Donnerstag nicht festgelegt, ob es CoV-bedingt zu Schulschließungen kommen werde. Die Opposition hat sich jedenfalls gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen.

Nach Kinderärztinnen und -ärzten, IHS und WIFO, der Wirtschaftskammer, NGOs und der Opposition sprachen sich am Donnerstag unter anderen auch Bildungsexpertinnen und -experten, die Industriellenvereinigung, die Arbeiterkammer und die Bundesjugendvertretung dafür aus, den Unterricht so lange wie möglich an den Schulen stattfinden zu lassen. Freilich: Als letzte Möglichkeit wurden die Schulschließungen auch in vielen dieser Stellungnahmen nicht ausgeschlossen.

Steigende und ungenaue Zahlen

Die Entscheidung, welche Verschärfungen tatsächlich umgesetzt werden, liegt offiziell beim Gesundheitsminister. Der steht gemeinsam mit der restlichen Regierung ob der aktuellen Infektionszahlen jedenfalls unter Zugzwang. Zwar ging ein Teil der am Mittwoch und Donnerstag gemeldeten Neuinfektionen auf verspätete Eingaben aus den Tagen zuvor zurück. Doch auch wenn man diese Fälle abzog, blieb bei Verwendung der Zahlen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) etwa am Mittwoch immer noch ein Wert deutlich jenseits von 8.000 Neuinfektionen über.

Eine deutliche Abflachung der Kurve, wie sie eigentlich für diese Tage erwartet wurde, ließ sich darin noch nicht erkennen. So blieb auch die 7-Tage-Inzidenz – also jener Wert, der die laborbestätigten Fälle pro 100.000 Einwohner der letzten sieben Tage abbildet – weiter deutlich jenseits der 500.

Überdies stoßen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die versuchen, mit ihren Modellen den Verlauf der Pandemie vorzuzeichnen, ob ungenauer Daten zunehmend an ihre Grenzen. Dass zuletzt viele Tests in großer Zahl nachgemeldet wurde, ist etwa für Modellrechner Stefan Thurner eine „drastische“ Ungenauigkiet. Er ist mit dem Complexity Science Hub Vienna (CSH) Teil des Covid-Prognosekonsortiums des Gesundheitsministeriums – mehr dazu in science.ORF.at.

Appell von Spitalsärzten

Auch aus den Spitälern war am Donnerstag wenig Erfreuliches zu vernehmen. Derzeit befinden sich 3.719 Erkrankte in Spitalsbehandlung, 536 davon auf der Intensivstation. In Tirol richteten sich Krankenhausärzte in einem YouTube-Video mit einem Appell an die Bevölkerung. Sollten die Neuinfektionszahlen nicht bald nach unten gehen, müsse man "bald anfangen zu entscheiden, wer kommt noch auf ein Intensivbett und wer nicht“, hieß es darin etwa – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Infektiologe Weiss zur Situation in Spitälern

Günter Weiss, Direktor der Uniklinik für Innere Medizin, spricht über die aktuell kritische Situation in den Spitälern.

In der ZIB2 wies auch der Direktor der Innsbrucker Uniklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, noch einmal eindringlich auf die sich zuspitzende Situation in den Spitälern hin. Viele Krankenhäuser näherten sich bereits ihren Kapazitätsgrenzen. Zugleich stehe außer Frage, dass die Zahl der Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus oder auf der Intensivstation behandelt werden müssten, noch weiter steigen werde, so Weiss.

Rückgang bei Mobilität weniger stark als im Frühjahr

Dazu kamen am Donnerstag aktuelle Bewegungsdaten von Google, die zeigten, dass der Rückgang der Mobilität durch die derzeitigen Maßnahmen deutlich weniger stark ausfiel als während des Lockdowns im Frühjahr. Zwar fiel die Besucherzahl in Restaurants, Einkaufszentren und Unterhaltungseinrichtungen um bis zu 67 Prozent. Im März und April betrug der Rückgang allerdings bis zu 90 Prozent. Die Wiener Linien vermeldeten am Donnerstag einen Rückgang der Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent. Im Frühjahr waren allerdings um bis zu 80 Prozent weniger Passagiere in den U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen unterwegs – mehr dazu in wien.ORF.at.

In Oberösterreich gelten bereits ab Freitag strengere Vorschriften in Einkaufszentren und Markthallen: Es ist nicht mehr erlaubt, dort zu verweilen oder Essen zu konsumieren. Ausnahmen gelten nur für Kinder oder in gesundheitlichen Notfällen. Hintergrund waren Menschenansammlungen vor Lokalen, die zwar geschlossen sind, aber Take-away anbieten. Laut der Verordnung darf man die allgemeinen Bereiche von Malls nur mehr betreten, um zu den Geschäften und Dienstleistungsbetrieben zu gelangen. Analoges gilt auch für Bahnhöfe – ausgenommen sind Reisende, die ihren Reisezweck allerdings bei Kontrollen glaubhaft machen müssen.