Behindertenparkplatz
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Amtsschimmel wiehert

Bürokratie als Behinderung

Bürokratische Hürden können Nerven kosten. Ein besonders gutes Beispiel dafür sind Behindertenparkplätze mit einer Zusatztafel samt Kennzeichen. Man kassiert dort mitunter auch mit der richtigen Nummerntafel Strafen – und verliert täglich Zeit und Nerven. Die Rechtfertigung ist kurios; Protest wird laut.

Wenn das Nummernschild des Autos und auf der Verkehrstafel übereinstimmen, können Polizei und Parkraumüberwachung erkennen, ob hier alles mit Recht und Ordnung zugeht. Oder besser gesagt, sie könnten es erkennen. Tatsächlich genügt das dem Gesetzgeber nicht: Zum Beleg der Rechtmäßigkeit muss zusätzlich der §-29-b-Ausweis in der Windschutzscheibe hinterlegt sein.

Das klingt simpel, führt in der Praxis aber zu kuriosen Umständen. Gabriele Geiger etwa pflegt ihre gehbehinderte und kranke Mutter. Weil das viel Zeit in Anspruch nimmt, wird sie dabei von ihrem Bruder und ihrem Freund unterstützt: „Alle Arztbesuche, Einkäufe und alles teilen wir uns auf. Deshalb haben wir einen Behindertenparkplatz mit drei Kennzeichen beantragt. Und jetzt haben wir das Problem, dass wir ununterbrochen die Karte tauschen müssen.“

Wenn Bürokratie den Alltag behindert

Überbordende Regeln als Schutz vor Missbrauch: Menschen mit Behinderung müssen in Sachen reservierter Parkplätze viel über sich ergehen lassen.

Sechs Behörden begutachten einen Parkplatz

Mit „Karte“ meint sie einen kleinen blauen Parkausweis mit dem Namen und einem Foto der Person mit Behinderung. Der Ausweis wird nur für die betroffene Person ausgestellt, in diesem Fall Geigers Mutter Mathilde Atighi. Es gibt also drei pflegende Familienangehörige, drei Autos, drei Kennzeichen, aber nur einen Ausweis. Dass die Übereinstimmung der Kennzeichen nicht genügt, erfuhr Geiger erst, als eines Tages ein Strafzettel an ihrer Windschutzscheibe prangte. 36 Euro musste sie bezahlen.

Die Logik dieses Gesetzes erschließe sich ihr nicht, sagt Geiger, denn es sei ja vorab intensiv geprüft worden, ob ihr der Parkplatz tatsächlich zusteht: „Man muss zahlreiche Unterlagen einschicken. Die Behindertenkarte, den Behindertenausweis, die Gutachten der Ärzte. Dann wird man nach vier Monaten verständigt und dann kommt es zu einer Begehung.“ Vertreter von sechs Behörden seien da aufmarschiert und hätten das Stückchen Asphalt eingehend begutachtet.

Gabriele Geiger mit ihrer Mutter Mathilde Atighi
ORF
Mathilde Atighi (links) und ihre Tochter Gabriele Geiger

Sisyphus’ täglicher Spießrutenlauf

Die Wohnanlage, in der Atighi lebt, ist weitläufig, die Straßen im Umkreis sind stark befahren, Parkplätze sind rar. Geiger zeigt dem ORF bei einem Lokalaugenschein, was das für ihren Alltag bedeutet: Wenn sie ihre Mutter holen will, muss sie zuerst einen allgemeinen Parkplatz suchen. Hat sie den endlich gefunden und dort eingeparkt, muss sie quer durch die Anlage zur Wohnung ihrer Mutter laufen, um den Ausweis zu holen. Damit läuft sie wieder quer durch die Anlage zurück zum Auto, denn jetzt darf sie sich laut Gesetz endlich auf den Behindertenparkplatz mit ihrem Kennzeichen stellen.

Um dorthin zu gelangen, muss sie wegen diverser Ampeln und Einbahnen über einen Kilometer zusätzlich fahren. Das Umparken allein dauert deshalb fünf bis zehn Minuten. Steht sie endlich auf ihrem Behindertenparkplatz, muss Geiger erneut quer durch die Anlage, um ihre Mutter aus der Wohnung zu holen. Über 20 Minuten benötigt sie, um das Auto ordnungsgemäß zu parken und ihre Mutter ins Auto zu setzen. Erst dann kann sie mit der eigentlichen Betreuung beginnen. Auf dem Rückweg ist dann die ganze Parkprozedur noch einmal erforderlich – in umgekehrter Reihenfolge.

Zwei Elternteile, ein Ausweis

Auch das Ehepaar Kattavenos hat einen Behindertenparkplatz mit zwei Kennzeichen. Ihr Sohn Niko Kattavenos hat eine mehrfache Behinderung und spricht nicht. Seine Eltern führen ihn abwechselnd in ein Tageszentrum, wie seine Mutter Andrea Kattavenos erzählt: „Das Problem ist, dass einmal mein Mann den Behindertenausweis braucht und einmal ich. Wenn mein Mann Niko in der Früh ins Tageszentrum geführt hat, liegt der Ausweis natürlich in seinem Auto. Wenn ich Niko dann am Abend abhole, darf ich mich nicht auf meinen eigenen Parkplatz stellen.“

Das wird dann oft zum Problem, denn Nico kann zwar gehen, aber nicht weit. Wenn ihm die Füße weh tun, setzt er sich einfach auf den Boden: „Wenn er nicht mehr mag, dann mag er nicht mehr. Er ist 27 Jahre und er ist zwar schlank, aber doch schwer. Ihn dann weiterzubringen ist ein riesen Thema, und deshalb hab ich den Behindertenparkplatz beantragt.“ Auch sie hatte schon einen Strafzettel an der Windschutzscheibe stecken, weil der §-29-b-Ausweis aus organisatorischen Gründen im anderen Auto lag.

