Screenshot der Webseite sevastopol.su zeigt einen Entwurf des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au
Screenshot sevastopol.su (Montage)
Coop Himmelb(l)au

Krim-Projekt sorgt für Zündstoff

Wolf D. Prix hat mit seinem Büro Coop Himmelb(l)au Architekturgeschichte geschrieben. Jetzt aber scheiden sich an einem Opernprojekt in der Krim-Stadt Sewastopol im Auftrag der russischen Stiftung Nationales Kulturerbe die Geister. Prix arbeite Wladimir Putin dabei zu, die von der UNO und EU sanktionierte Besetzung der Krim zu festigen, lautet eine Position. Es sei besser, einen dekonstruktiven Entwurf von Prix dort stehen zu haben als einen „Common sense“-Bau, der nicht zum Nachdenken zwinge, eine andere.

Inzwischen herrscht Gewissheit: Der 77-jährige Prix entwirft mit Coop Himmelb(l)au zwei der vier Kulturbauten, die auf Initiative Putins im Westen (Kaliningrad), Norden (Kemerowo), Osten (Wladiwostok) und Süden (Sewastopol) Russlands bis 2023 entstehen sollen.

Nur: Bei Sewastopol handelt es sich um die größte Stadt auf der Krim, die 2014 von Russland besetzt wurde. Die UNO-Vollversammlung hielt in der Resolution 68/262 fest, dass in ihrer Sichtweise die Republik Krim ein autonomer Teil der Ukraine sei. Russland sieht die Krim als Teil seines Hoheitsgebiets.

Gerüchte und Dementi

Während sich Pläne und Visualisierungen für den 40.586 Quadratmeter umfassenden und 60 Meter hohen Museums- und Theaterkomplex im sibirischen Kemerowo auf der Unternehmenswebsite des Architekturbüros einsehen lassen, verlief die Kommunikation rund um das Opernhausprojekt in Sewastopol wenig transparent.

Im Dezember 2018 hatte die Stiftung Nationales Kulturerbe in einer nicht öffentlichen Sitzung vor lokalen Bürokraten erstmals Pläne für ein Opernhaus in Sewastopol präsentiert. Mitte Jänner 2019 tauchten im Onlinemedium ForPost zahlreiche mit dem Logo von Coop Himmelb(l)au versehene Architekturvisualisierungen einer für Sewastopol geplanten Oper auf, wie die APA damals berichtete.

Screenshot der Webseite sevastopol.su zeigt einen Entwurf des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au
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Eine geleakte Visualisierung des Opernbaus „Möwe“ in Sewastopol

Die Abteilung für Architektur und Städtebau der russischen Regierung von Sewastopol bestätigte gegenüber der APA die Authentizität der veröffentlichten Entwürfe, zu denen sich dann später weitere Visualisierungen von Entwürfen für ein Kunstmuseum, ein Museum zur Belagerung von Sewastopol sowie einer Hotelanlage gesellten, die in einem neuen Kulturviertel gemeinsam mit einer Oper am Meer errichtet werden sollen. Prix dementierte indes damals gegenüber der APA jegliche Pläne in Sewastopol.

Sanktionierte Stiftung

Die Stiftung Nationales Kulturerbe, finanziert die Kulturprojekte mit 120 Milliarden Rubel (1,33 Mrd. Euro) budgetierten Kosten von der staatlichen Holdinggesellschaft Rosneftegaz. Für die Umsetzung der Bauarbeiten ist der vom kremlnahen Oligarchen Gennadi Timtschenko kontrollierte Stroytransgaz-Konzern verantwortlich, der diese Aufgabe im Sommer 2019 vom Stroygazmontazh-Konzern von Putin-Freund Arkadi Rotenberg übernommen hatte.

Umstrittenes Bauprojekt

Ein Bauprojekt des renommierten Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au sorgt derzeit international für Schlagzeilen. Das Büro von Stararchitekt Wolf D. Prix, das unter anderem für die EZB in Frankfurt und die BMW-Welt in München verantwortlich zeichnet, baut auf der Krim unter anderem ein Opernhaus.

Dieser Wechsel erlaubt nun die Zusammenarbeit mit Firmen aus der Europäischen Union: Stroygazmontazh befindet sich im Zusammenhang mit der Errichtung der Krim-Brücke auf der EU-Sanktionsliste und eine Zusammenarbeit mit diesem anfänglich vorgesehen Generalunternehmer hätte für europäische Partner zu strafrechtlichen Konsequenzen führen können.

