Schwarzweißfotografie zeigt den ungarisch-schweizerischen Kunsthändler Carl Laszlo
Andreas Baier
Carl Laszlo

Erinnerungen eines KZ-Überlebenden

Der legendäre Kunstsammler, Mitbegründer der Art Basel und Verleger Carl Laszlo überlebte als junger Mann die NS-Konzentrationslager Auschwitz, Sachsenhausen und Buchenwald. Nun wurden seine Erinnerungen wieder aufgelegt.

Lazlo war einer, der mit aller Kraft lebte. Einer, so erinnert sich der deutsche Publizist Alexander von Schönburg („Die Kunst des stilvollen Verarmens“) im Gespräch mit ORF.at, der sein Dasein „auf Genuss, Schönheit, auf Rausch, auf allenfalls durch kurze Schlafpausen unterbrochene Dauerekstase ausgerichtet“ hat. Der Psychoanalytiker und Kunstsammler Laszlo war ein Mann von „radikalem Hedonismus“, der in seinem Haus voller Kunst immer Kaviar und Kokain auf Vorrat hatte. Der unbedingte Hang zum Exzess war jedoch nur eine Seite des Mannes, der in der Basler Kunstszene eine Legende, außerhalb aber wenig bekannt war.

Laszlo, 1923 im ungarischen Pecs in eine assimilierte jüdische Familie geboren, hatte nach einer weitgehend sorgenfreien großbürgerlichen Kindheit und Jugend ein Medizinstudium begonnen. 1944 wurde er mit seiner gesamten Familie deportiert. Die meisten Familienmitglieder wurden ermordet, er überlebte mehrere Konzentrationslager, darunter Auschwitz, Sachsenhausen und Buchenwald.

Buchcover von „Ferien am Waldsee“
Verlag Das vergessene Buch
Carl Laszlo: Ferien am Waldsee. Erinnerungen eines Überlebenden. Mit einem Nachwort von Alexander von Schönburg. Das vergessene Buch, 160 Seiten, 22 Euro.

„Das ist ein Teil von mir“

Nach seiner Befreiung kehrte er zurück nach Ungarn, verließ jedoch wegen der kommunistischen Machtübernahme seine Heimat und ging nach Basel, wo er zunächst Psychoanalyse studierte und ein neues, internationales Zuhause fand. Er interessierte sich für die europäische und amerikanische Kunstszene, freundete sich mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs an, engagierte sich für den vertriebenen Dalai Lama. 1962 gründete er, von Hans Arp ermutigt, seine erste Kunstgalerie. In seinem Haus empfing er Stars wie Patricia Highsmith, Andy Warhol und Christo.

Als Anfang-30-Jähriger schrieb er 1955 seine Erinnerungen an die Konzentrationslager nieder. „Ich habe absichtlich zehn Jahre lang gewartet, um Abstand zu jenen Ereignissen zu gewinnen“, schreibt er im Vorwort des Buches, das er unter dem ironischen Titel „Ferien am Waldsee“ im Selbstverlag veröffentlichte. Der „Waldsee“ im Titel stammt vom Stempel jener Postkarten, die manche Familien deportierter ungarischer Juden mit vorgedrucktem Text zur Beschwichtigung erhielten.

Laszlos Aufzeichnungen sind über die Zeitzeugenschaft hinaus vor allem durch ihre literarische Gestaltung bemerkenswert: Laszlo schildert seine Erlebnisse aus der Sicht eines Ich-Erzählers, verfremdet und überhöht jedoch in Details. Besonders eindrücklich ist eine Szene, in der der Erzähler durch einen Zufall im Lager eine Ausgabe von „Romeo und Julia“ in die Hand bekommt und das Buch heimlich und unter Lebensgefahr gierig liest, die Flammen des Krematoriums vor Augen.

Ein sarkastisches Alter Ego

In einem beklemmenden Kapitel stilisiert Laszlo die Erscheinung von Dr. Josef Mengele als überperfekten SS-Offizier, der alle Selektionen an der Rampe persönlich vornimmt: „Seine schönen, regelmäßigen, wie aus Stein gemeißelten, kalten Züge schienen die Maske des Todes selbst zu sein. (…) In die Köpfe der vielen Tausend Gefangenen kam niemals der Gedanke, ihn totzuschlagen, so groß waren Faszination und Schauer, so lähmend die Worte ‚Mengele kommt‘.“

Schwarzweißfotografier zeigt den ungarisch-schweizerischen Kunsthändler Carl Laszlo sitzend an seinem Schreibtisch
Andreas Baier
Laszlo in seinem Element

Einen Teil seiner Erlebnisse lagert der Erzähler an ein sarkastisches Alter Ego aus, das im Buch Aliego heißt: „Er war ein merkwürdiger Mensch; er kam mir so fremd und doch verwandt vor“, schreibt Laszlo über den Mann, dem er sarkastische Kommentare über das Lagerdasein in den Mund legt und der am Ende, abgemagert wie Laszlo selbst, den letzten Transport nicht überlebt.