Mutter Andrea und Sohn Niko Kattavenos
ORF
Niko und Andrea Kattavenos

Problem wäre „leicht lösbar“

Bei Österreichs Behindertenanwalt Hansjörg Hofer stoßen Betroffene auf Verständnis: „Es müsste genügen, wenn das Kennzeichen eines geparkten Fahrzeuges mit dem Verkehrszeichen übereinstimmt, da die inhaltliche Berechtigung ohnehin vorab überprüft wird.“

Über 100.000 Betroffene

100.783 gültige §-29-b-Ausweise gibt es derzeit in Österreich, davon 12.760 in Wien. Beantragen können ihn nicht nur Menschen, die einen Rollstuhl benützen, sondern auch Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen. Voraussetzung ist ein Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“.

Hofer schlägt vor, das Gesetz zu ändern. „Das wäre ohne Weiteres innerhalb weniger Monate umsetzbar und würde zu einer Erleichterung im täglichen Leben von Menschen mit Behinderungen führen.“ So sieht man das auch beim ÖAMTC. Chefjurist Martin Hoffer: „Dieser Fall ist mit einem einfachen Ansatz lösbar. Man braucht den Benützern von gekennzeichneten Stellplätzen nur eine Bescheinigung zu geben, die anstelle des Ausweises im Fahrzeug hinterlegt wird. Dann kann sich die behinderte Person mit ihrem eigenen Behindertenausweis auch anderwärtig bewegen – also das eigene Auto stehen lassen, mit jemandem anderen mitfahren und den Ausweis dabei benützen.“

Denn während der Behindertenparkplatz mit Kennzeichentafel für ein konkretes Fahrzeug eingerichtet wird, stellt die Behörde den §-29-b-Ausweis für eine konkrete Person aus. Das heißt, Menschen mit Behinderungen können ihn in jedem Auto nützen, das sie fahren, oder in dem sie mitgenommen werden.

„Welcher Schaden soll entstehen?“

Außer dem eigens gekennzeichneten Parkplatz kann man mit so einem Ausweis in der Windschutzscheibe auch allgemeine Behindertenparkplätze benützen oder zeitlich unbeschränkt und gebührenfrei in Kurzparkzonen parken. Es gab eine Zeit, da wurden die Ausweise zum Teil von nicht Berechtigten benützt, erzählt jemand, der beruflich mit der Thematik zu tun hat, aber nicht genannt werden will: „Früher gab es keine Fotos darauf, und so sind Angehörige nach dem Tod der Oma noch lange damit herumgefahren und haben Menschen den Parkplatz weggenommen, die ihn dringend benötigt hätten.“

Zahlen über die missbräuchliche Verwendung von Parkausweisen liegen dem Sozialministerium nicht vor. Es wurde lediglich in Einzelfällen die angebliche, missbräuchliche Verwendung von Parkausweisen dem Sozialministerium angezeigt. Diesen Hinweisen wurde zwar nachgegangen, eine tatsächliche, missbräuchliche Verwendung konnte jedoch niemals verifiziert werden. Dennoch soll das Gesetz laut Klimaschutzministerium Missbrauch verhindern.

TV-Hinweis

Am Donnerstag um 18.30 Uhr ist in ORF2 in „Konkret“ ein ausführlicher Beitrag zum Thema „Behindertenparkplätze“ zu sehen.

Hans-Jürgen Groß vom ÖZIV, Verband für Menschen mit Behinderungen, ist überzeugt: „Die Missbrauchsmöglichkeiten sind sehr gering. Und welcher Schaden soll bei einem Parkplatz entstehen, der sowieso nur von einem bestimmten Kennzeichen benutzt werden darf? Man sollte den Blick nicht ständig auf mögliche Verfehlungen richten, sondern auf den tatsächlichen Nutzen. Das Ziel ist, die Mobilität des behinderten Menschen zu fördern und nicht unnötig zu erschweren.“

Die Rechtfertigung

Im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (kurz BMK oder Klimaschutzministerium), kennt man die Problematik der kennzeichenbezogenen Behindertenparkplätze:

„Von den betroffenen Personen wird das oftmals als ungerecht empfunden, dass trotz kennzeichenbezogenen Parkplatzes zu Beweiszwecken der Ausweis hinter die Windschutzscheibe gelegt werden muss. Das soll aber dazu dienen, dass das mit dem Ausweis verbundene Recht nicht dupliziert werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Man soll nicht den Pkw auf dem reservierten Parkplatz stehen lassen können und gleichzeitig mit einem anderen Pkw einen anderen Behindertenparkplatz nutzen können.“

Genau hier endet das Verständnis der Betroffenen, denn wenn sie selbst nicht auf ihrem kennzeichenbezogenen Parkplatz stehen, darf dort ohnehin kein anderes Fahrzeug parken.

Hoffnung auf Gesetzesänderung

Doch es besteht Hoffnung auf eine Gesetzesänderung, denn aktuell wird das Thema im Ministerium bearbeitet. In einer Stellungnahme für den ORF heißt es: „Das Sozialministerium (…) hat den parlamentarischen Auftrag erhalten, den Parkausweis und die neuen Bestimmungen zu evaluieren. Der Evaluierungsbericht soll noch im Laufe dieses Jahres vorliegen – dessen Ergebnisse sollen jedenfalls abgewartet werden, bevor gegebenenfalls Änderungen angestrebt werden.“