Spätes Eingeständnis

Ende November gab es schließlich Gewissheit. Nachdem die Stadtverwaltung des sibirischen Kemerowo am 11. November den Theater- und Museumskomplex für gut befunden hatte, gestand Prix gegenüber der APA schließlich auch ein, für das Projekt in Sewastopol aktiv zu sein. Inzwischen ist aber nur noch von dem Operngebäude die Rede, das aufgrund seiner Form „Möwe“ genannt werden soll. Prix begründete seine ursprünglichen falsche Dementi damit, dass die rechtliche Situation 2019 damals noch evaluiert worden sei.

„Das Wort ‚Kultur‘ kommt aber in diesen Sanktionen nicht vor und daher sind Kulturbauten von ihnen ausgenommen“, erläuterte Prix gegenüber der APA. Nun steht aber die moralische Frage im Raum, ob es für Architekten vertretbar ist, mit ihren Gebäuden politische Interessen zu legitimieren.

Neue Sanktionen aus Kiew

In diese Kerbe schlug die „Süddeutsche Zeitung“ zum Beginn der Woche und kommentierte, aus russischer Sicht ginge es in dem Projekt wohl darum, „politische Macht durch Kultur zu untermauern“. Und weiter: „Putin vertraut sich dem Wiener Meister der Signifikanz nicht ohne Kalkül an“.

Prix entgegnete in der Zeitung: „Wenn man für fragwürdige Systeme nicht bauen dürfte, kann man gleich die meisten Werke von Michelangelo, Bramante oder Borromini abreißen.“

Screenshot der Webseite sevastopol.su zeigt einen Entwurf des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au
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Die geplante Lage des Kulturareals

Als Reaktion sagte der Sanktionsbeauftragte des ukrainischen Außenministeriums, Oleksii Makeiev, der APA: „Wir werden es nicht tolerieren, dass ein europäisches Unternehmen mit der russischen Besatzungsmacht kooperiert, ukrainische und europäische Nichtanerkennungspolitik ignoriert und sich in der Rolle eines Komplizen des Putin’schen Regimes bei der illegalen Besatzung der Krim wohlfühlt.“

Die zuständigen österreichischen Behörden prüften derzeit die sanktionsrechtliche Vereinbarkeit der Aktivitäten des infrage stehenden Unternehmens, sagte ein Sprecher des österreichischen Außenministeriums gegenüber der APA.

Architektur und Moral

Der Architekturtheoretiker Stephan Trüby, Leiter des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) an der Universität Stuttgart, ist Experte für das Verhältnis von Politik und Architektur. Gegenüber ORF.at sagte er im Gespräch: „Das Verhältnis von Architektur und Moral ist ein sehr altes und kompliziertes Thema. Das hat schon Nietzsche beschrieben als er sagte ‚Der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht‘.“

Es gäbe immer wieder „die Bereitschaft von Architekten und in jüngerer Zeit auch Architektinnen, sich in die Suggestion der Macht zu begeben“ und mit ihren Bauwerken „Bühnenbilder für Raumgreifungsinszenierungen zu gestalten“. Architektur, die mit hohem Einsatz von Kapital und Platz geschaffen wird, kann also durchaus Machtansprüche manifestieren. Eines der jüngeren Beispiele für eine solche Diskussion provozierte Zaha Hadids 2013 fertiggestelltes Heydar Alijev Center in Baku, das mit dem Design Award des Londoner Design Museum ausgezeichnet wurde.

Die Bewertung von Prixs Projekt in Sewastopol durch Trüby fällt deutlich aus: „Was Prix hier tut, ist die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch ein kulturelles Objekt zu verherrlichen.“ Zwar bewege sich auf der einen Seite Architektur oft mit einem Bein in „unschönen“ politischen und ökonomischen Kontexten und man dürfe hier keine allzu strengen Regeln anlegen, ohne große Teile der Architekturgeschichte als moralisch verwerflich zu kategorisieren.

Auf der anderen Seite, sagte Trüby, Prixs Vergleich mit Michelangelo aufgreifend, „macht es einen Unterschied, ob man wie Michelangelo und Borromini in einem Zusammenhang agiert hat, in dem es die Option der Demokratie in unserem Verständnis noch nicht gab, oder ob man das heute tut“.

„Nationalistisches Projekt der Raumgreifung“

Jede Gesellschaft müsse für sich aufs Neue aushandeln, was tolerierbar ist und was nicht, und in diesem Zusammenhang sei zu beobachten, dass das Opernhaus in Sewastopol „bei vielen einen wunden Punkt getroffen hat und hier offenbar eine Grenze überschritten wurde“. Prix sei Trüby nie als Nationalist aufgefallen, aber er begebe sich gerade hinein „in ein zutiefst nationalistisches Projekt der Raumgreifung, das Putin auf der Krim betreibt“.

