Eine Schwester behandelt einen Patienten
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Kritik an Verordnung

Gesundheitspersonal will mehr Schutz

Für Kritik von der Gesundheitsberufe-Plattform Offensive Gesundheit sorgt eine Bestimmung in der Lockdown-Verordnung. Die Plattform sieht darin ein Schlupfloch für das Virus, in die Gesundheitsanstalten zu gelangen und Mitarbeitende und Patienten zu gefährden. Das Ministerium widerspricht und schließt dies aus.

Konkret kritisiert die Juristin Silvia Rosoli von der Wiener Arbeiterkammer: „Derzeit kann der Arbeitgeber (im Pflege- und Spitalswesen, Anm.) die Leute in die Arbeit rufen, wenn sie positiv getestet sind, einen Ct-Wert größer 30 (wenig infektiös, Anm.) haben, aber symptomlos sind“. Der Ct-Wert gibt nach PCR-Tests den Grad der wahrscheinlichen Infektiosität des Betroffenen zum Zeitpunkt des Tests an.

In der Covid-19-Notverordnung findet sich in Paragraf 10 (Alters-, Pflege- und Behindertenheime) sowie in Paragraf 11 (Krankenanstalten) folgende Bestimmung: Prinzipiell müssen Bedienstete einmal pro Woche per Antigen- oder PCR-Test untersucht werden und ein negatives Testergebnis aufweisen.

Doch dann heißt es weiter: „Im Fall eines positiven Testergebnisses kann das Einlassen (in die Arbeitsstelle, Anm.) abweichend davon dennoch erfolgen, wenn (1) jedenfalls mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit vorliegen und (2) aufgrund der medizinischen Laborbefunde, insbesondere aufgrund des Ct-Werts größer 30, davon ausgegangen werden kann, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht.“

Rosoli: Ansteckung ohne Symptome

Rosoli: „Das kann dazu führen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, bevor Symptome auftreten und bevor ein Absonderungsbescheid vorliegt, zur Arbeit gerufen werden können. Damit gefährden sie nicht nur sich selbst, sondern Kollegen, Patienten und Bewohner. Vor allem am Beginn der Erkrankung ist man oft symptomfrei, aber hoch ansteckend. Absonderungsbescheide kommen in der Regel erst nach einem positiven Testergebnis.“ Das Vorliegen eines Absonderungsbescheids und der Ablauf der Absonderungsfrist müssten ebenfalls vorgeschrieben werden.

Im Gesundheitsministerium betonte man dagegen, dass aufgrund der Regelung „nur jene Personen, die die Infektion bereits hinter sich haben und nun nicht mehr infektiös sind“, betroffen sind. All jene Personen, die am Beginn einer Infektion stehen, somit auch das Gesundheitspersonal, müssten „selbstverständlich“ abgesondert werden.

Sorge vor Personalnot

Die Diskussion ist laut den Beteiligten nicht neu. Reinhard Waldhör (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst): „Das ist jetzt der dritte Versuch einer Verordnung, die zum dritten Mal falsch ist. Wir haben das dem Minister (Rudolf Anschober; Grüne; Anm.) und seinem engsten Stab persönlich klar mitgeteilt.“ Man habe die Beseitigung der offenbaren Lücke im Infektionsschutz für Gesundheitspersonal und Patienten bzw. Betreute zugesichert – es sei aber nichts geschehen. Waldhör: „Das kann fatale Folgen haben.“

„Es gibt bereits Dienstgeber, die in diese Richtung denken. Die Beschäftigten würden sich und die Patienten gefährden – und das im extrem sensiblen Bereich von Pflegeheimen und Spitälern. Wir werden uns das sicher nicht gefallen lassen“, sagte Wolfgang Weismüller, Kurienobmann der Angestellten Ärzte in der Wiener Ärztekammer. Wenn die Personalknappheit zunehme, würden Dienstgeber womöglich Gebrauch von der Regelung in der Verordnung machen.

