CoV-Warnschild am Flughafen LaGuardia
AP/John Minchillo
Thanksgiving

Amerikaner trotzen Warnungen

Thanksgiving, die US-Variante des Erntedankfestes, ist für viele das wichtigste Familienfest des Jahres. Millionen Menschen nehmen trotz eindringlicher Appelle lange Reisen auf sich, um die Verwandtschaft zu besuchen. Die Feiertage führten schon zur betriebsamsten Reisetätigkeit seit den Anfängen der Pandemie im März.

An Dramatik mangelte es nicht bei den Appellen, dieses Jahr die Feiern zu Thanksgiving am Donnerstag anders zu gestalten. Am Mittwoch rief der künftige US-Präsident Joe Biden die Bürgerinnen und Bürger nochmals dazu auf, nicht zu verreisen. Die Zahl der Neuinfektionen sei mit derzeit 160.000 pro Tag zu hoch, bald könnte sie auf 200.000 steigen und das Gesundheitswesen für die insgesamt rund 330 Millionen Einwohnern überlasten. Die Anstrengungen zur Eindämmung des Virus müssten verdoppelt werden. „Ich weiß, dass das Land des Kampfes überdrüssig geworden ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns im Krieg mit dem Virus befinden, nicht miteinander, nicht untereinander“, sagte Biden.

Auch der Leiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Jerome Adams, warnte davor, den „Ernst des Augenblicks“ zu unterschätzen. Reisen seien zu unterlassen, die Rekordzahlen bei den Hospitalisierungen hätten mancherorts das Krankenhauspersonal an seine Grenzen gebracht. „Wir sind knapp vor einem Impfstoff. Es gibt neue Arzneimittel. Wir bitten Sie, die amerikanische Bevölkerung, nur, ein bisschen länger durchzuhalten“, sagte Adams, der auch Mitglied der Taskforce im Weißen Hauses ist.

Fauci empfängt Familie via Bildschirm

Die Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control (CDC) rief auch erstmals dazu auf, zu Hause zu bleiben. Sie gab genaue Empfehlungen für Thanksgiving aus. Der sicherste Weg, das Fest zu begehen, sei schlicht, niemanden zu treffen, mit dem man nicht zusammenlebe. Für Reisen, Gastgeber und Gäste gibt es Leitfäden und Checklisten. Empfohlen wurde freilich aber, gar nicht zu reisen. Man könne innerhalb des eigenen Haushalts auch die Feiertage genießen, fernsehen, Spiele spielen oder online einkaufen, hieß es. Der führende US-Virologe Anthony Fauci sagte, er werde mit seinen drei Töchtern virtuell feiern. „Wenn wir diese Dinge tun, werden wir es schaffen. Das ist also meine letzte Bitte vor den Feiertagen“, sagte Fauci am Mittwoch im Sender ABC.

Ein Display auf der Autobahn mit der Aufschrift „Drive safe this Thanksgiving“
AP/Orlin Wagner
Die Appelle waren zahlreich, scheinen aber wenig bewirkt zu haben

Gouverneure mehrerer Staaten reduzierten die Maximalanzahl bei Treffen in Privathäusern. Expertinnen und Experten verwiesen auch auf Erfahrungen dieses Jahres: Auch nach dem Nationalfeiertag am 4. Juli, nach dem Labor Day Anfang September und zuletzt nach Halloween waren die Zahlen deutlich gestiegen. Forscher des Georgia Institute of Technology und der Stanford University rechneten vor, dass die Chance, dass bei einem Thanksgiving-Festmahl ein mit dem Coronavirus infizierter Teilnehmer mit dabei sei, in manchen Gegenden der USA bei mehr als 99 Prozent liege.

Viele Reisen, viele Feiern

Gewirkt scheinen aber alle Bitten nicht zu haben. Nach Angaben des Verkehrsverbands AAA hatten rund 50 Millionen Amerikaner zumindest vorläufige Reisepläne, das sind nur etwa zehn Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Einer Umfrage der Ohio State University zufolge hatten rund 40 Prozent der Amerikaner zumindest vorläufig geplant, an einem Thanksgiving-Fest mit zehn oder mehr Menschen teilzunehmen.

Schon am Wochenende gingen in Sozialen Netzwerken Bilder von den überfüllten Flughäfen etwa in Chicago und Phoenix um. Tatsächlich wurden von Freitag bis Sonntag mehr als drei Millionen Passagiere an den US-Flughäfen gezählt, so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Das sieht man auch an Zahlen aus der Versicherungsbranche. Die Suchanfragen zu wasserdichten Reiseversicherungen sind sprunghaft gestiegen: Laut der Vergleichswebsite Squaremouth wurden um 170 Prozent mehr Versicherungen verkauft als zum gleichen Zeitrum im Vorjahr, der Großteil der Kunden suchte gezielt nach einer Deckung von Ausfällen durch das Coronavirus.

Thanksgiving könnte zum „Spreaderevent“ werden

Thanksgiving könnte in den USA die Infektionszahlen weiter in die Höhe schnellen lassen. Millionen Menschen reisen quer durch das Land.

Vor der Reise zu den Verwandten wollten sich zudem viele noch schnell testen lassen. In New York und anderen Metropolen bildeten sich vor den Testzentren über Tage hinweg lange Schlangen, teilweise über mehrere Straßenblocks hinweg. Die Teststraßen beginnen in New York um 8.00 Uhr zu arbeiten. „Ich war um 6.30 Uhr hier, aber ich konnte nicht einmal mehr den Beginn der Schlange sehen“, sagte eine Frau am Donnerstag zu Reuters.

Mann als Truthahn verkleidet
AP/Mary Altaffer
Vorbereitungen für die berühmte Parade zu Thanksgiving in New York: Heuer wird teilweise sogar voraufgezeichnet

Kaum etwas fand an diesem Feiertag so statt wie üblich. Sogar die traditionelle Thanksgiving-Parade in New York unterwarf sich strengen Regeln. Wo normalerweise schon am Vorabend Tausende Menschen das Aufblasen der Heliumballons bestaunen und Tausende weitere die Parade in den Straßen von New York verfolgen, waren heuer keine Zuschauer an Ort und Stelle zugelassen. Ballons und Auftritte von Stars gab es zwar auch diesmal, sie waren jedoch nur via TV zu sehen. „Lasst uns zusammen feiern“, hieß es von der Kaufhauskette Macys, die die Parade veranstaltet, „jeder bei sich zu Hause“.