EU Ratsgebäude in Brüssel
AP/Olivier Matthys
Landwirtschaft

Der Elefant im EU-Ei

Mit über 380 Milliarden Euro soll auch in den nächsten sieben Jahren ein Großteil des EU-Budgets in die Landwirtschaft fließen. Während man auf der einen Seite eine Revolution für den Klimaschutz in Aussicht stellt, wird auf der anderen Seite kritisiert, dass man an jahrzehntealten Strukturen festhält. Für die Landwirte geht es um einiges: Für viele sind die EU-Gelder eine wichtige Einkommensstütze. Ein Systemwechsel gilt aber als unumgänglich.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ist ein kaum überschaubarer Brocken im EU-Budget mit schier unzähligen Details: Geregelt wird darin etwa die Bezeichnung von Veggieburgern bis hin zu Geldmittel für Tiere, die in Stierkämpfen eingesetzt werden. Doch schon auf den ersten Blick wird klar, dass es eine Schieflage gibt – denn das Budget ist in zwei äußert ungleiche Säulen aufgeteilt.

Die erste Säule macht rund 80 Prozent der EU-Gelder aus – die Zahlungen daraus richten sich in erster Linie nach der bewirtschafteten Fläche. Die wesentlich kleinere zweite Säule ist für die Entwicklung des ländlichen Raums gedacht. Themen wie Umweltschutz und Artenvielfalt verstecken sich dahinter – und spielen somit eine untergeordnete Rolle.

„Eco-Schemes“ sollen Abhilfe schaffen

Das passt jedoch schon länger nicht mehr in den Plan der EU-Kommission, die ja zuletzt ein neues ambitioniertes Klimaziel für 2030 vorgab. Dabei spielt die Landwirtschaft eine ganz wesentliche Rolle für das Klima: Sie trägt weltweit rund ein Viertel aller Treibhausgasemissionen bei, innerhalb der EU liegt dieser Anteil bei rund zehn Prozent und liegt damit nur hinter der Energieerzeugung und dem Verkehr.

Entsprechend kündigte man 2018 an, auch in der Agrarpolitik diesen Fokus künftig hervorzuheben – und präsentierte eine Reform der lukrativen ersten Säule. Konkret geschieht das über „Eco-Schemes“ – ein Teil des Geldes wird an konkrete Maßnahmen gekoppelt, die Ziele, wie etwa den Umwelt- und Klimaschutz, fördern sollen.

Im Oktober war die GAP dann Thema beim Rat der EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister, kurz darauf im EU-Parlament. Und: Sowohl im Rat als auch im Parlament stieg weißer Rauch auf, die Positionen der Verhandlungspartner wurde damit festgelegt. Von einer Einigung ist man dennoch entfernt: So will der Rat etwa 20 Prozent der Zahlungen an die „Eco-Schemes“ koppeln, das Parlament 30 Prozent.

EU-Kommission mit Parlament und Rat unglücklich

Christian Rehmer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht hier aber, dass unabhängig vom Ergebnis ein „Systemwechsel weg von pauschalen Flächenzahlungen herbeigeführt“ werden soll, sagt er im Gespräch mit ORF.at. Momentan verhandeln die zwei gewählten Organe noch miteinander – sehr zum Unmut der Kommission, die den Vorschlag ursprünglich gemacht hatte, aber kein Mindestbudget festlegen wollte. Sie übte zuletzt scharfe Kritik an den Positionen beider Verhandlungspartner, nannte einige Aspekte „nicht vereinbar“ mit den Klimaschutzzielen der EU.

Europagebäude  in Brüssel bei Nacht
ORF.at/Florian Bock
Im eiförmigen Europagebäude in Brüssel treten die Minister zusammen – und beraten auch über Agrarpolitik

Wenig Bewegung bei alten Strukturen

Denn während die Kommission mit ihrem Klimaziel für das Jahr 2030 die Latte hoch ansetzt, vermisst man bei der Landwirtschaft große Bewegung – alles läuft darauf hinaus, dass die Direktzahlungen nach der Fläche den Großteil der EU-Zuschüsse ausmachen. Dadurch profitiert heute in erster Linie die industrielle Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie.

