NEOS-Luftballons in Wien
ORF.at/Roland Winkler
Neue Regierung

Platzfrage im rosa-roten Wien

Diese Woche ist eine politische Premiere besiegelt worden – und am Dienstag werden ihre Hauptdarsteller angelobt: SPÖ und NEOS bilden erstmals eine Koalition. Und das in Wien, wo die SPÖ in den letzten zehn Jahren mit den Grünen koalierte und davor seit 2001 überhaupt allein das Szepter in der Hand hielt. Wie viel Platz wird NEOS also in Wien bleiben?

Bei der Präsentation des historischen Pakts zwischen Roten und Liberalen in Wien war freilich von machtpolitischen Schieflagen nichts zu bemerken: Man habe auf „Augenhöhe“ verhandelt, wie SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig und der designierte Vize Christoph Wiederkehr (NEOS) unisono betonten. Dass die mächtige Wiener Sozialdemokratie über 46 Mandate verfügt und der Neo-Partner über acht, ist nun einmal die faktische Eigenheit der „Fortschrittskoalition“.

Doch fallen ein paar Bereiche NEOS zu – und gerade diese sollen nach Möglichkeit eine pinkfarbene Handschrift bekommen: Wiederkehr wird als Stadtrat die Geschäftsgruppe Bildung, Jugend, Integration und Transparenz verantworten. Doch angesichts des Koalitionsprogramms sieht Franz Schellhorn, Chef des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, liberale Inhalte nicht vorkommen. Die SPÖ habe sich auf allen Linien durchgesetzt, sagt er im ORF.at-Interview.

„NEOS hat es zu billig gegeben“

NEOS habe keine einzige Kernforderung durchgebracht: Zwar sei klar, dass ein kleiner Partner sich nicht groß durchsetzen könne, „aber dass kein einziger dieser Kernpunkte, die NEOS in der Opposition immer kritisiert hat, jetzt im Regierungsprogramm vorkommt, ist schon etwas überraschend“, so Schellhorn. „NEOS wollte um jeden Preis in die Stadtregierung – auch um sichtbarer zu werden, doch das ist ein zu hoher Preis, den man hier zahlt.“

Christoph Wiederkehr und Michael Ludwig
APA/Herbert Pfarrhofer
Wiederkehr (l.) und Ludwig bei der Programmpräsentation – der symbolische Punschkrapfen durfte nicht fehlen

Die Wörter „Liberalisierung“ und „Deregulierung“ kämen „kein einziges Mal vor, aber auf jeder zweiten, dritten Seite wird gefördert, was das Zeug hält“, so der Agenda-Austria-Chef. „Das öffentliche Geld geht raus durch alle Löcher, die man nur finden kann, das hätte ich mir von NEOS nicht erwartet.“ Weil die Ausgangslage eine Hoffnung erzeugt habe, sei das jetzt „schon für viele eine Enttäuschung“. Zudem sei „der Jubel von links nicht zu überhören“, so Schellhorn. Das sollte „NEOS zu denken geben, dass man es zu billig gegeben“ habe.

„Kein Wort mehr von Kammerjäger-Philosophie“

NEOS sei nun einmal ein „Mini-Partner“ und genau so gestalte sich das Programm, sagt die Strategieberaterin Nina Hoppe. „Dass da auf einmal liberale Blüten sprießen, geht halt nicht“, so Hoppe im Gespräch mit ORF.at. In der Frage, ob NEOS Kernforderungen durchsetzen konnte, gibt sie Schellhorn recht: NEOS habe immer Kritik an der Sozialwirtschaft und Kammerwirtschaft geübt – davon sei aber im Programm nichts mehr zu finden. „Kein Wort mehr von irgendeiner Kammerjäger-Philosophie“, so Hoppe.

Doch sieht die Kommunikationsstrategin ein grundsätzliches Problem auf den jungen Koalitionär zukommen: Es bestehe ein Problem im „Hinterland“, etwa auf Bezirksebene, wo man kaum vertreten sei. Auch im Rathaus müsse man ein Team aufbauen, Wiederkehr brauche „Leute, damit er seine Themen durchbringen“ könne. Schnell müsse man „Vertrauenspersonen und Referenten reinbringen, denn die Leute, die im Rathaus sitzen, sind SPÖ-Zuarbeiter“. Gelinge das nicht, könne die erste Euphorie rasch verfliegen.

