Radfahrer während der abendlichen Ausgangsbeschränkung
Reuters//Lisi Niesner
Unterschied zu Frühjahr

Stimmung entscheidet Kampf gegen CoV mit

Die zweite Pandemiewelle überrollt Europa, so wie es viele schon im Sommer befürchtet hatten. Die Sorge vor einer Ansteckung blieb in Österreich hoch, zusätzlich breitete sich jedoch eine Pandemiemüdigkeit aus. Neben anderen Faktoren half aber im Frühjahr auch eine andere Grundstimmung dabei, die Maßnahmen mitzutragen und so die Fallzahlen zu drücken.

Auf dem Höhepunkt der ersten Welle im April verzeichnete Österreich rund 8.000 aktive CoV-Fälle, heute sind es etwa zehnmal so viele. Dennoch scheinen viele die Lage nun anders zu beurteilen als im Frühjahr, obwohl die Angst vor einer Ansteckung weiterhin vorhanden ist.

Zu Beginn der ersten Welle stand der Sommer bevor, mit der Aussicht, Zeit im Freien und auch den Urlaub in Österreich verbringen zu können. Nun steht der Winter bevor, Dunkelheit und Winterdepression kommen dazu. Damals wusste man zudem noch kaum etwas über das neuartige Coronavirus. Im Nachbarland Italien spielten sich Horrorszenarien ab: Särge wurden für alle sichtbar wegen Überlastung auf Militärwagen in andere Krematorien transportiert. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte Ende März: „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist.“ Die Sorge, man selbst oder eine nahestehende Person könnte sich anstecken, war groß. Laut einer Gallup-Umfrage vom März fürchteten sich rund 64 Prozent davor.

Situation im Frühjahr völlig neu

Heute ist viel mehr über das Virus und seine Auswirkungen bekannt, leichte Erkrankungen werden schneller behandelt, bei der Entwicklung eines Impfstoffes wurden große Fortschritte gemacht. Die Furcht blieb dennoch, wie Gallup erst am Donnerstag berichtete. 83 Prozent der Befragten glauben nun, dass die Pandemie nicht unter Kontrolle ist, Angst vor einer Ansteckung haben 57 Prozent.

Grafik zur Entwicklung des Coronavirus in Österreich
ORF.at; Quelle: AGES/EMS

Die Bundesregierung dürfte bald die aktuellen Ausgangsbeschränkungen verschärfen und weitere Verbote erlassen. Im Frühjahr waren die Beschränkungen, die der Verfassungsgerichtshof später als in wesentlichen Teilen gesetzeswidrig kassiert hatte, etwas Neues in Österreich. Sie wurden damals weitgehend eingehalten, und auch für gut befunden. Laut einer Umfrage von market Ende März wünschte sich sogar eine Mehrheit höhere Strafen und stärkere Kontrollen. Eine andere Untersuchung zeigte, dass fast 80 Prozent bereit waren, Einschränkungen persönlicher Freiheiten in Kauf zu nehmen im Kampf gegen das Virus. Nur ein kleiner Teil der Menschen konnte den Maßnahmen der Regierung damals gar nichts abgewinnen.

Vor neuen Maßnahmen

Am Samstag wird die Regierung wohl einen ähnlichen Lockdown wie im Frühjahr verkünden. Claudia Dannhauser (ORF) analysiert.

Mehr Mobilität als im Frühjahr

Derzeit scheinen die aktuell geltenden Maßnahmen weniger große Auswirkungen zu haben. Die Bewegungsdaten, die Google am Donnerstag veröffentlichte, zeigen zwar einen Rückgang der Mobilität in Österreich. Allerdings ist der Einbruch deutlich weniger stark als im März. Das zeigt sich sowohl bei den Aktivitäten in der Freizeit sowie besonders stark bei Arbeitsstätten. Aktuell gehen viel mehr Menschen wieder in die Arbeit als noch im ersten Lockdown.