Rendering des Museums- und Theaterkomplexes Kemerovo in Russland
COOP HIMMELB(L)AU
Entwurf von Wolf D. Prix für einen Museums- und Theaterkomplex im sibirischen Kemerowo

Architektonische Formen seien nie per se autoritär, faschistisch oder demokratisch, eine solche Interpretation lasse nur der Kontext zu, andererseits bedeute das im Umkehrschluss aber nicht, „dass die Form des Opernhauses in Sewastopol die Besucher zu Demokraten machen kann“, so Trüby.

Keine Architektur ohne „schmutzige Hände“?

Für Andreas Rumpfhuber, Wiener Architekt, der sich ebenfalls mit dem Thema „Architektur und Ideologie“ auseinandersetzt und die Arbeit von Prix gut kennt, liegt die Sache anders. Im Gespräch mit ORF.at, sagte er, dass in der Debatte Dinge vermengt werden: „Ich frage mich, ob hier nicht gerade ein Stellvertreterkrieg geführt wird, in der Architektur symbolisch für eine gescheiterte Außenpolitik und Diplomatie steht.“

Das sei eine Frage, die man sich stellen müsse, bevor man die Frage nach Moral und Architektur stelle. Zwar könne er verstehen, dass die Ukraine dagegen sei, dass Putin auf der Krim Denkmäler setzte, aber Symbole zu setzen und wieder zu zerstören sei eine Praxis, die in allen dominanten Regimen immer gang und gäbe gewesen sei, so Rumpfhuber.

Im Falle der Krim gäbe es zwei politische Narrative, die gegeneinander stünden, die er aber nicht bewerten könne, so Rumpfhuber. Jedenfalls sei Architektur keine „reine Kunst“ und aufgrund des planerischen und finanziellen Aufwands sowie des Raumes, den sie benötige, immer wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen unterworfen. Es sei nicht möglich, Architektur zu betreiben, ohne sich „die Hände schmutzig zu machen“.

Symbolisches Programm

Die Architektengeneration von Prix und Hadid habe auf ein symbolisches Programm gesetzt, um die Architektur und damit auch die Gesellschaft zu verändern. Prix betonte das zuletzt in einem Interview mit der Onlineplattform Swiss-Architects.

Rumpfhuber glaubt, dass Coop Himmelb(l)au mit seiner dekonstruktivistischen Ästhetik immer noch versucht, diese Ziele zu erreichen. Gerade einen Opernbau, der schließlich ein bürgerliches Bauvorhaben sei, mit einer solchen Architektur auszuführen, eröffne zumindest die Möglichkeit, über die politischen und ökonomischen Verstrickungen zu diskutieren.

Doppelter Anachronismus

Letztlich gehe der Versuch aber ins Leere: „Eine Politik, die glaubt, sich über einen bürgerlichen Symbolbau verewigen zu müssen, ist genauso anachronistisch wie eine Architektur, die glaubt, über eine ‚ungewohnte‘ Ästhetik etwas zu bewirken oder gar subversiv zu sein.“ Architektur, die verändern wolle, müsse vielmehr das Konzept einer Oper programmatsch neu denken.

„Wenn nicht Coop Himmelb(l)au diese Oper baut, baut sie ein anderes großes Büro“, sagte Rumpfhuber. „Eine Sicht könnte sein, dass gerade der Entwurf eine Debatte provoziert. Wenn ein Konsensbau dort geplant wäre, würde wohl niemand darüber sprechen. Dass die Debatte sich gerade so hochkocht, kann man vielleicht sogar als Erfolg für Prix und seine Architekturhaltung sehen.“ Unabhängig davon, wie man Prix Architektur bewerte, gebe es jetzt die Möglichkeit, über die Funktion des repräsentativen Kulturbaus und die Sanktionen der EU nachzudenken und zu diskutieren.

Position der EU-Kommission

Die politische Ebene dieser Debatte dreht sich indes weiter. Ein Sprecher der EU-Kommission verwies gegenüber dem ORF am Freitag darauf, dass jede Tätigkeit einer Person oder eines Unternehmens in der EU die Verbote einer Sanktionsregelung respektieren müsse.

In erster Linie seien die Mitgliedsstaaten für die Umsetzung und Kontrolle der EU-Sanktionen verantwortlich. Die Kommission habe eine Kontrollfunktion bei der Einhaltung der Sanktionen – in dieser Angelegenheit sei die Kommission bereits mit den österreichischen Behörden in Kontakt, so der Sprecher.