Junges Alter „kein Vorteil“

NEOS habe „zwar eine schöne Blüte, aber der Baumstrunk ist nicht sehr tief verwurzelt“, beschreibt es Hoppe. In diesem Zusammenhang sieht sie auch Wiederkehrs junges Alter (er ist 30) „nicht unbedingt als Vorteil“. Er könne auch auf keine altgedienten Mitstreiter zurückgreifen, „die ihm Strukturen, Dynamiken und Falllöcher erklären“, befürchtet die Expertin. Zwar könne das mit ausreichend Bodenhaftung schon gelingen, „es kann aber auch grandios scheitern“.

Speziell ein Fehler dürfe jedenfalls nicht passieren, wie Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at klarmacht: „Eine kleine Partei darf sich nicht in allen Themen zersprageln“, sondern solle sich auf wenige Themen voll fokussieren. Es sei Wiederkehr gelungen, das Bildungsressort zu bekommen: „Da muss er sich jetzt sein Leuchtturmprojekt suchen“, so Stainer-Hämmerle. Doch auch hier lauerten Gefahren, denn gerade beim Thema Bildung könne man rasch „an Grenzen stoßen“, weil Bundeskompetenz.

Auch Schellhorn und Hoppe sehen diesen möglicherweise begrenzten Wirkungsradius auf Landesebene. Darum sei die SPÖ „gar nicht sehr unglücklich, dass NEOS das (Bildungs-)Ressort unbedingt haben wollte“, so Schellhorn. Dennoch sei das Bildungsthema das einzige, wo sich NEOS profilieren könne, glaubt der Agenda-Austria-Chef. Auch Hoppe spricht aufgrund der vielfachen Bundeskompetenz von einem „schwierigen Ressort“, auch der Bereich Integration – ebenso von NEOS administriert – falle in diese Kategorie.

SPÖ könnte NEOS „viele Kilometer“ machen lassen

Beim Thema Transparenz – ebenfalls NEOS-Agenda – finden sich im Koalitionsabkommen immerhin rote Zugeständnisse: Senkung der Wahlkampfobergrenze, mehr Transparenz bei Förderungen und mehr Kontrollrechte für Gemeinderat und Stadtrechnungshof im Bereich Parteifinanzen. Diese dürfen aktuell nicht vom Rechnungshof unter die Lupe genommen werden. Doch gibt es da wirklichen politischen Willen aller zur Umsetzung?

Stainer-Hämmerle ist da skeptisch: „Das wird schwer, weil die SPÖ kein Interesse daran hat.“ Es könne gut sein, dass die SPÖ ihren Koalitionspartner „viele Kilometer machen lassen“ und dann „ins Leere laufen lassen“ werde. Das könne für Frust bei NEOS sorgen. Die Kommunikationsberaterin Hoppe sieht das ähnlich: „Ludwig hat bereits gesagt, dass man abwarten will, was vom Bund kommt.“

Wenn da nichts passiere, könne es sein, dass sich in dieser Legislaturperiode für NEOS in diesem Bereich gar nichts bewirken lasse. Ludwig könne immer auf die Bundesregierung verweisen. Schlimme Konsequenzen seitens ihrer Wählerschaft sieht Stainer-Hämmerle in diesem Fall aber nicht auf NEOS zukommen – und das, obwohl es sich um ein Kernthema handle: „Es wird ihnen vielleicht nicht einmal schaden“, auch den Grünen habe etwa das Nein der Bundesregierung zur Aufnahme von Geflüchteten aus dem griechischen Lager Moria nicht geschadet.

NEOS als „frische Grüne“

Apropos Grüne: Sie werden „überhaupt ziemlich enttäuscht sein“, glaubt wiederum Schellhorn, weil sich das Koalitionsprogramm von SPÖ und NEOS nun ähnlich lese, wie der Deal zwischen SPÖ und Grünen davor. NEOS habe wie „die frischen Grünen aussehen“ wollen. Schellhorn mutmaßte, dass sich NEOS auch umpositionieren könnte, so scheine es, als habe man sich sehr stark links der Mitte positioniert. „Vielleicht hat man gesehen, dass man mit den wirtschaftsliberalen nicht punkten kann und nicht punkten will“, so Schellhorn.

Für SPÖ Signal nach innen

Indes sieht Hoppe für die SPÖ durch den neuen Partner die Chance, sich aus den eigenen Strukturen hinauszubewegen, es sei ein „wichtiges Signal nach innen“. Ferner tue dem Pragmatiker und „alten Hasen“ Ludwig „dieses Naiv-Optimistische“ von Wiederkehr gut, sagt Stainer-Hämmerle. Die „altbackene SPÖ Wien wäre gut ergänzt“, außerdem habe Ludwig selbst gesehen, dass die Zeiten, in denen Wien und die SPÖ eins waren, vorbei sind.