Grafik zur Mobilität in der Coronavirus-Krise
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Google

Eine aktuelle Studie der Uni Wien gibt Aufschluss darüber, was sich in der Stimmung der Menschen zwischen erstem und zweitem Lockdown verändert hat: Dazu wurden im April und im Oktober dieselben 80 Menschen zu ihrem Alltag in der Pandemie und ihren Ansichten befragt. Die Untersuchung zeigte, dass sich eine Art Pandemiemüdigkeit breitmachte.

Im Frühjahr hatten noch viele Befragte von einem neuen Gefühl des Zusammenhalts der Gesellschaft berichtet, etwa von Unterstützung für Nachbarn, Freunde und Bekannte. Nicht nur die Zustimmung zu den Maßnahmen war hoch, auch die empfundene Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft – und zwar auch von jenen, die Zweifel an der Wirkung oder Verfassungskonformität hatten. Es gab die Hoffnung, dass das Schlimmste bis zum Sommer ausgestanden sein würde, und so mancher hoffte sogar, dass die Krise zu einem nachhaltigeren Lebensstil der Menschen führen könnte.

Interesse ging zurück

Bei den Interviews im Oktober, noch vor den derzeit geltenden Maßnahmen, war von dieser hoffnungsvollen Stimmung nicht mehr viel übrig. Die Ermüdung, sich mit der Pandemie zu befassen, führe dazu, dass das Interesse an der Pandemieentwicklung zurückgegangen sei. Auch habe die Polarisierung der Gesellschaft zugenommen, so die Studie, etwa zwischen Menschen mit unterschiedlicher Einstellung gegenüber den Beschränkungen.

Der dringende Rat der Studienautorinnen und -autoren lautet: Die Politik müsse Gründe und Grundlagen für Maßnahmen – trotz des sich schnell ändernden Wissensstandes – klarer kommunizieren. „Unschlüssige Begründungen von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung führen nämlich zu Unverständnis bis hin zu Widerstand, wie die Interviewstudie zeigt. Viele Befragte würden sich wissenschaftliche Belege wünschen, welche Maßnahmen etwas bringen.“ Es sei für viele nicht nachvollziehbar, warum etwa an manchen Orten strenge Maskenpflicht herrsche, an anderen gleich stark frequentierten Orten aber nicht.

Dennoch ist ein großer Teil der Bevölkerung weiterhin mit an Bord. Immerhin noch eine Mehrheit bewertete diese Woche laut einer Befragung von Unique research für „profil“ die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen als angemessen. Ein Drittel (33 Prozent) findet sie allerdings übertrieben. Der zweite Lockdown ist für insgesamt 42 Prozent allerdings ein Zeichen dafür, dass die Regierung die Kontrolle über die Pandemie verloren hat.

Mithilfe entscheidend

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) betonte immer wieder die Bedeutung der allgemeinen Mitarbeit. Ob Maßnahmen greifen, „entscheidet jeder selbst“, so Anschober. „Jetzt brauchen wir euch. Jeder ist Teil der Lösung im Wettlauf mit der Zeit.“ Auch Medizinerinnen und Mediziner appellieren nachdrücklich, mitzuhelfen. Die Lage in den Spitälern sei schon jetzt ernst, in den kommenden Wochen werde sie sich noch verschärfen. Viele Operationen werden bereits jetzt verschoben – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Dass die Mitarbeit der Menschen essenziell ist, zeigte eine Studie, die vom Londoner Imperial College nach dem ersten Lockdown erstellt wurde und im Juni im Fachblatt „Nature“ veröffentlicht wurde. Die Forschenden stellten damals fest, dass die Maßnahmen im Frühjahr in elf europäischen Ländern inklusive Österreich insgesamt etwa 3,1 Millionen Todesfälle verhinderten. Der Lockdown habe eine Kontrolle des Pandemieverlaufs ermöglicht. Zu Beginn der Pandemie habe die Reproduktionszahl im Schnitt der untersuchten Länder bei 3,8 gelegen. Zehn Infizierte steckten also im Mittel 38 weitere Menschen an. In allen Ländern sei die Reproduktionszahl infolge der ergriffenen Maßnahmen auf unter eins gesunken.