Demonstrantin als Hase verkleidet
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CoV-„Querdenker“

Gutes Geschäft mit Groll gegen Maßnahmen

Den Anfang hat „Querdenken 711“ gemacht: Unternehmer Michael Ballweg hat im Frühjahr in Stuttgart eine Bewegung ins Leben gerufen, die seitdem deutschlandweit – und darüber hinaus – gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus mobilisiert. An Geld mangelt es nicht, die „Querdenker“ profitieren davon, dass Wut die Geldbörsen zu öffnen scheint. Das Konstrukt dahinter ist denkbar intransparent.

Der Stuttgarter Gruppe, die wie alle „Querdenken“-Initiativen mit der Telefonvorwahl ihrer Stadt gekennzeichnet ist, haben sich inzwischen rund 60 regionale Ableger in Deutschland angeschlossen, dazu kommen vier in Österreich (Wien, Linz, Innsbruck, Bregenz) und zwei in Südtirol (Bozen, Meran).

Zumindest in Deutschland sind die Mitglieder durchaus umtriebig – der Website von „Querdenken 711“ zufolge sind nahezu täglich regionale Protestkundgebungen angemeldet. Teilweise firmieren sie unter „Mahnwache“ oder „Großdemonstration“, anderswo tarnen sie sich als „Spaziergang zur Stärkung des Immunsystems“.

Sprudelnde Geldquellen

Geldsorgen dürften die Initiative dank einer zahlungsbereiten Anhängerschaft nicht plagen. Das wurde Medienberichten zufolge schon im Mai ersichtlich: Bei einer Veranstaltung in Stuttgart rief Ballweg damals zu Spenden für die Technikfirma V.T.S. (Veranstaltungstechnik Stuttgart) auf, mit der „Querdenken“ zusammenarbeitet. Es sei ein „Brandanschlag“ auf „unser Technikteam verübt" worden, dieses brauche dringend Geld, sagte Ballweg. Binnen weniger Tage kamen 220.000 Euro zusammen. „Spätestens da dürfte dem 46 Jahre alten IT-Unternehmer klargeworden sein, welches finanzielle Potential in seiner Bewegung steckt“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“).

Michael Ballweg, Initiator von „Querdenken 711“
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Michael Ballweg ist Initiator der Bewegung und durchaus findig, was deren Finanzierung betrifft

Auf der Website von „Querdenken 711“ bedankte man sich für das Geld für die V.T.S. Bereits am 25. Mai kam laut Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) eine weitere Nachricht hinzu: „Unterstütze uns finanziell mit einer Schenkung (max. 19.999 EUR in 10 Jahren). Du hilfst uns damit bei der Organisation der Demos und Finanzierung der Klagen.“ Darunter fand und findet sich die private Kontonummer Ballwegs. „Wir arbeiten derzeit an der Eintragung der Gemeinnützigkeit und können bis dahin keine Spendenquittungen ausstellen“, hieß es zur Erklärung – seit mittlerweile einem halben Jahr ist der Wortlaut unverändert. Ebenso lang herrscht Schweigen zu konkreten Zahlen.

„Maximale Intransparenz“ bei Finanzen

Ballweg gibt keine Auskunft darüber, wie viel er an Schenkungen erhalten hat und was er mit dem Geld macht. „Die Anzeigepflicht existiert nur für Schenkungen, die die Freibeträge überschreiten“, hielt er dazu immer wieder fest. „Bei uns ist dies nicht der Fall.“ Bis zu 19.999 Euro kann er je Schenker vereinnahmen, ohne das irgendwo angeben zu müssen. In der Regel handle es sich „um Schenkungen zwischen 5 und 100 Euro“ für seine Bewegung.

„Querdenken“ ist also bisher kein Verein, keine Stiftung und keine politische Bewegung, was es den Behörden unmöglich macht, die Geldflüsse einzuordnen – als Privatperson unterliegt Ballweg keiner Transparenzpflicht. „Es bleibt bei maximaler Intransparenz“, schrieb der MDR. Die „FAZ“ pflichtete dem bei und zitierte den Steuerrechtsexperten Johannes Fein: „Solange Ballweg das so fährt wie bisher, bleibt das intransparent. Es gibt keine Anzeige- oder Erklärungspflicht für Schenkungen unterhalb von 20.000 Euro.“

In Österreich ist das, laut Website der Bewegung, eindeutiger geregelt. „Das Team von Querdenken in Österreich organisiert und veranstaltet Kundgebungen und ‚Feste für Freiheit und Frieden‘ sowie Demos gegen den ‚Corona-Wahnsinn‘. Unterstützen Sie uns bitte finanziell über unseren gemeinnützigen Förderverein“, heißt es da. Darunter ist die Nummer eines Kontos bei der Sparkasse Bregenz angeführt.

„Querdenken Frieden Freiheit Widerstand“ steht auf der Rückseite des Pullovers eines Demonstranten bei einer Demonstration
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Das „Querdenker“-Bündnis bezeichnet sich selbst als „weder rechts noch links“

Merchandisinggeschäft läuft gut

Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg und hat sich von Anfang an mit der „Querdenken“-Bewegung in Stuttgart befasst. „Es gehört zum üblichen Vorgehen der Wortführer beim Verbreiten von Verschwörungsmythen, dabei möglichst viel Geld abzugreifen“, sagte Blume der „FAZ“. „Die da oben gegen uns da unten, das heißt auch: Denen da oben könnt ihr nicht trauen, aber uns; wir kämpfen für euch, also gebt uns euer Geld.“ Und das ist nach Blumes Einschätzung nicht wenig, beim Beschwören von Ängsten würde "das verschwiegene Bürgertum gerne das Portemonnaie öffnen“.

