Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin,  Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), und Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG)
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„Jetzt vollkommen ausgelastet“

Experten warnen vor Triage

Im Vorfeld der Bekanntgabe neuer Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durch die Bundesregierung haben sich am Samstag Expertinnen und Experten an die Bevölkerung gewandt. Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM), bezeichnete das heimische Gesundheitssystem als „jetzt vollkommen ausgelastet“. Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), warnte vor einer Triage.

Triage bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte entscheiden müssen, wer intensivmedizinisch behandelt werden kann, da nötige Ressourcen nicht mehr für alle Patientinnen und Patienten ausreichen – also im Notfall auswählen müssen, wen sie retten können. „Wir werden beginnen müssen, in welchem Umfang wir welche Patienten behandeln können“, warnte Markstaller im Vorfeld und ergänzte mit Blick auf die steigenden Coronavirus-Neuinfektionen: „Wenn es in den nächsten Tagen in dieser Geschwindigkeit weitergehen sollte.“

Bisher habe es in Österreich nie die Situation gegeben, dass mehr Betten gebraucht würden als vorhanden seien, so Markstaller. Das könnte bald anders sein, und das bereite ihm „ernste Sorge“, so der ÖGARI-Präsident. Neben dem technischen Gerät, Respiratoren, Schutzausrüstung und so weiter sei die „wirkliche Limitation“ das ärztliche Fachpersonal, erklärte Markstaller weiter.

Es werde schon jetzt medizinisches Personal, das nicht unbedingt intensivmedizinisch geschult sei, auf Intensivstationen arbeiten müssen. „Wir sind an der Grenze, wo solche Dinge passieren“, warnte der Mediziner. Vieles könne man ausgleichen, aber Personal zu verschieben sei keine Lösung auf Dauer. Derzeit sind 567 von 2.000 Intensivbetten bereits mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten belegt.

„Nicht die kleine Schwester der Grippe“

Markstaller mahnte die Bevölkerung, die Maßnahmen wie Abstandhalten, Masketragen, Händewaschen und das Einschränken der Sozialkontakte ernst zu nehmen. „Leben Sie diese Bitte“, so der ÖGARI-Präsident. „Das ist nicht die kleine Schwester der Grippe. Das ist nicht die Wahrheit. Wir haben volle Intensivstationen, wir gehen in ein veritables Problem. Wir müssen das Gesundheitssystem schützen, damit wir alle, die es nötig haben, versorgen können.“

Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin Susanne Rabady
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Rabady ermutigte die Menschen, sich bei Symptomen unbedingt testen zu lassen

Auch Rabady unterstrich die dramatische Situation. Man sei zwar so gut vorbereitet gewesen, „wie man nur sein kann“, aber das Gummiband reiße irgendwann. Das dürfe nicht auf Kosten des Gesundheitspersonals gehen. Rabady erinnerte außerdem daran, dass nicht jede Covid-19-Infektion gleich verlaufe. Einige Infizierte zeigten gerade zu Beginn keinen Husten, sondern eher Glieder- und Kopfschmerzen sowie Halskratzen und Niedergeschlagenheit.

Einfach zu Hause bleiben, ohne sich testen zu lassen, reiche nicht. Daher appellierte sie: „Es gibt nur eine Möglichkeit, man muss einen Test machen.“ Außerdem müssten die Behörden schnell herausfinden können, wen Infizierte weiter angesteckt haben, weshalb es wesentlich sei, sich bei Erkrankung zu melden.

Ostermann: Teil-Lockdown zu wenig gebracht

Auch eine weitere Sorge äußerte Rabady: Dass Menschen, die andere Beschwerden haben, nicht zum Arzt oder zur Ärztin gehen, zum Beispiel aus Angst vor Ansteckung oder weil sie dem Gesundheitssystem nicht zur Last fallen wollen. Dazu die Ärztin: „Bitte melden Sie sich beim Hausarzt telefonisch. Nicht erst, wenn etwas an der Kante ist.“ Das gelte für alle Erkrankungen. An die chronisch Kranken wandte sie sich ebenfalls. „Passen Sie auf sich auf, Sie gehören zu der Gruppe, die stärker gefährdet ist als andere.“ Allerdings zeigte Rabady auch einen Hoffnungsschimmer auf. Die Pandemie werde – so wie jede zuvor – „vorübergehen“.

Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG), sagte in dem Pressegespräch, der bisherige Teil-Lockdown habe zu wenig gebracht. Wenn man annehme, dass der Anteil der Hospitalisierungen gleich bleibe, dann steige bis Mitte nächster Woche allein die Zahl der Intensivpatienten auf 700, jene der Patientinnen und Patienten auf der Normalstation auf 4.000. „Ein Rückgang der Zahl in den Krankenanstalten kann erst dann erzielt werden, wenn effektiv auch die Neuinfektionen rückläufig sind“, so Ostermann. Er hoffe, in vier bis fünf Tagen eine leichte Entlastung feststellen zu können. „Dazu braucht es eine Reduktion der Neuinfektionen.“