Flaggen mit dem Zeichen der europäischen Union vor dem Gebäude der EU-Kommission.
Reuters/Yves Herman
Ungarn, Polen blockieren

Verhärtete Fronten bei EU-Haushaltsstreit

Eigentlich wollen sich die EU-Staats- und -Regierungsspitzen am Donnerstagabend mit der Pandemie befassen. Überschattet wird der virtuelle Gipfel aber von der Haushaltskrise. Ungarn und Polen kritisieren Pläne, EU-Gelder bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu kürzen. Sie blockieren nun das gesamte Haushaltspaket, das auch dringend benötigte CoV-Hilfen beinhaltet. Am Mittwoch verhärteten sich die Fronten weiter.

Ungarn und Polen hatten bereits am Montag ihr Veto gegen das gesamte EU-Haushaltspaket von 1,8 Billionen Euro eingelegt. Deshalb hängt das gesamte Haushaltspaket, das eigentlich zum 1. Jänner in Kraft treten soll, vorerst fest. Dabei geht es um knapp 1,1 Billionen Euro für den neuen siebenjährigen EU-Finanzrahmen sowie 750 Milliarden Euro an Hilfen gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Krise. Lösungen, um die Blockade aufzuheben, sind bisher nicht in Sicht.

Nach dem schwersten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegsgeschichte soll der Coronavirus-Hilfsfonds die EU-Länder im Kampf gegen die Krise unterstützten. 390 der 750 Milliarden Euro sollen dabei als Zuschüsse gewährt werden, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Vor allem stark durch die Pandemie getroffene Länder in Südeuropa wie Italien und Spanien mit ohnehin hohen Schuldenständen sind auf das Geld angewiesen und fürchten nun Verzögerungen.

EU-Parlament gegen Zugeständnisse

Das Europäische Parlament will jedenfalls gegenüber Ungarn und Polen hart bleiben. „Von unserer Seite werden keine weiteren Zugeständnisse gemacht“, teilten Parlamentspräsident David Sassoli und die Fraktionsvorsitzenden am Mittwoch mit. Die „erzielten Vereinbarungen“ zum EU-Budget und zum Rechtsstaatlichkeitsprinzip könnten „unter keinen Umständen wieder aufgeschnürt werden“.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verteidigte die Haltung seines Landes. „Eine EU, in der es eine europäische Oligarchie gibt, die die Schwächsten bestraft, ist nicht die EU, der wir beigetreten sind“, erklärte er im polnischen Parlament. „Wir sagen Ja zur Europäischen Union, aber Nein dazu, wie Kinder bestraft zu werden.“ Die Rechtsstaatlichkeit sei „zum Propaganda-Knüppel geworden“, sagte er.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban untermauerte am Mittwoch sein Veto und begründete es mit seinem Widerstand gegen die Migration. Eine Zustimmung zu dem Paket wäre gleichbedeutend mit einem Ja zur Einwanderung, sagte Orban am Mittwoch in Budapest. Die EU wäre dann in der Lage, Mitgliedsstaaten zu erpressen und Finanzmittel zu verwehren, sollte ein Land keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Rückenwind aus Slowenien

Unterstützung erhielten beide Länder nun aus Slowenien. „Nur eine unabhängige juristische Instanz kann bestimmen, was Rechtsstaatlichkeit ist, nicht eine politische Mehrheit“, schrieb der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa in einem Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel, der den Gipfel organisiert. Derzeit werde aber damit gedroht, „das fälschlicherweise ‚Rechtsstaatlichkeit‘ genannte Instrument dazu zu nutzen, um einzelne EU-Mitgliedsstaaten per Mehrheitsbeschluss zu disziplinieren“. Slowenien hatte am Montag zwar kein Veto gegen das Finanzpaket eingelegt. Der Konservative Jansa ist aber ein enger Verbündeter Orbans und gleichfalls für seine scharfe Rhetorik gegen Migration bekannt.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und Ungarns Premierminister Premierminister Viktor Orban
APA/AFP/Aris Oikonomou
Morawiecki (l.) und Orban legten ein Veto gegen das gesamte Finanzpaket ein