Das liegt auch an der langen Geschichte der GAP, die es bereits seit 1957 gibt, beschlossen von den damals sechs Gründungsmitgliedern der Europäischen Gemeinschaften. Damals standen nicht nur die Bäuerinnen und Bauern, sondern ganz Europa anders da. Im Nachkriegseuropa schrieb man in den Gründungsverträgen das Ziel fest, die Versorgungssicherheit sicherzustellen, den Markt zu stabilisieren und dabei den Menschen in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt ausreichend zu sichern.

Direktzahlungen für „Wettbewerbsgerechtigkeit“

Diese Grundsätze zeigen sich heute noch immer in der ersten Säule der GAP. Der Europäische „Garantiefonds“, aus dem das Geld kommt, ist eine Art „Einkommensstütze“, so Andre Algermißen, von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die der deutschen CDU nahesteht, im Gespräch mit ORF.at. Sie sei dazu da, „Wettbewerbsgerechtigkeit herzustellen“.

Unabhängig davon, dass damit vor allem große Betriebe das meiste Geld kassieren: Die Zahlungen aus der ersten Säule machen einen enormen Anteil der Einkünfte von Landwirten aus, wie auch Rehmer vom BUND sagt. Sollten die Direktzahlungen wegfallen, „fällt circa die Hälfte des Einkommens weg“, so Rehmer im Hinblick auf die Situation in Deutschland, in Österreich dürfte es sich ähnlich verhalten.

Artenvielfalt auf dem Feld

Doch wie schauen diese Ökoregelungen, die „Eco-Schemes“, in der Praxis aus? Den Mitgliedsstaaten wird hier freie Hand gelassen – was nicht zuletzt daran liegt, dass die Landwirtschaft in den einzelnen Staaten ganz unterschiedlich aussieht.

Rehmer nennt als Beispiel ein Weizenfeld – davon könnte man etwa „20 Prozent für Feldgehölz und Hecken“ verwenden, damit sich hier Vögel verstecken können und man so die Biodiversität fördere. Dafür würde man dann einen gewissen Zuschuss pro Hektar bekommen – also praktisch als Ausgleich dafür, dass letztlich weniger Weizen wachsen kann. Auch sind etwa breitere Reihen vorstellbar, also mehr Abstand zwischen den Pflanzen. Pilze würden sich dadurch nicht so schnell verteilen, mehr Licht würde den Boden erreichen und auch Unkraut könne besser wachsen. Das sei gut für Insekten, so Rehmer.

Vor allem progressive Länder würden das als Chance begreifen und entsprechend nutzen, vermutet Rehmer. Und die Gefahr, dass das System von anderen Staaten durch die freiwillige Wahl der Umweltschutzprogramme ausgenutzt wird, schätzt er als gering ein, denn entsprechende Strategiepläne müssen erst nach Brüssel geschickt werden und von der EU abgesegnet werden.

Keine Direktzahlungen – und dann?

Ein richtiger Systemwechsel ist aber auch das freilich noch nicht. Rehmer verweist auf Agrarökonomen, die zwar einerseits der Ansicht sind, dass die Flächenprämie abgeschafft gehört – doch ein richtiges Ersatzmodell fehlt bisher. Für den Umweltexperten sei das aber eine ganz wesentliche Frage.

Man müsse die „kritische Frage stellen, wie mit Steuergeld umgegangen wird“. So wie man sich frage, ob der „Bau einer Autobahn sinnvoll“ sei, müsse man auch prüfen, welche Leistung mit dem Steuergeld für die Landwirtschaft erbracht werde. Die alleinige Einhaltung von europäischem Recht sei in seinen Augen jedenfalls noch „keine öffentliche Leistung“.

Naturschutz wie Urlaub auf dem Bauernhof

Rehmer erwähnt etwa, dass es Prämien geben müsste, die es ermöglichen, dass „Naturschutz zu einem Betriebszweig“ werden könne. So wie jetzt ein Betrieb Getreide anbaut, Tiere züchtet und etwa Urlaub auf dem Bauernhof anbietet, soll auch der Naturschutz Teil seines Tätigkeitsbereichs werden.

