Polizei vor dem Gerichtsgebäude in Ankara
AP
Putschversuch in Türkei

Lebenslange Haft für 337 Angeklagte

Der Putschversuch in der Türkei von 2016 wirkt bis heute in dem Land nach. Über vier Jahre später wurden nun im Hauptverfahren die Urteile über mehrere hundert Angeklagte gefällt. Dutzende bekamen lebenslängliche Haftstrafen. Das Gericht sprach sie unter anderem wegen des Bruchs der Verfassung, der „versuchten Ermordung des Präsidenten“ und des Totschlags für schuldig.

Mehr als 470 Menschen waren in dem Verfahren angeklagt. Unter ihnen befanden sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auch Anführer des gescheiterten Putschversuchs. Neben 337 – teils mehrfach – lebenslangen Haftstrafen sprach das Gericht 60 einfache Haftstrafen aus. 75 Menschen wurden am Ende des Prozesses, der am 1. August 2017 begonnen hatte, freigesprochen.

Unter den Verurteilten befinden sich hochrangige Offiziere, Piloten und Zivilisten. Die Piloten sollen während des Putschversuchs mehrere Gebäude in Ankara aus der Luft bombardiert haben. Die Offiziere wurden beschuldigt, den Putsch von der Militärbasis Akinci aus angeführt zu haben. Auch vier Männer, die dem Gericht nach ein Attentat auf den Präsidenten geplant hatten, wurden zu 79-facher lebenslanger Haft verurteilt.

Polizei vor dem Gerichtsgebäude in Ankara
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Die Urteilsverkündung wurde von einem Großaufgebot der Polizei begleitet

Der Prozess fand unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Dutzende Sicherheitskräfte waren während der Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Der Sprecher einer Vereinigung der Angehörigen der Opfer zeigte sich erleichtert über die Gerichtsentscheidung. „Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan“, sagte Ufuk Yegin. 365 der Verurteilten sind Anadolu zufolge bereits in Untersuchungshaft.

Putschisten ohne Rückhalt in Bevölkerung

Am Abend des 15. Juli 2016 hatten Teile des Militärs gegen die Regierung geputscht. In Istanbul und der Hauptstadt Ankara gab es Gefechte zwischen Putschisten und staatstreuen Sicherheitskräften. Auch das Parlamentsgebäude in Ankara wurde beschossen. Die Putschisten setzten Panzer und Kampfjets ein und feuerten unter anderem auf Zivilisten, die sich ihnen entgegenstellten und damit einem Aufruf von Präsident Recep Tayyip Erdogans folgten.

Nach offiziellen türkischen Angaben wurden mehr als 250 Menschen getötet und rund 2.000 verletzt. Der Putschversuch hatte weder in der Bevölkerung noch bei der politischen Opposition Rückhalt. Auch innerhalb des Militärs fanden die Putschisten nur wenig Unterstützung. Bereits am nächsten Tag wurde der Aufstand niedergeschlagen.

Zehntausende Verhaftungen

Präsident Erdogan machte umgehend die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Dieser lebt seit 1999 im US-Exil. Er bestreitet die Vorwürfe. Gülens Bewegung war lange mit der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan verbündet, bevor sich die beiden Männer 2013 im Streit um Macht und Posten überwarfen. Bereits 2018 wurden Gülens Bruder und Neffe wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Die türkische Regierung verschärfte in der Folge des Putsches ihr Vorgehen gegen die Opposition drastisch. Landesweit wurden Hunderte Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. Zehntausende Menschen wurden festgenommen, Zehntausende Beschäftigte des Staatsdienstes entlassen. Möglich wurde das unter anderem, weil das Parlament fünf Tage nach dem Putschversuch einen dreimonatigen Ausnahmezustand über das Land verhängte, der bis Juli 2018 mehrfach verlängert wurde.

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu sagte Anadolu zufolge am Donnerstag, dass bis zum heutigen Tag 292.000 Menschen in Einsätzen gegen die Gülen-Bewegung festgenommen wurden, 96.000 seien verhaftet worden. Seit Juli 2016 verurteilten türkische Gerichte bereits fast 4.500 Menschen. In einem weiteren Mammutprozess, in dem es um die Rolle der Präsidialgarde in der Nacht des gescheiterten Staatsstreichs geht, stehen mehr als 520 Menschen vor Gericht.