Ballweg ist keineswegs der Einzige, der in der aktuellen Situation profitiert. Rund um die Proteste, schrieb der Schweizer „Tagesanzeiger“, habe sich ein gewichtiges Merchandisinggeschäft aufgebaut, „in dem Pullover, T-Shirts, Masken, Mützen, Aluhüte, Schutzamulette, Aufkleber oder Fahnen verkauft werden – aber auch Zelte, Rucksäcke und Überlebensgeräte für jene ‚Querdenker‘, die glauben, die Apokalypse stehe kurz bevor“.

Energy-Drinks, Burger und „Taler“ im Angebot

Auf den Bühnen von „Querdenken“ tauchen zudem zahlreiche Coronavirus-Leugner auf und werben für ihre Bücher, ihre Fonds oder andere Produkte, schrieb die „FAZ“. Der Berliner Koch Attila Hildmann etwa verbinde seine antisemitischen Verschwörungsreden mit Aufrufen, seine Energy-Drinks, veganen Burger sowie obskure „Siegfried-Taler“ zu kaufen – Münzen mit einem Edelmetallanteil, die für mehrere tausend Euro und damit ein Mehrfaches ihres Materialwertes angeboten werden. Von den „Querdenken“-Anhängern werde das Vorgehen ihrer Anführer kaum hinterfragt, sagte Blume: „Sie bekommen von Ballweg und anderen seit Monaten eingetrichtert: Traut niemandem außer mir. Und das machen sie dann auch blind.“

Tausende von Menschen bei einer Demonstration in Stuttgart, im Mai 2020
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Anhänger und Anhängerinnen sorgen dafür, dass viel Geld für die „Querdenker“ zusammenkommt

Österreicher organisiert Bustransfers

Auch Geschäftszweige, die in der Pandemie eingebrochen sind, versprachen sich Aufwind von den Aktivitäten der „Querdenken“-Bewegung – allen voran Busunternehmer. Hunderttausende Euro seien durch die Transfers zu den Demonstrationen in die Taschen einer Handvoll Organisatoren geflossen, sagte Joachim Jumpertz gegenüber der „FAZ“. Er betreibt selbst eine Busvermittlung und gründete im April die Organisation „Honk for Hope“ (Hupen für Hoffnung), die auf die Notlage der Busbranche aufmerksam machen wollte. Im Juli stieg er allerdings aus, entsetzt darüber, welche Richtung die Sache nahm. „Was da in den Telegram-Chat-Gruppen abgeht, das können Sie sich kaum vorstellen“, sagte er der „FAZ“.

Profiteur dessen war unter anderen Alexander Ehrlich, ein 41-jähriger Reiseunternehmer aus Wien, der die „Querdenker“-Bewegung mit seiner City Tours GmbH unterstützt. Die Preise der Transfers lägen etwa 20 Prozent höher als bei Flixbus, zusätzlich werde bei jeder Bestellung um Spenden gebeten, sagte Jumpertz. Außerdem würden die Busse stärker ausgelastet, als es bei Einhaltung der Hygienevorschriften möglich wäre.

Gegenüber der „Welt“ betonte Ehrlich, dass er zum Hygienekonzept der Reisebusse stehe, dessen wichtigster Teil die Maskenpflicht an Bord ist. Jedoch seien Busfahrer „keine Polizisten, die die Einhaltung kontrollieren können“. Er selbst habe dennoch für Risikogruppen eine höhere Schutzstufe der Masken empfohlen. Ehrlich räumte gegenüber der Zeitung ein: „Die Querdenker sind ein Segen für die Branche. Sie wollen mit dem Bus fahren, wir brauchen Fahrgäste – das ist eine Win-win-Situtation.“

Markenstreit entbrannt

Unbill droht der Bewegung nun von überraschender Seite, wie die „FAZ“ berichtete: Zwar hat Ballweg schon im Juni die Marke „Querdenken 711“ beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet, nun wurde aber Widerspruch erhoben – von einem Münchner Unternehmen namens „Querdenker United“. Das Unternehmen wird im DPMA-Register als Inhaber der Marke „Querdenker“ geführt, eingetragen im Jahr 2011. Laut Geschäftsführer Ansgar Oschwald beschäftigt es sich mit „Innovation und Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft“.

„Im Grunde geht es uns darum, unsere Community zu schützen“, sagte Oschwald der „FAZ“. „Querdenker ist historisch in Deutschland positiv besetzt gewesen. Das hatte etwas mit Kreativität und Lösungen zu tun, nicht mit Gegen-etwas-Sein und Demonstrationen. Dass der Begriff so veruntreut wird, das schmerzt.“ Seinem Unternehmen gehören auch die Internetseiten Querdenker.de und Querdenker.one. Dort hat er nun eine Mitteilung veröffentlicht, um sich von der Protestbewegung abzugrenzen. Oschwald gibt sich optimistisch: „Den Ausgang des Verfahrens können wir nicht vorhersehen, gehen aber davon aus, dass unser Einspruch Bestand haben wird.“