Ruf nach strengeren Regeln

Der Protest ist offenbar breit. Gerald Mjka (Gewerkschaft vida, Betriebsrat im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien): „Die derzeitige Verordnung sieht vor, dass Menschen, die positiv getestet sind, in die Arbeit gehen, ohne dass sichergestellt ist, dass sie nicht infektiös sind.“ Man habe dem Gesundheitsministerium mehrfach Vorschläge für quasi wasserdichte Regelungen übergeben. Das Vorgehen, zu riskieren, dass ein Angehöriger des Gesundheitspersonals trotz positiven Covid-19-Tests und vorerst noch ohne starke Symptome arbeiten dürfe oder solle, sei „patientengefährdend“ und unverantwortlich. „Die Diskussion geht seit Wochen so – und es hat sich überhaupt nichts getan. Pflege geht nicht ohne Körperkontakt und ohne Nähe.“ Da müsse man größtmögliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.

Situation auf den Intensivstationen

Die Situation auf den Intensivstationen steht seit Tagen im Fokus der Diskussion. Der ORF durfte sich unter strengen Auflagen im Universitätsklinikum Krems in Niederösterreich ein Bild machen.

Weismüller und Waldhör wiesen unisono darauf hin, dass möglicherweise das Gesundheitsministerium für eine schärfere Regelung sei, der Koalitionspartner aber regelmäßig ablehne. Dabei könnte das SARS-CoV-2-Schlupfloch relativ einfach geschlossen werden. Man bräuchte laut Silvia Rosoli in der Covid-19-Notverordnung nur einfügen, dass für eine Tätigkeit eines SARS-CoV-2-positiv Getesteten „die Fristen einer behördlich angeordneten Absonderung bereits abgelaufen sind sowie mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit vorliegen“ und auch aufgrund eines Ct-Werts (Cycle-threshold-Wert; Anm.) größer 30 von keiner Ansteckungsgefahr mehr ausgegangen werden könne.

Auch mobile Dienste sollten umfasst sein

Die von der Offensive Gesundheit nun aufgegriffene Problematik erhält durch einen klaren Widerspruch zwischen der „Empfehlung zur Entlassung von Covid-19-Fällen aus der Absonderung“ (basierend auf den Empfehlungen der deutschsprachigen Leitbehörde, des deutschen Robert-Koch-Instituts; Anm.) und den zwei alten und der neuen österreichischen Notvervordnung.

In den Empfehlungen sind für die Entlassung von Covid-19-Fällen aus der Quarantäne bei schwerer Erkrankung zehn Tage nach Symptombeginn, mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit und negativer PCR-Test mit Ct-Wert größer 30 vorgesehen (bei leichter Erkrankung zehn Tage und mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit, bei asymptomatischen Personen zehn Tage nach Probenentnahme für Virustest). Das gilt alles auch für das Fachpersonal, wobei bei ihnen die Anforderungen nach leichter Erkrankung und nach symptomloser Infektion um einen PCR-Test oder den Nachweis eines Ct-Werts größer 30 sogar noch verschärft sind.

Überhaupt, so die Proponenten der Offensive Gesundheit, sollte die Notverordnung auch die mobilen Pflege- und Betreuungsdienste sowie die Rettungs- und Krankentransportdienste umfassen. Es mache keinen Sinn, in Pflegeheimen und Krankenanstalten die höchsten Kriterien anzulegen – und dann mobile Dienste weniger strikt zu regeln.

Platter: Notbetrieb in Tirol droht

Dass die Kapazitäten in den Spitälern – sowohl bei Betten als auch beim Personal angespannt sind, ist bekannt. Am Mittwoch machte auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) auf die Gefahr aufmerksam, dass in den Gesundheitseinrichtungen nur mehr eingeschränkter Notbetrieb möglich sein wird, sollte es jetzt nicht zu einer Trendwende kommen. Die Zahl der Coronavirus-Patienten in Spitalsbehandlung habe sich in den letzten fünf Wochen in Tirol verachtfacht, die Betten würden knapp, zudem gäbe es Engpässe beim Personal. „Es steht Spitz auf Knopf“, so Platter. In den Sommermonaten sei zu wenig getan worden, kritisierten daraufhin die Landtagsabgeordneten der Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ, NEOS und Liste Fritz.