Mikrofon auf leerer Bühne
Getty Images/iStockphoto/Viacheslav Chernobrovin
Branchenkrise

„Massive Ausfälle“ in Musikwirtschaft

Die Musikindustrie ist einer der umsatzstärksten europäischen Kreativsektoren. Die britische Branche prognostiziert eine Halbierung ihrer Umsätze, und auch der heimischen Musikwirtschaft entstehen laut Wirtschaftskammer riesige Einbußen. Das Ausmaß der Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf den Wirtschaftszweig werde sich jedoch erst in den nächsten Jahren zeigen.

2018 erwirtschaftete der Musiksektor in den EU-27 und Großbritannien laut einer Studie des Beratungsunternehmens „Oxford Economics“ zusammen 81,9 Milliarden Euro und sicherte über zwei Millionen Arbeitsplätze. Das Wachstum der letzten Jahre wird durch die Coronavirus-Pandemie zunichtegemacht.

Der „Guardian“ berichtete von erwarteten Einbrüchen der britischen Musikwirtschaft um drei Milliarden Pfund (rund 3,37 Mrd. Euro) auf nahezu die Hälfte im laufenden Jahr. Grund dafür seien die zum größten Teil ausgefallenen Erlöse im Konzertbereich. Noch 2019 war die Branche, die in Großbritannien rund 200.000 Jobs sicherte, um elf Prozent gewachsen.

Investitionen gefährdet

Für Österreich prognostiziert die Wirtschaftskammer (WKÖ) „massive Ausfälle“ entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Musikwirtschaft. Neben den Künstlerinnen und Künstlern betrifft das vor allem Künstleragenturen, Musiklabels, Tonstudios, Tontechnik, Musikverlage, Vertriebe und Veranstalter.

So heißt es in einer Prognose der WKÖ, die ORF.at vorliegt: „Neben den bereits eingetretenen Umsatzausfällen im Livebereich und im Tonträgerhandel sind bereits getätigte Investitionen in geplante neue Musikveröffentlichungen und Kampagnen sowie in nationale und internationale Tourneen und Konzerte in hohem Ausmaß gefährdet.“

Tonstudio
Getty Images/Westend61
Die Umsatzeinbrüche in der Musikwirtschaft betreffen auch Musiklabels, Tonstudios, Tontechnik und Veranstalter

Ohne Berücksichtigung des Livebereichs, also etwa des Umsatzentgangs für Veranstalter, für den noch keine Prognosen vorliegen, geht man insgesamt von 80 Millionen Euro Schaden aus. Auf die heimische Musikwirtschaft entfallen 60.000 Arbeitsplätze und eine jährliche Bruttowertschöpfung von 3,35 Mrd. Euro (exklusive Veranstaltungsbereich).

Erst 2021 Auswirkungen sichtbar

Dabei seien die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie in vielen Teilen der Branche noch nicht gänzlich sichtbar, sagt Georg Tomandl, Obmannstellvertreter von Film and Music Austria (FAMA), dem Fachverband der Film- und Musikwirtschaft in der WKÖ, gegenüber ORF.at. „Die Autoren, Komponisten und Musikverleger bekommen ihre Tantiemen erst ein Jahr im Nachhinein von der Verwertungsgesellschaft AKM ausbezahlt, wenn sie Verträge mit internationalen Verwertungsgesellschaften abgeschlossen haben, oft erst zwei Jahre im Nachhinein“, so Tomandl. Diese Ausfälle werde man frühestens 2021 deutlich spüren.

