Migranten in einem Hafen auf Gran Canaria
Reuters/Borja Suarez
„Tödlichste“ Fluchtroute

Tausende stranden auf Kanaren

Etwa 100 Kilometer liegen zwischen der Westküste Marokkos und Mauretaniens in Afrika und den Kanarischen Inseln. Der Weg über den Atlantik gilt als gefährlichste Fluchtroute Richtung Europa. Tausende machten sich allein in den vergangenen Wochen in kleinen, von einem Außenbordmotor angetriebenen Holzbooten dennoch auf den Weg. Einige starteten sogar aus dem 1.600 Kilometer entfernten Senegal.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sprach kürzlich anlässlich eines Besuchs auf den Kanaren von der „tödlichsten“ Fluchtroute und zeigte sich besorgt über den starken Anstieg von Geflüchteten über diese Route. Schätzungen des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) zufolge starben heuer 600 Menschen auf See. Wie hoch die tatsächliche Zahl der Opfer ist, ist unbekannt.

Dennoch sind in diesem Jahr schon fast 17.000 Menschen aus Afrika auf den Kanarischen Inseln gestrandet – etwa siebenmal so viele wie im Vorjahr. Sie hoffen, auf diesem Weg nach Europa zu gelangen. Die spanische Inselgruppe ist mit einer Flüchtlingskrise konfrontiert, die immer dramatischere Ausmaße annimmt.

Migranten in einem Hafen auf Gran Canaria
Reuters/Borja Suarez
Das provisorische Lager auf Gran Canaria wurde für eine Kapazität von 400 Personen errichtet

400 Quadratmeter für 2.000 Menschen

Besonders schlimm sind die Zustände im Hafen von Arguineguin auf Gran Canaria, wohin die meisten Geflüchteten gebracht werden. Dort wurde im August ein provisorisches Lager für rund 400 Personen errichtet – zur Registrierung, für medizinische Untersuchungen und CoV-Tests. Doch noch in den vergangenen Tagen waren rund 2.000 Geflüchtete in dem Camp auf einem Areal von 400 Quadratmetern dicht an dicht gedrängt, viele schliefen auf Decken unter freiem Himmel. Einige verbringen dort Berichten zufolge mehrere Wochen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), eine der unabhängigen Organisationen, die an Ort und Stelle die Situation beobachtete, berichtete von 14 Zelten ohne befestigten Boden mit je einer mobilen Toilette für jeweils 30 bis 40 Personen. Unter diesen Bedingungen könnten weder die Würde der Menschen noch ihre Grundrechte geschützt werden, bemängelte HRW. Die Isolierung von CoV-Infizierten könne ebenfalls nicht ausreichend gewährleistet werden.

„Kanaren dürfen nicht Lampedusa werden“

Die spanische Regierung reagierte mit Verspätung auf die Hilferufe der Lokalpolitik. Der Vizepräsident der Kanaren, Roman Rodriguez, hatte schon Ende September an die Zentralregierung appelliert: „Wir werden nicht zulassen, dass die Kanarischen Inseln zu Lesbos oder Lampedusa werden." Die Inselgruppe hat 2,15 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen.

Flüchtlingscamp auf Gran Canaria
Reuters/Borja Suarez
Auf Militärgelände wurde ein neues Erstaufnahmecamp bei Las Palmas für eine Kapazität von 800 Personen errichtet

Der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska versprach nun, in ehemaligen Militäreinrichtungen neue Aufnahmezentren zu schaffen. Einige wurden auch in aufgrund der Pandemie leerstehenden Hotels untergebracht – zum Teil unter Protest der Tourismusvertreter. Bereits Anfang November hatte die Regierung angekündigt, das Lager auf der Mole in Arguineguin zu schließen. Bis Anfang dieser Woche ist das nicht geschehen.

Regierung setzt auf Abschiebung

Eine Kaserne bei Las Palmas soll als Erstaufnahmelager mit einer Kapazität für 800 Menschen dienen. Auch dieses Lager könnte schnell überfüllt sein. Allein an den beiden vergangenen Wochenenden wurden fast 4.500 neu ankommende Geflüchtete gezählt, die die Überfahrt überlebt haben.

Eine Weiterfahrt auf das spanische Festland ist für den Innenminister kein Thema. Vielmehr setzt er auf rasche Abschiebung in Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern und den Ausbau von Erstaufnahmeeinrichtungen etwa innerhalb von Militäreinrichtungen. Erst vergangene Woche wurden die seit acht Monaten ausgesetzten Rückführungsflüge nach Mauretanien wieder aufgenommen.

Woher die Geflüchteten stammen, wird offiziell nicht kommuniziert. HRW geht davon aus, dass die meisten der auf den Kanaren gestrandeten Menschen aus dem Senegal, Mali, Marokko, der Elfenbeinküste und Guinea stammen.

Verschiebung von Migrationsrouten

Der Zustrom auf die Kanaren hängt Experten zufolge auch mit der Verschiebung von Migrationsrouten zusammen. Andere Wege etwa über die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla sind weitgehend zu, die kürzere und sicherere Route über die Straßen von Gibraltar ist gesperrt. Auch die Route von Niger und Mali nach Algerien sei kaum nutzbar gewesen, sagte Bram Frouws vom Mixed Migration Centre.

Durch die Sperre anderer Wege, den größeren wirtschaftlichen Druck auch aufgrund der CoV-Krise und der damit entfallenden Einkommen aus dem Tourismus wuchs auch der Migrationsdruck. In einer UNHCR-Studie gaben auch rund 30 Prozent der Befragten an, ihr Land aufgrund von Konflikten und verbreiteter Gewalt, politischen Gründen und ethnischer Zugehörigkeit verlassen zu haben.