Testsamples in einem Labor
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CoV-Massentests

Freiwilligkeit zeichnet sich ab

Vor dem Ende des Lockdowns im Dezember und vor Weihnachten soll es in Österreich CoV-Massentets geben – das hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der ORF-„Pressestunde“ angekündigt. Details soll es bis Ende der Woche geben. Derzeit zeichnet sich ab, dass die Teilnahme an den Tests freiwillig sein soll.

Vorbild für die Massentests ist die Slowakei. Dort hatte die Regierung alle Bürgerinnen und Bürger zwischen zehn und 65 Jahren aufgerufen, einen CoV-Antigen-Test durchführen zu lassen. 5,5 Millionen Menschen wurden in zwei Runden getestet, 50.000 von ihnen erhielten ein positives Ergebnis und mussten in Selbstisolation. Ganz freiwillig war die Teilnahme nicht: Wer kein negatives Testergebnis vorweisen konnte, war von Ausgangsbeschränkungen betroffen und durfte nicht in die Arbeit gehen.

In Österreich soll das anders sein. „Freiwilligkeit ist geplant“, sagte Kurz am Montag nach einem Telefonat mit dem slowakischen Regierungschef Igor Matovic. Es sei ein Angebot an jene, die sich keine teuren PCR-Tests im Labor leisten könnten. Er glaube, dass viele Menschen die Tests in Anspruch nehmen werden, auch um sicherzugehen, dass sie etwa zu Weihnachten keine Familienangehörigen anstecken. Die Maßnahme ersetze aber keine Teststrategie wie etwa im Pflegebereich.

Testsamples in einem Labor
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Warten auf das Ergebnis: In der Slowakei wurden in zwei Runden insgesamt 5,5 Mio. Menschen auf CoV getestet

Kurz kündigte Ende der Woche weitere Details an. Der Fokus werde am Anfang auf bestimmten Zielgruppen liegen. Er nannte konkret Lehrerinnen und Lehrer. Das Ziel sei aber, danach breitere Bevölkerungsgruppen zu testen. Die Pläne seien mit dem Gesundheits- und Verteidigungsministerium abgestimmt. „Wir ziehen an einem Strang.“

Unterstützung des Bundesheers

Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) pocht bei den Massentests auf Freiwilligkeit. „Es muss ein freiwilliges Programm sein“, sagte Anschober am Montag im Ö1-Morgenjournal. Am Sonntag hatte sich Anschober zurückhaltend zu Kurz’ Vorstoß geäußert: „Wir sind derzeit mitten im Arbeitsprozess über die Vorgehensweise nach dem Lockdown. Ein wesentlicher Teil davon können Massentests sein. Inhalte, Zielgruppen und weitere Vorgehensweise werden aktuell in Expertengespräche definiert“, hielt der Minister gegenüber der APA fest.

Unterstützung bei der Durchführung der Massentests wird es vom Bundesheer geben. Die entsprechenden Planungen haben laut Verteidigungsministerium am Montag begonnen. „Das Verteidigungsministerium hat in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und dem Gesundheitsministerium mit den Planungsarbeiten begonnen. Wie die Massentestungen konkret aussehen können, wird Ende der Woche präsentiert“, teilte Ministerin Klaudia Tanner (ÖVP) mit.

Testsamples in einem Labor
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Für die Organisation der Tests zeichnete in der Slowakei das Militär verantwortlich – hierzulande soll das Bundesheer mithelfen

In der Slowakei wurden die Massentests vom Militär organisiert und durchgeführt. 30 Armeeangehörige aus Österreich haben auf Ansuchen der Slowakei dabei geholfen und wertvolle Erfahrungen gesammelt. „Wir konnten so erste Erfahrungen sammeln und sind seitdem im Austausch mit den dortigen Behörden“, sagte Tanner.

Pflichttests bräuchten Rechtsgrundlage

Für verpflichtende Massentests ist nach Ansicht von Verfassungsjuristen wohl eine gesetzliche Grundlage nötig. Man müsste sich anschauen, ob das Epidemiegesetz das hergebe, sagte der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Für Peter Bußjäger, Uniprofessor am Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre in Innsbruck, bräuchte es jedenfalls eine hinreichende gesetzliche, verfassungskonforme Grundlage, sollten die Tests verpflichtend sein, wie er auf Twitter darlegte.

Zwar wären Screening-Programme für einzelne Berufsgruppen möglich, aber wie im Epidemiegesetz festgeschrieben ist die Teilnahme nur mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Personen gemäß Datenschutz-Grundverordnung zulässig.

„Strategie, die funktionieren kann“

Der Wissenschaftler Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) nannte Massentests „prinzipiell eine Strategie, die funktionieren kann, wenn sie richtig gemacht wird“. Anders als beim PCR-Test, wo ein Vorhandensein des Virus nachgewiesen wird, könne man mittels Antigen-Tests die Infektiosität einer Person bestimmen.

„Wenn man diese Tests in der Breite regelmäßig anwendet, kann man diese hochinfektiösen Personen frühzeitiger isolieren und damit – so die Theorie – dieses Wachstum abbremsen“, sagte Klimek in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“. Die Zeitspanne, in der man infektiöse Menschen mittels Antigen-Tests ermitteln kann, ist allerdings kurz. Daher sei die „Frequenz wichtig“, so Klimek.

