Frau mit Essensration in Lagos
Reuters/Temilade Adelaja
UNO beziffert CoV-Folgen

Zahl der Notleidenden wird drastisch steigen

Nach dem Ausbruch der CoV-Krise beziffern die Vereinten Nationen das global drohende Elend erstmals neu – und die Zahlen sind schockierend. Bereits seit Jahren geht die Anzahl der Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, nach oben. Nun rechnet die UNO damit, dass im kommenden Jahr 235 Millionen Menschen auf irgendeine Art von Nothilfe angewiesen sein werden – ein Anstieg von 40 Prozent innerhalb eines Jahres.

Das bedeutet, dass 2021 mehr Menschen Hilfe brauchen als je zuvor – vor einem Jahr waren es 168 Millionen, im Jahr davor 146 Millionen Menschen, wie UNO-Nothilfekoordinator Mark Lowcock bei der Vorstellung des Jahresberichts zur weltweiten humanitären Lage am Dienstag in Genf sagte. „Die Ergebnisse von jahrzehntelanger Entwicklung sind durch das Coronavirus umgestoßen worden“, heißt es in dem Bericht.

Das UNO-Nothilfebüro (OCHA) machte die Tragweite der Not mit einem Vergleich anschaulich: Wenn alle Notleidenden in einem Land lebten, wäre es nach Einwohnerinnen und Einwohnern das fünftgrößte Land der Welt. Es hätte über 26-mal so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie aktuell Österreich. Dazu kämen noch einige Faktoren, die das drohende Ausmaß der globalen Not beschreiben.

Menschen versuchen durch Sturm zerstörte Zelte wieder aufzubauen, Jemen
APA/AFP/Essa Ahmed
Das Bild von Ende September zeigt Vertriebene im Jemen, die versuchen, durch strömenden Regen zerstörte Zelte neu aufzubauen

Jene stark betroffen, „die auf Messers Schneide leben“

Denn erstmals seit den 90er Jahren rechnet die UNO mit einem globalen Anstieg der Armut und einer sinkenden Lebenserwartung. Hinzu kommt die Befürchtung, dass sich die jährliche Zahl an Todesfällen durch Aids, Tuberkulose und Malaria verdoppeln könnte. „Am alarmierendsten“ sei aber die drohende Rückkehr von Hungersnöten in mehreren Regionen, wie Lowcock sagte.

Die Pandemie treffe überproportional stark jene, „die bereits auf Messers Schneide leben“, heißt es in dem Jahresbericht. Es handle sich um die „trostlosesten und dunkelsten Aussichten zur humanitären Hilfe“, die die UNO je für ein Folgejahr formuliert habe, sagte Lowcock. Weltweit werden nach den Schätzungen der Organisation im kommenden Jahr rund 35 Mrd. Dollar (rund 29,3 Mrd. Euro) für humanitäre Hilfe benötigt.

Finanzierung mit Hürden

Insgesamt würde die Summe den Angaben zufolge ausreichen, um 160 Millionen besonders gefährdeten Menschen in 56 Ländern der Welt zu helfen. Doch es gibt eine beträchtliche Hürde, denn es ist äußerst fraglich, ob es der UNO auch gelingt, diese Summe aufzutreiben. Bereits für dieses Jahr hatte sie eine Rekordsumme von fast 39 Mrd. Dollar für notwendige Hilfen angesetzt – zusammengekommen ist bisher aber nicht einmal die Hälfte (17 Mrd. Dollar).

MONUSCO-Mitarbeiter begutachtet Schäden an Gebäude
APA/AFP/Alexis Huguet
Ein Mitarbeiter der UNO-Mission vor den Ruinen eines zerstörten Gesundheitszentrums in der DR Kongo

„Zunehmend Prioritäten“ bei Spendenaufrufen

Dass zwar mehr Menschen Hilfe benötigen, die UNO für 2021 aber weniger Geld veranschlagt als für 2020, erklärte OCHA-Sprecher Jens Laerke so: „Bei Spendenaufrufen werden immer stärker Prioritäten gesetzt (…). Es gibt zwar 2021 mehr Menschen in Not, aber das bedeutet nicht, dass sie dieselbe Hilfe benötigen wie 2020.“

Den Schätzungen zufolge könnte die Zahl der von akuter Ernährungsunsicherheit Betroffenen weltweit bis Ende dieses Jahres auf 270 Millionen Menschen steigen – das wären 82 Prozent mehr als vor Beginn der Pandemie. Der Jemen, der Südsudan, Burkina Faso und der Nordosten Nigerias stünden bereits am Rande einer Hungersnot, sagte Lowcock. „Potenziell sehr gefährdet“ sei darüber hinaus unter anderem Afghanistan.

„Leben sehr vieler Menschen auf dem Spiel“

Als am gravierendsten stuft die UNO die humanitäre Lage wie bereits im Vorjahr in Syrien und im Jemen ein. Allein sechs Mrd. Dollar wären zur Versorgung von Syrerinnen und Syrern innerhalb und außerhalb des Bürgerkriegslandes nötig. 3,5 Mrd. Dollar erbittet die UNO von den Geberstaaten für die jemenitische Bevölkerung.

Lowcock betonte, dass die für das kommende Jahr angefragte Summe zwar riesig erscheine, im Verhältnis zu den Ausgaben der Industriestaaten für die Rettung ihrer Volkswirtschaften in der CoV-Krise jedoch winzig sei. „Auf dem Spiel stehen die Leben sehr vieler Menschen, und die Kosten für den Schutz ihrer Leben sind tatsächlich sehr klein im Verhältnis zu anderen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen.“

Solidarität mit den am schwersten von der Krise Betroffenen forderte auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres: „Gemeinsam müssen wir unsere Reserven mobilisieren und solidarisch an der Seite der Menschen stehen, die sich in der dunkelsten Stunde ihrer Not befinden.“