Verpasste Wirkungsgeschichte

Laszlos Erinnerungen blieben zu seinen Lebzeiten weitgehend unbeachtet – wohl, weil zehn Jahre nach Kriegsende die Bereitschaft, sich mit den Verbrechen in Konzentrationslagern auseinanderzusetzen, im deutschsprachigen Raum gering war.

Acht Jahre vor „Ferien am Waldsee“ war 1947 Primo Levis „Ist das ein Mensch?“ erschienen, das lange Zeit am breitesten rezipierte Buch eines Auschwitz-Überlebenden. Levis Buch war womöglich deswegen so erfolgreich, weil Italien sich nach 1945 über die Geschichte der Partisanengruppen als Nation des Widerstandes umzudefinieren versuchte und Levis Beschreibungen in dieses Selbstverständnis passten.

Der Umgang mit dem Thema blieb in der Tätersprache Deutsch lange schwierig, frühe Ausseinandersetzungen wie beispielsweise Jean Amerys Radioessays und Albert Drachs Roman „Unsentimentale Reise“ stießen zunächst auf Ablehnung. Erst spätere anerkannte Aufarbeitungen von KZ-Erfahrungen wie „Roman eines Schicksallosen“ (1975) des Nobelpreisträgers Imre Kertesz und Ruth Klügers Erinnerungen „weiter leben“ (1992) änderten das. „Ferien am Waldsee“ blieb lange Zeit fast unbeachtet, trotz mehrfacher Versuche von Laszlo, eine Leserschaft zu finden.

„Ein Teil von mir“

Neuen Bekanntschaften gab Laszlo das Buch allerdings gleich zu lesen, erinnert sich Schönburg im Gespräch mit ORF.at. Er hatte als junger Mann Laszlo in seinem mit Kunst überladenen Haus in Basel Ende der Achtziger kennengelernt und sagt: „Das war ein ganz zentraler Text für ihn. Beim Kennenlernen schon hat er mir quasi als Erstes seine eigene Ausgabe in die Hand gedrückt. Er hat mir gesagt: ‚Das Buch musst du lesen, das bin ich, das ist ein Teil von mir.‘“

Schwarzweißfotografie zeigt das Atelier des ungarisch-schweizerischen Kunsthändler Carl Laszlo
Andreas Baier
Ein Haus voll Kunst: Die Sammlung von Laszlo ist legendär

Schönburg schrieb für die Neuausgabe nun ein umfangreiches Nachwort, das Laszlos Persönlichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit schildert. Laszlo, der 2013 starb, habe ihm den „Auftrag“ gegeben, dieses Buch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so Schönburg. „Ich fand immer, dass Carl Laszlo ganz so wie ein Marcel Reich-Ranicky ebenfalls fester Bestandteil des deutschsprachigen intellektuellen Kosmos sein hätte sollen. Vielleicht ist es, weil er nicht in Schubladen gepasst hat, und ich habe das immer als Manko empfunden.“

William Blake und ungarische Volkskunst

In den 50er Jahren wurde Laszlo Herausgeber der Kunstzeitschrift „Panderma“, schrieb 1958 ein Manifest gegen die Anbiederung der Kunst an ihre bürgerlichen Käufer, während seine eigene Kunstsammlung wuchs: William Blake, Salvador Dali, Thilo Maatsch, Friedensreich Hundertwasser, Roy Lichtenstein, Robert Mapplethorpe und Andy Warhol, dazu Hunderte antike Buddha-Statuen und eine wachsende Sammlung ungarischer Volkskunst, für die er sich schon als Teenager interessiert hatte.

Zeitweise finanzierte Laszlo sich durch die Arbeit als Psychoanalytiker quer, eine Praxis hatte er jedoch nicht. „Ich bin nur zufällig erfolgreich geworden, weil ich Freunde um mich herum hatte“, sagte er selbst über diese Zeit. Eine halbstündige Fernsehdoku aus dem Jahr 2000 ist das bisher umfassendste Porträt über den exzentrischen Kunstsammler und zeigt ihn auch in seinem Haus in Basel.

Abwendung vom Kunstmarkt

Als junger Mann begründete Laszlo die Art Basel mit, später empfand er den Kunstmarkt als Todesstoß, schildert Schönburg: „Er fand, in dem Moment, wo Kunst zu Kommerz wird, zu museal und zu bürgerlich, verliert sie ihre Rolle als Skandalon und als Provokation.“ Bis in die 90er Jahre hatte Laszlo auf der Kunstmesse noch einen eigenen Stand, empfand sich dort zuletzt aber als Fremdling.

Trotz seiner Erfahrungen wies Laszlo Zeit seines Lebens die Rolle des Opfers zurück, so Schönburg in seinem Nachwort. „Ich blieb am Leben“, schreibt Laszlo selbst, „ich stürzte mich nicht in die Vergangenheit und lebte weiter; ich weiß nicht warum.“