Eine Einigung wird am Donnerstag noch nicht erwartet. Bezüglich des Finanzpakets werde die Ratspräsidentschaft erst einmal einen Überblick über den Stand der Dinge geben, sagte ein Diplomat. Spekulationen darüber, ob eine Lösung für den Hilfsfonds auch auf zwischenstaatlicher Basis ohne Polen und Ungarn gefunden werden könne, wurden von einem ranghohen EU-Vertreter zurückgewiesen. Zum jetzigen Zeitpunkt sollten zuerst Ungarn und Polen sagen, was sie wollten.

Blockade „der helle Wahnsinn“

Die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, Angelika Winzig, pochte am Mittwoch in einer Aussendung auf die „gute Einigung des Europaparlaments mit den Mitgliedsstaaten auf das nächste EU-Langzeitbudget 2021-2027“. „Dazu gehört, dass es finanzielle Konsequenzen für Mitgliedsstaaten geben wird, die die Rechtsstaatlichkeit verletzen.“ SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf, Ungarn und Polen zu einem Ende der „fatalen Blockade in Sachen EU-Budget“ zu bewegen. Die Blockade sei „der helle Wahnsinn angesichts einer Job- und Wirtschaftskrise, wie sie Europa seit Jahrzehnten nicht gesehen hat“.

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), hielte den Ausschluss der nationalkonservativen ungarischen Regierungspartei FIDESZ aus der Europäischen Volkspartei für „die logische Konsequenz“, sollte an der Blockade weiter festgehalten werden, wie er am Mittwoch twitterte. EVP-Präsident Donald Tusk hatte das bereits am Dienstag nahegelegt.

Polnischer Richter verlor Immunität

Beide Länder standen wegen ihres Umgangs mit der Justiz und den Medien wiederholt in der Kritik. In Polen verlor erst am Mittwoch erneut ein regierungskritischer Richter seine Immunität. Der Warschauer Bezirksrichter Igor Tuleya dürfe außerdem nicht mehr an Verfahren mitwirken, seine Bezüge würden um 25 Prozent gekürzt, teilte das Gericht mit. Es revidierte damit eine Entscheidung in der ersten Instanz. Die jetzige Entscheidung ist sofort rechtskräftig. In Polen genießen Richter und Staatsanwälte Immunität.

Eine strafrechtliche Verfolgung ist nur möglich, wenn die Immunität zuvor gerichtlich aufgehoben wurde. Der 50 Jahre alte Jurist Tuleya ist einer der prominentesten Kritiker der Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Die Staatsanwaltschaft hatte die Aufhebung seiner Immunität gefordert. Sie warf ihm unter anderem Überschreitung seiner Kompetenzen vor, weil er bei der Urteilsverkündung in einem für die PiS unangenehmen Verfahren Medienvertreter im Gerichtssaal zugelassen hatte.

Schnelle Lösung erhofft

Die EU-Kommission drängte am Mittwoch auf eine Lösung im Streit, damit die eingeplanten EU-Gelder und Coronavirus-Hilfen 2021 pünktlich fließen können. „Wir brauchen eine schnelle Einigung auf alle Elemente des 1,8 Billionen Euro schweren EU-Pakets zur wirtschaftlichen Erholung, um die Realwirtschaft unterstützen zu können“, mahnte Vizepräsident Valdis Dombrovskis in Brüssel.

Zu erwarten sind beim Gipfel am Donnerstag weiters Informationen über Impfstoffe und eine Diskussion über Teststrategien, wo die EU koordinierter vorgehen wolle. Auch ein Exit aus den Lockdowns sollte so vorgenommen werden, dass es zu keinen grenzüberschreitenden Problemen komme.