„Im Zentrum“ zum neuerlichen Lockdown

Der neuerliche, ab Dienstag geltende Lockdown und die Strategien für die Zeit danach waren am Sonntag Thema in der Diskussionssendung „Im Zentrum“.

Die neueren Antigen-Gests seien „erstaunlich gut“, sagte die Virologin Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck. Antigen-Tests, die eine höhere Viruslast nachweisen können, hätten mittlerweile eine Sensitivität von 90 Prozent, sagte die Medizinerin in der Sendung „Im Zentrum“. Dass sich jeder den Test „wie bei einem Schwangerschaftstest“ hole und ihn zu Hause durchführe, sei nicht möglich. Man müsse das Protokoll sehr genau befolgen, sonst gäbe es einen „sehr hohen Anteil“ an falsch positiven Ergebnissen. Daher sei es derzeit vorgeschrieben, dass nur medizinisches Personal Antigen-Tests durchführen dürfe.

„Großes Experiment“

Für den Mikrobiologen Michael Wagner von der Universität Wien könnte ein Massentest als eine Art „Wellenbrecher“ fungieren. Auf jeden Fall wäre ein solches Programm ein „großes Experiment“, wie er der APA sagte. Zunächst stellt sich laut Wagner die Frage der Testmethode. Antigen-Schnelltests seien vermutlich im ausreichenden Maß vorhanden. Sie haben jedoch den Nachteil einer eingeschränkten Genauigkeit. Wichtige Fragen müsse man sich auch zur Logistik stellen. Wagner: „Man will ja vermeiden, bei solchen Testungen viele Leute zusammenzubringen.“

Bei derartigen Maßnahmen handle es sich natürlich um eine einmalige Intervention. So etwas mehrfach zu wiederholen sei sicher schwierig. In der weiteren Folge brauche es eine kluge Teststrategie, die Bereiche wie das Gesundheitssystem, die Altersheime und Schulen und Co. absichere, so Wagner: „Das kann kein populationsweites Screening sein, das man dann so und so oft wiederholt.“

Viele falsch Positive

Wird tatsächlich mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung getestet, ist auch davon auszugehen, dass der allergrößte Teil keine Infektion aufweist. Rein statistisch gesehen kommt es bei derart vielen Tests zu falsch positiven Ergebnissen – besonders bei den weniger genauen Antigen-Tests. „Damit kann man wahrscheinlich irgendwie leben, man muss sich dessen nur bewusst sein.“ Wenn einzelne Getestete fälschlich in Quarantäne müssen, sei das zwar im Einzelfall höchst unangenehm, im Vergleich zum Preis der Pandemie jedoch nicht so schlimm. Es sei aber insgesamt schade, dass der Sommer nicht zur Planung solcher Aktionen genutzt wurde, so Wagner.

Auch Gerald Gartlehner, Experte für evidenzbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems, wies am Montag im Ö1-Mittagsjournal auf das Problem falsch positiver Antigen-Schnelltests hin: Bei geschätzten rund fünf Millionen Tests österreichweit könnten rund 150.000 falsch positive Ergebnisse herauskommen. Man müsse daher „sehr genau abwägen, ob das wirklich Sinn macht“, so der Wissenschaftler, der Massentests in der Gesamtbevölkerung skeptisch gegenübersteht.

Popper verweist auf richtigen Zeitpunkt

Aus Sicht des Simulationsforschers Niki Popper von der Technischen Universität (TU) Wien müsste man sich genau überlegen, zu welchem Zeitpunkt in der Pandemieentwicklung man ein solches Screening einsetzt. Möchte man viele aktiv Erkrankte und etwaige „Superspreader“ aus den Kontaktnetzwerken bringen, müsse man in „aktiven Phasen“ testen. Führt man so ein Programm nach einem Lockdown durch, könne man zumindest kontrollieren, wie gut man bevölkerungsweit liegt. Popper betonte gegenüber Ö1 erneut, dass es zur nachhaltigen Eindämmung der Pandemie auch eine nachhaltige Teststrategie und deutlich mehr zusätzliche Ressourcen bei der Kontaktverfolgung brauche.

Kritik von SPÖ und FPÖ

Kritik an der Ankündigung der Regierung und an den Massentests selbst kam von SPÖ und FPÖ. Jörg Leichtfried, Vizeklubchef der SPÖ, ortete Probleme in der Regierungskommunikation. Kurz habe die Massentests offensichtlich ohne vorheriger Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium verkündet. Wieder sei das Teil der inszenierten Show des Kanzlers gewesen, ohne vorher die Rechtslage geprüft und die gesundheitspolitischen Auswirkungen überlegt zu haben. „Bei uns gibt es die Gesetzgebung per Pressekonferenz schon länger, jetzt scheinbar auch per Pressestunde“, so Leichtfried.

Die FPÖ lehnt die Massentests insgesamt ab. Klubobmann Herbert Kickl will in der kommenden Nationalratssitzung mittels Antrag einen Teststopp bei allen asymptomatischen Personen erreichen. Ob die in Aussicht gestellten Massentests verpflichtend sind oder nicht, ist Kickl egal. Er ist der Meinung, dass „die ganze Testerei die Wurzel allen Übels ist“ und diese die Infektionszahlen lediglich in die Höhe treibe. Auch von der Regierung bis jetzt gar nicht vorgesehene „Zwangsimpfungen“ will Kickl mittels Antrag verbieten lassen.