Am Donnerstagabend hätte es die nächste Chance auf eine Einigung über das 1,8 Billionen schwere EU-Finanzpaket samt künftigem Budget gegeben. Doch auch bei dem informellen Videogipfel der Staats- und Regierungschefs konnte die Blockade durch Ungarn und Polen nicht gelöst werden, die Entscheidung wurde vertagt.
Das lähmt momentan die gesamte Union – es rüttelt aber auch an der EVP, der größten Fraktion im Europaparlament, der Orbans FIDESZ angehört. Zwölf Abgeordnete stellt die Partei, die zumindest nach außen hin bei der EVP nicht viel zu melden hat. Schon 2019 wurde über einen Ausschluss diskutiert – letztlich wurde dieser zur Suspendierung abgeschwächt. Dem vorausgegangen war eine antisemitische Plakatkampagne gegen George Soros in Ungarn, in die auch das Konterfei des Ex-Kommissionspräsidenten und prominenten EVP-Vertreters Jean-Claude Juncker eingebettet wurde, um gegen Brüssel Stimmung zu machen.
Suspendierung ging nach hinten los
Die Suspendierung sollte vor der damaligen EU-Wahl die Wogen glätten: FIDESZ blieb Teil der EVP, wurde aber von Sitzungen und internen Abstimmungen ausgeschlossen. In der EVP wollte man dennoch an FIDESZ festhalten – denn Orban drohte, mit anderen rechten Parteien eine eigene Fraktion zu gründen, und hätte damit der EVP empfindlichen Schaden zufügen können, was man mit einer Suspendierung abwenden konnte.
Kaum war die Wahl vorbei, wurde der Unmut über Orban bei den Konservativen aber spürbar größer. Kelemen, Politikwissenschaftler an der Rutgers University in New Jersey, sagte gegenüber ORF.at: „Wie wir jetzt in dieser Rechtsstaatlichkeitskrise sehen, erntet die EVP das, was sie gesät hat, indem sie in den letzten zehn Jahren einen kleinen Autokraten aus politischen Gründen besänftigte.“
Weisenrat brachte kein Ergebnis
Und die Krise ist durchaus hausgemacht: Vor einem möglichen Ausschluss der FIDESZ aus der EVP wollte man erst einen Weisenrat einsetzen, der die Situation in Ungarn untersuchen solle. Doch die Wahl der drei Weisen dürfte eine Schlussfolgerung deutlich erschwert haben: Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sei eher Orban zugewandt gewesen, der belgische Ex-Premier Herman Van Rompuy eher für einen Ausschluss von FIDESZ, Ex-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering dem Vernehmen nach irgendwo dazwischen.
„Diese Kommission konnte nie einen Bericht erstellen, weil sich die drei Mitglieder nicht einigen konnten“, so Kelemen. Tatsächlich drehte EVP-Chef Donald Tusk Ende Mai 2020 den Weisenrat ab. Das sei „sowieso nur ein Vorwand“ gewesen, um die Frage nach dem Ausschluss auf die Zeit nach den Europawahlen zu verschieben, so Kelemen.
EVP sieht fehlende Mehrheit für Ausschluss
Doch was spricht jetzt, lange nach der Wahl und nach weiteren Affronts, gegen einen Fraktionsausschluss? Auch hier hieß es in den vergangenen Monaten und auch unmittelbar vor dem Gipfel am Donnerstag aus der EVP: Die Mehrheit für einen Ausschluss fehle momentan. Zu einer richtigen Abstimmung kam es bisher jedenfalls nicht.
So lehnen etwa CSU und CDU einen FIDESZ-Rauswurf weiter ab – grünes Licht der deutschen Union, einem Schwergewicht in der EVP, würde hier wohl schnell die Weichen stellen. Doch „einige fürchten“, dass ein Ausschluss von FIDESZ „weitreichende Folgen“ haben könnte, so Kelemen. Denn Orban könnte weitere „gleichgesinnte, aufstrebende autoritäre Parteien mitreißen“. Der Politologe nennt hier als Beispiel die bulgarische GERB und die slowenische SDS.
Stillstand in FIDESZ-Frage
Und während der EVP anscheinend die nötigen Stimmen für einen Ausschluss von FIDESZ fehlen, stehen die Zeichen umgekehrt dennoch nicht auf Annäherung. Denn auch eine Aufhebung der Suspendierung wird momentan abgelehnt, heißt es. EVP-Präsident Tusk sagte noch im Februar, dass es eine FIDESZ-Rückkehr, solange sich nichts an der Situation ändere, unter ihm nicht geben werde.
Unklar ist noch, wie sich der anhaltende Stillstand bei der Budgetfrage auf das Verhältnis innerhalb der EVP auswirken wird. Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas forderte bei einem Veto zuletzt etwa den sofortigen Ausschluss der Orban-Partei.
Folgen nach Säbelrasseln offen
EVP-Fraktionschef im Parlament und CSU-Politiker Manfred Weber formulierte in einem „Bild“-Interview zurückhaltender: Es gebe einen breiten Konsens, was den Mechanismus zur Rechtsstaatlichkeit anbelangt. Dieser sei „für uns eine rote Linie“.
Sollte Orban – gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki – an einer Blockade festhalten, könnte es für den ungarischen Regierungschef und seine Partei in den Reihen der EVP jedenfalls noch enger werden als bisher. Doch: Auch Ungarn ist wohl auf das Geld aus dem Finanzpaket angewiesen, schon am Freitag stellte Orban in Aussicht, dass man zu einer Einigung kommen werde. Die Frage ist, ob die EVP aus dem Säbelrasseln Konsequenzen zieht, oder ob die FIDESZ-Frage ein weiteres Mal vertagt wird.