Ort des Anschlags auf Mohsen Fakhrizadeh
Reuters/Wana News Agency
„Vater des Atomprogramms“

Tötung von Physiker heizt Iran-Konflikt an

Ein hochrangiger iranischer Atomphysiker und Raketenspezialist ist am Freitag im Iran bei einem Mordanschlag gestorben. Mohsen Fachrisadeh galt als Schlüsselfigur beim iranischen Atomprogramm. Der Iran macht Israel mitverantwortlich für das Attentat.

Fachrisadeh war einer der wichtigsten Atomwissenschaftler des Landes. Der Kernphysiker war der Leiter der Forschungs- und Innovationsabteilung des iranischen Verteidigungsministeriums und Mitglied der Revolutionsgarden, außerdem war er Experte für die Herstellung von Raketen. Nach Informationen der iranischen Nachrichtenagentur FARS sollen israelische Geheimdienste seit Jahren dahinter gewesen sein, ihn auszuschalten.

Der 63-Jährige sei nach einem Angriff „bewaffneter Terroristen“ in der Nähe von Teheran seinen Verletzungen erlegen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Der Forscher sei getötet worden, als mehrere Angreifer sein Auto ins Visier genommen hätten und sich danach mit den Sicherheitsleuten von Fachrisadeh einen Schusswechsel geliefert hätten. Der Forscher sei einen „Märtyrertod“ gestorben. Örtlichen Behörden zufolge wurden auch mehrere Angreifer getötet.

„Bitterer Schlag“

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte Fachrisadeh einst als den „Vater des iranischen Atomprogramms“ bezeichnet. Im Frühjahr 2018 sagte er bei Gesprächen über das iranische Atomprogramm: „Merken Sie sich diesen Namen: Fachrisadeh.“

Mohsen Fakhrizadeh
APA/AFP/KHAMENEI.IR
Mohsen Fachrisadeh

Israel wird vom Iran mitverantwortlich für den Anschlag gemacht. Es gebe „ernsthafte Hinweise“ auf eine Beteiligung Israels bei dem Anschlag durch „Terroristen“, schrieb Außenminister Mohammed Dschawad Sarif auf Twitter. Er appellierte an die Europäische Union, „ihre beschämenden Doppelstandards aufzugeben und diesen Akt des Staatsterrors zu verurteilen“. Generalstabschef Mohammed Bagheri schwor Rache für den getöteten Wissenschaftler. „Wir versichern, dass wir nicht ruhen werden, bis wir die Beteiligten gejagt und bestraft haben“, sagte er laut der Nachrichtenagentur IRNA. Fachrisadehs Tod sei ein „bitterer und schwerer Schlag“.

Ex-CIA-Chef verurteilt Tötung

Der frühere CIA-Chef John Brennan verurteilte das tödliche Attentat auf den prominenten iranischen Atomforscher. Es handle sich dabei um einen „kriminellen Akt und ein höchst rücksichtsloses“ Vorgehen, schrieb Brennan am Freitag auf Twitter. „Ich weiß nicht, ob eine ausländische Regierung die Ermordung Fachrisadeh angeordnet oder ausgeführt hat“, schrieb Brennan mit Blick auf die Vorwürfe der iranischen Regierung. „Ein solcher Akt von staatlich gefördertem Terrorismus wäre eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und würde weitere Regierungen dazu ermutigen, tödliche Attacken gegen ausländische Regierungsbeamte auszuführen.“

Fachrisadeh sei nicht auf Terrorlisten geführt worden oder Mitglied der Terrormiliz al-Kaida oder der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gewesen, betonte Brennan. Wer auf solchen Listen geführt werde, sei ein legitimes Ziel tödlicher Anschläge. Mit der Tötung riskierten die Verantwortlichen „tödliche Vergeltung“ und „eine neue Runde regionaler Konflikte“, kritisierte Brennan. Der als scharfer Kritiker des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump geltende Ex-CIA-Chef appellierte an die Regierung in Teheran, „dem Verlangen auf Vergeltung zu widerstehen“.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte unterdessen Zurückhaltung an. Man habe Berichte über den Vorfall zur Kenntnis genommen, teilte UNO-Sprecher Farhan Haq der dpa am Freitag (Ortszeit) in New York mit. „Wir fordern Zurückhaltung und sehen es als notwendig an, dass Maßnahmen vermieden werden, die zu einer Eskalation der Spannungen in der Region führen könnten.“ Zunächst gab es keine Klarheit, wer hinter dem Anschlag steckt.

Abwärtsspirale in Beziehungen zu USA

In den vergangenen Jahren wurden mehrere andere Atomwissenschaftler im Iran getötet. Die Islamische Republik machte Israel für alle Tötungen verantwortlich. Israel, Teherans Erzfeind, vermutet hinter dem iranischen Atomprogramm seit jeher den Versuch der militärischen Aufrüstung. Teheran beharrt darauf, dass sein Programm allein friedlichen Zwecken diene.

Mit dem 2015 geschlossenen internationalen Abkommen über das iranische Atomprogramm sollte sichergestellt werden, dass der Iran nicht die Fähigkeiten zum Bau einer Atombombe erlangt. Unter US-Präsident Donald Trump traten die USA jedoch 2018 einseitig aus dem Abkommen aus. Seither verhängte Washington zahlreiche neue Sanktionen gegen Teheran, der Iran rückte seinerseits schrittweise von dem Vertrag ab. Beide Länder standen seit Juni 2019 zweimal am Rande eines Krieges. Vergangene Woche hatten US-Medien berichtet, hochrangige Berater hätten Trump davon abgeraten, militärisch gegen eine iranische Atomanlage vorzugehen. Unter dem neugewählten Präsidenten Joe Biden hofft der Iran wieder auf Annäherung. Die Amtszeit des abgewählten Präsidenten endet am 20. Jänner.

Die USA äußerten sich vorerst nicht zu der Ermordung. Präsident Trump leitete aber über seinen Twitter-Account unkommentiert einen Tweet des israelischen Journalisten Yossi Melman zum Tod Fachrisadehs weiter. Darin schrieb Melman, Fachrisadeh sei der Leiter des geheimen iranischen Militärprogramms gewesen und seit Jahren vom israelischen Geheimdienst Mossad gesucht worden. Sein Tod sei ein schwerer Schlag für den Iran. Melman äußerte sich in einem weiteren Tweet „verwirrt“ über Trumps Botschaft.