Auch im Bereich der Produktion führt die Pandemie zu Ausfällen, die für die Konsumenten erst mittelfristig zu bemerken sein werden. Tomandl, der auch Betreiber des Tonstudios Sunshine Mastering ist, erzählt aus dem Alltag: „Im Bereich der Postproduktion kann man im Moment gut arbeiten, Aufnahmen mit einzelnen Berufsmusikern sind mit Hygienekonzept im Studio möglich. Schwierig wird es bei Bandaufnahmen oder Einspielungen mit Orchestern.“

Kreislauf der Ausfälle

Obwohl viele Studios während des ersten Lockdowns viel produziert haben, beispielsweise Informationscontent zur Krise, entstehen große Probleme. Musikalische Produktionen werden fast ausschließlich durch die Investition der Labels, die Zeit und Ersparnisse der Musikerinnen und Musiker vorfinanziert. Wenn Unternehmen und Künstlerinnen und Künstler jetzt ihre Existenzgrundlage verlieren, geht das Material der nächsten Jahre verloren.

Die aktuelle Situation produziert in allen Segmenten der Musikwirtschaft Engpässe. Allein aufgrund der Schließungen im Handel wird der Verkaufsmarkt 2020 um rund 20 Millionen Euro schrumpfen, prognostiziert die WKÖ. Das wiederum verringert das Kapital, mit dem jetzt die Charthits 2021 und 2022 geschrieben, geprobt, aufgenommen und gemischt werden könnten.

Streaming-Markt kein Ersatz

Ist es aber nicht so, dass die Menschen nun zwangsweise zu Hause sitzen und anstatt zu Konzerten zu gehen vermehrt die Musik streamen? Möglicherweise, aber das wird die Verluste nicht ausgleichen können. „Der jahrelange Trend zeigt, dass direkt lizenzierte Musik weniger Umsätze bringt“, so Tomandl. „Direkt lizenzierte Musik“, das ist sowohl ein physischer Tonträger als auch ein Stream. „Erst 2019 gab es eine Trendwende.“

Publikum bei Konzert
Getty Images/simonkr
Konzerte waren bis zur CoV-Krise die stabilste Einkommensquelle für Musikerinnen und Musiker

Verkaufte Alben und Streams machen also beim Einkommen von Musikerinnen und Musikern wieder prozentuell mehr aus, wichtig ist aber weiterhin auch der Livebereich. Dieser bewegt sich seit langer Zeit auf einem ähnlichen Niveau, wurde aber zunehmend wichtiger für die Musikschaffenden, als die Albumverkäufe abfielen.

Der Gagenausfall im Bereich der Musikinterpretinnen und -interpreten beläuft sich laut WKÖ im Zeitraum März bis Dezember 2020 auf geschätzte sieben Millionen Euro. Das sind herbe Einbußen, bei einem Jahresdurchschnittseinkommen von 14.628 Euro. Die Zahl stammt von der österreichischen Gesellschaft für Musikwirtschaftsforschung und bezieht sich auf Deutschland per 1.1.2019, bildet aber einen guten Richtwert für heimische Verhältnisse.

„Atypische Unternehmungen“

Woran es fehlt, so Tomandl, sind geeignete Instrumente zur Hilfe. Kredithaftungen seien jedenfalls kein adäquates Mittel zur Unterstützung des heimischen Musikschaffens, so Tomandl. Die meisten Unternehmungen in Österreich seinen „atypisch“. Die WKÖ fasst die Unternehmensstruktur der Branche so zusammen: „Die Musikbranche arbeitet in klein- und arbeitsteiligen Organisationsformen, KMUs und EPUs sind ebenso typisch wie Selbstständige und unregelmäßige Beschäftigungsformen. Alle diese Personen und Einheiten verfügen nicht über ausreichende Reserven, um die aktuellen Ausfälle kurz- oder langfristig zu kompensieren.“

Tomandl: „Im ersten Lockdown haben zwar die Verwertungsgesellschaften AKM und LSG sehr schnell und unbürokratisch geholfen und Leistungen vorgeschossen, auch der Österreichische Musikfonds, der heimische Produktionen unterstützt, hat Zahlungen vorgezogen.“ Es werde sich aber zeigen, in welchem Umfang Umsatzersatzleistungen für die Musikwirtschaft gewährt werden, die FAMA stelle sich Quoten vor, die mit dem Handel vergleichbar seien, so Tomandl.