Traktor mit Düngemittel auf einem bewirtschafteten Feld am Mieminger Plateau, Tirol
Getty Images/iStockphoto/loeskieboom
Ein Großteil der EU-Gelder wird nach der Fläche vergeben

Freilich wäre ein Abschied von den Direktzahlungen wohl auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten spürbar. Rehmer spricht hier von „Discounter-Mentalität“ – für „faire Erzeugerpreise“ brauchte man auch „etwas höhere Verbraucherpreise“.

Das müsse aber nicht sein – in Wirklichkeit gehe es darum, die Macht des Erzeugers zu erhöhen, sodass er etwa den Preis des Händlers nicht automatisch akzeptieren müsse, so Rehmer. Das ist in Österreich und Deutschland ein großes Thema: Immer wieder wird der Vorwurf laut, dass die Supermarktketten aufgrund ihrer Macht die Preise praktisch im Alleingang bestimmen.

Nur wenige Betriebe kassieren oft Großteil

Dass die größere Säule des EU-Agrartopfes an die Fläche gekoppelt ist, führt auch dazu, dass in einigen Ländern nur sehr wenige Firmen den größten Anteil der europäischen Gelder kassieren. Laut „Agrar-Atlas 2019“ von der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung kassiert etwa in der Slowakei ein Fünftel der Betriebe sogar 94 Prozent der EU-Direktzahlungen. In Tschechien sind es 89 Prozent – in Österreich zum Vergleich nur 58.

Der Landwirtschaftsexperte Algermißen sieht hier aber in der künftigen EU-Agrarpolitik keine prinzipielle Benachteiligung von kleineren Betrieben. Er verweist etwa darauf, dass die „Eco-Schemes“ von kleineren Betrieben leichter erfüllt werden können. Auch verweist er auf die Umverteilungsprämie, mit der die ersten Hektar eines Betriebes stärker gefördert werden.

Freiwilligkeit als Bedingung und Hürde

Diese liegt aber in der Hand der Mitgliedsländer – genauso wie eine Kappung, also eine Obergrenze der Direktzahlungen, über die heftig diskutiert wird. Für Länder wie Deutschland wäre die ins Spiel gebrachte Grenze von „100.000 Euro“ ein enormer Einschnitt, „gerade im Osten“, so Rehmer. Berlin habe das jahrelang aktiv blockiert und die Freiwilligkeit zur Bedingung gemacht.

In Österreich äußerte man sich zum freiwilligen „Capping“ kritisch: Nur rund 16 Betriebe in Österreich würden Fördergelder über 100.000 Euro beziehen, rund 260 erhielten mehr als 60.000 Euro. „Die Umverteilungswirkung ist bei dieser Größe nicht gegeben“, hieß es im Oktober aus dem Landwirtschaftsministerium.

Thunberg, Timmermans und ein Brexit-Vorbild

Mit diesen freiwilligen Regelungen und runtergeschraubten Zielen steht die EU nun vor einem Reformpaket, das letztlich nur bedingt als Systemwechsel gelten kann. Ausgerechnet ein Staat macht vor, dass man sich aber von den Direktzahlungen sehr wohl trennen kann – das Brexit-Land Großbritannien. Erst Ende November wurde ein Übergangsplan vorgestellt, der eine radikale Kürzung der Direktzahlungen vorsieht – und zwar bis 2024.

Der Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Klimaaktivistin Greta Thunberg
Reuters/Johanna Geron
Thunberg (re.) und Timmermans (hi.), hier gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sind auf einer Linie

Will auch die EU mitziehen, wird bei den Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament noch viel passieren müssen. Scharfe Kritik an der Reform kam auch von Klimaaktivistin Greta Thunberg – die jetzt mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans gegen den jetzigen Stand mobil machen könnte. Die beiden trafen bei einer Videokonferenz zusammen – Timmermans gilt als scharfer Kritiker des jetzigen Verhandlungsstandes.

Auch Rückzieher noch möglich, doch Einigung in Sicht

Thunberg fordert ein komplettes Zurückziehen der derzeitigen Reform, ein Vorschlag den auch schon Timmermans brachte – und dafür von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisiert wurde. Theoretisch möglich wäre das zwar, so Rehmer – sowohl er als auch Algermißen gehen aber davon aus, dass im Frühling des kommenden Jahres die Reform endgültig stehen wird. Damit wäre die Chance auf einen Systemwechsel wohl erst mit dem nächsten EU-Budget – also nach 2027 – gegeben.