Stadtansicht der finnischen Hauptstadt Helsinki
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Finnland

Orange-grüne CoV-Insel im roten Europa

Während über Schwedens „Sonderweg“ in der CoV-Pandemie abwechselnd als positives und negatives Beispiel berichtet wurde, hört man wenig aus Finnland. Das skandinavische Land ist mittlerweile das einzige, das auf der EU-CoV-Ampel nicht ganz oder teilweise auf Rot geschaltet ist. Medienberichten zufolge ist die Erklärung dafür recht schlicht: Die Akzeptanz der Maßnahmen ist genauso hoch wie die Bereitschaft der Finnen, ihre Kontakte zu reduzieren.

Nach einem harten Lockdown im März und einem halbwegs stabilen Sommer hat die zweite Pandemiewelle die Welt fest im Griff. Mit unterschiedlich strengen Lockdown-Maßnahmen reagieren die EU-Länder auf den Anstieg der Neuinfektionen. Generell hat sich in den vergangenen Pandemiemonaten gezeigt, dass sich die Verhältnisse schnell ändern können und ehemalige Musterschüler wie Österreich auch an die Grenzen des Gesundheitssystems stoßen können.

In Finnland scheint man die Zahlen derzeit aber verhältnismäßig gut im Griff zu haben: Die oft zum Vergleich herangezogene Zahl der Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen pro 100.000 Einwohner (7-Tage-Inzidenz) liegt dort derzeit bei rund 30. Zum Vergleich: Im Nachbarland Schweden liegt dieser Wert aktuell bei etwa 280, in Österreich bei über 500.

Laut Onlineplattform Euractiv sieht der Chefepidemiologe des finnischen Gesundheitsministeriums, Mika Salminen, den Gipfel der Neuinfektionen in der zweiten Welle bereits überschritten: „Die Situation sah besorgniserregend aus, als ein schneller Anstieg der Neuinfektionen im Oktober zu verzeichnen war“, so Salminen.

Grafik zur EU-Coronavirus-Ampel
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ECDC

Finninnen und Finnen finden neue Lebensrealität positiv

Die Hauptstrategie der Regierung zielt auf konsequentes Testen und Contact-Tracing ab. Die CoV-App der Regierung, „Corona Flash“, wurde in dem 5,5-Mio.-Einwohner-Land bereits 2,5 Mio. Mal heruntergeladen. Die geltenden Maßnahmen und Empfehlungen der Regierung werden von weiten Teilen der Bevölkerung freiwillig umgesetzt und befolgt. Einer Umfrage im Auftrag des EU-Parlaments zufolge sehen 23 Prozent der Finninnen und Finnen die Auswirkungen der Maßnahmen sogar als positiv für ihr Leben an. Im EU-Vergleich ist das der höchste Wert.

Verglichen mit anderen Ländern fiel den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Finnland der Wechsel ins Homeoffice leicht. Das liegt daran, dass Teleworking längst fix verankert ist. „Die Wirtschaft ist so strukturiert, dass ein Großteil der finnischen Arbeitskräfte nicht notwendigerweise am Arbeitsplatz sein muss“, so Nelli Hankonen, Psychologieprofessorin an der Universität Helsinki, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Die EU-weit niedrigste Bevölkerungsdichte (16,3 Menschen pro Quadratkilometer – zum Vergleich: in Österreich beträgt dieser Wert 105,8) ist diesbezüglich ebenfalls vorteilhaft.

Wochenmarkt in Helsiniki
APA/AFP/Markku Ulander
Masken sind in Finnland in vielen Bereichen empfohlen, aber nicht verpflichtend

„Wir sind nicht so gesellig“

Hankonen betont auch, dass die finnische Mentalität eine Rolle spiele: „Wir sind nicht so gesellig, sind gern alleine und ein bisschen isoliert.“ Dem steht allerdings eine OECD-Studie zu den Auswirkungen der CoV-Maßnahmen gegenüber, die zu dem Ergebnis kommt, dass einer von fünf Menschen in Finnland psychische Auswirkungen der Krise spürt – damit ist das Land in dieser Studie EU-Spitzenreiter. Für Hakonen liegt das daran, dass durch die Kontaktreduktion die Chance auf gegenseitige soziale Unterstützung gesunken ist.

Eine der Hauptmaßnahmen in vielen anderen Ländern, die Pflicht, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften und an anderen stark frequentierten Orten einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist in Finnland eine reine Empfehlung. Bis zum Spätsommer spielten Masken überhaupt keine Rolle, laut Salminen ist die Evidenz für die Effizienz von MNS nicht besonders stark – „aber auch kleine Erweiterungen unseres Handlungsspielraums gegen die Krise sind gerechtfertigt“.

In Sachen Teststrategie geht Finnland innovative Wege. Im Flughafen Helsinki-Vantaa werden seit September Hunde eingesetzt, die CoV-positive Passagiere erschnüffeln sollen. Laut der Projektleiterin Anna Hielm-Björkman, Dozentin an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Helsinki, liegt die Erfolgsrate der vier in Biodetektion geschulten „Covidogs“ bei über 94 Prozent und soll sogar den Erfolg von PCR-Tests übertreffen.

CoV-Suchhunde am Flughafen in Helsinki
APA/AFP/Antti Aimo-Koivisto
„Covidogs“ erschnüffeln CoV-infizierte Passagiere im Flughafen Helsinki-Vantaa

Wer derzeit nach Finnland einreist, braucht mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem einen negativen PCR-Test. Dieser ist für Einreisende aus allen Ländern mit einer Inzidenz von über 25 neuen CoV-Fällen pro 100.000 Einwohner in den letzten 14 Tagen (14-Tage-Inzidenz) Pflicht. Aus Österreich und anderen Risikogebieten ist derzeit die Einreise beschränkt möglich – etwa für dienstlich notwendige Reisen, für Studierende und für Familienbesuche. Auch sie unterliegen der zehntägigen Quarantänepflicht, diese kann jedoch nach 72 Stunden mittels PCR-Test aufgehoben werden.

Ministerpräsidentin hofft auf EU-weite Strategie

Laut der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin könnten die Reisebeschränkungen nur auf sichere Weise aufgehoben werden, wenn EU-weit Testanforderungen für Passagiere, eine gegenseitige Anerkennung der Tests und effektive und einheitliche Quarantäneverfahren festgelegt würden.

Finnische Premierministerin Sanna Marin
APA/AFP/Francisco Seco
Ministerpräsidentin Sanna Marin wünscht sich einheitliche Regeln für Quarantäne und Tests

„Der einzige Weg, um unsere Wirtschaft zu retten, besteht darin, das Virus zu besiegen“, so Marin im Magazin „Politico“. Europa spüre noch immer die Auswirkungen vorheriger Coronavirus-Restriktionen und könne sich keine langfristige wirtschaftliche Rezession mit daraus resultierenden Firmeninsolvenzen und wachsenden Arbeitslosenzahlen leisten.