Äthiopische Soldaten
AP/Ethiopian News Agency
Ultimatum abgelaufen

„Finale Offensive“ gegen Tigray vor Start

Nach dem Ablauf eines Ultimatums zur Kapitulation der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hat Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed dort eine „finale Militäroffensive“ angeordnet. Man rufe die Bewohner von Mek’ele – der Hauptstadt von Tigray – auf, die Waffen niederzulegen, in ihren Häusern zu bleiben und sich von militärischen Zielen fernzuhalten, teilte Regierungschef Abiy am Donnerstag auf Facebook und Twitter mit.

Man werde sich während der Offensive bemühen, Zivilisten zu schützen. Zuvor waren die äthiopischen Streitkräfte in Richtung Mek’ele vorgerückt. In Mek’ele leben rund 500.000 Menschen. Am Sonntag hatte Abiy den Kräften in Tigray ein 72-stündiges Ultimatum zur Kapitulation gegeben. TPLF-Chef Debretsion Gebremichael wies das Ultimatum zurück. Nach Angaben des Ministerpräsidenten kapitulierten jedoch Tausende TPLF-Kämpfer.

„Die 72-Stunden-Frist, die der kriminellen TPLF-Clique zur friedlichen Kapitulation eingeräumt wurde, ist nun abgelaufen, und unsere Strafverfolgungskampagne hat ihre letzte Phase erreicht“, schrieb Abiy am Donnerstag nun auf Twitter. „Der letzte friedliche Ausweg, der der TPLF-Clique offengehalten wurde, ist nun verschlossen.“ Er forderte die Bevölkerung in Mek’ele auf, sich zu entwaffnen, zu Hause zu bleiben und sich von militärischen Zielen fernzuhalten. Das Militär werde dafür sorgen, dass unschuldige Zivilisten, Kultureinrichtungen, Kultstätten, Entwicklungseinrichtungen und Eigentum nicht geschädigt würden.

Gegenseitige Anschuldigungen

Eine unabhängige Überprüfung der Angaben beider Seiten ist nicht möglich, da die Telefon- und Internetverbindungen in Tigray unterbrochen sind und der Zugang in die Region strikt überwacht wird. Auslöser der Kämpfe war nach Darstellung der Regierung in Addis Abeba ein bewaffneter Angriff von TPLF-Kräften auf in Tigray stationierte Regierungstruppen.

Abiy wirft der TPLF vor, seinen Reformprozess untergraben und sich die Macht zurückholen zu wollen. Die TPLF habe einen bewaffneten Aufstand angezettelt. Abiy befahl mit dieser Begründung die Luftwaffe und Bodentruppen in die Region. Die TPLF hingegen wirft Abiy einen Angriff auf die Autonomie von Tigray vor. Abiy verfolge sie und vertreibe ihre Politiker von Regierungs- und Sicherheitsposten. Seit Beginn der Kämpfe am 4. November wurden Tausende Menschen getötet, mehr als 40.000 flohen in den Sudan.

Äthiopische Flüchtlinge
Reuters/Mohamed Nureldin Abdallah
Flüchtlinge holen in einem Camp Wasser

Hilfsorganisationen warnten erneut vor einer humanitären Katastrophe. „Keine der Kriegsparteien ist gewillt, Hilfsorganisationen Zugang zu den notleidenden Menschen in Tigray zu gewähren“, kritisierten Caritas International, Misereor und die Sternsinger. Zu den Opfern gehörten ältere Menschen, Schwangere, Kinder und Menschen mit Behinderungen, die nicht fliehen könnten. Zudem sei die Kommunikation mit den Menschen im Kampfgebiet nach wie vor weitgehend unterbrochen.

Ethnische Spannungen gestiegen

In dem Konflikt spielen ethnische Gruppen eine große Rolle. Äthiopien, eine Föderation aus zehn ethnischen Regionen, wurde jahrzehntelang von Tigray dominiert, bis Abiy vor zwei Jahren Ministerpräsident wurde. Der Friedensnobelpreisträger von 2019 gehört der Bevölkerungsmehrheit der Oromo an und hat auch familiäre Wurzeln in Amhara, einer Nachbarregion von Tigray. Im Vielvölkerstaat Äthiopien mit seinen rund 112 Millionen Einwohnern gibt es zahlreiche ethnische Spannungen, die unter Abiy gestiegen sind.

Abiy verwehrt sich gegen „Einmischung“ von außen

Nach Appellen für ein Ende des Konflikts in Äthiopien forderte Ahmed die internationale Gemeinschaft auf, sich nicht einzumischen. „Während wir die Bedenken und den Rat unserer Freunde berücksichtigen, lehnen wir irgendeine Einmischung in unsere internen Angelegenheiten ab“, teilte Abiy am Mittwoch mit.

Hindernisse am Flughafen in Aksum
APA/AFP
Barrikaden auf einem Flugfeld in Aksum sollen das Landen von Flugzeugen verhindern

Als souveräner Staat habe Äthiopien das Recht, innerhalb der Landes die Gesetze zu wahren und zu vollstrecken. Man ermahne daher die internationale Gemeinschaft mit Respekt, jegliche unerwünschte und unrechtmäßige Einmischung zu unterlassen. Am Dienstag hatte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Konfliktparteien zum Schutz der Zivilbevölkerung aufgefordert. Zudem beschäftigte sich der UNO-Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen erstmals mit dem Konflikt.

UNO warnt vor Flüchtlingskrise im Sudan

Durch den militärischen Vormarsch in Tigray bahnt sich im Nachbarland Sudan eine Flüchtlingskrise an. Die Vereinten Nationen stellen sich auf 200.000 Flüchtlinge ein, wie Vertreter des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) und des Welternährungsprogramms (WFP) vor einer Woche per Videolink aus Khartum nach Genf berichteten. Die UNO-Organisationen brauchen für die direkte Nothilfe dringend 50 Millionen Dollar (rund 42 Millionen Euro).

„Wenn wir nicht schnell reagieren, könnte nicht nur Äthiopien, sondern auch der Sudan zerfallen“, warnte UNICEF-Vertreter Abdullah Fadil. Durch die CoV-Krise erlebe der Sudan selbst bereits eine beispiellose Wirtschaftskrise. Die Organisationen brauchten dringend Geld, um sich auf den erwarteten Ansturm einzustellen. Jeden Tag kämen 4.000 bis 5.000 Menschen über die Grenze, die vor dem Konflikt in Äthiopien in das nördliche Nachbarland flüchteten. WFP verteilt Essen. Es seien genügend Nahrungsmittel für 60.000 Menschen für einen Monat vor Ort, aber die Organisationen gingen davon aus, dass das nicht reiche.