Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
Virus „eingeschleppt“

Auch Koalitionspartner kritisiert Kurz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Quarantänepflicht bei der Einreise über Weihnachten unter anderem mit dem Verweis auf den Sommer begründet. Damals seien "durch Reiserückkehrer und insbesondere durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt“ worden. Dafür gibt es nun nicht nur Kritik von Teilen der Opposition, sondern auch vom grünen Vizekanzler Werner Kogler.

„Wie gestern die Reisebeschränkungen zum Teil kommuniziert wurden, war auch für mich einseitig und von mangelnder Sensibilität“, sagte Kogler am Donnerstag auf Anfrage der APA. Kurz hatte davon gesprochen, dass das Virus durch Auslandsreisen „eingeschleppt“ werde.

„Wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer und insbesondere durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt“, hatte Kurz in der Pressekonferenz gestern die Reisebeschränkungen argumentiert. „Wenn wir in den Sommer zurückblicken, dann wissen wir, dass wir ein Drittel unserer Neuinfektionen im Sommer uns aus dem Ausland eingeschleppt haben“, bekräftigte er dann am Abend in der ZIB2.

„Gar kein Vorwurf“

Ähnliche Aussagen hatte Kurz bereits im Herbst getätigt. Damals gab es auch Kritik aus der Stadt Wien – allerdings am Grenzmanagement und generell an Reiserückkehrern, also Urlaubern ebenso wie jenen, die ihre Familien besuchten. Kurz hatte freilich bei der Pressekonferenz auf Nachfrage eines deutschen Journalisten, ob er seine Behauptung mit Zahlen belegen könne, gemeint, dass es unterschiedliche Studien gebe, aber jene, wonach etwa ein Drittel der Neuinfektionen im Herbst auf diese Personengruppe zurückzuführen sei, wohl im richtigen Bereich liege.

Und er fügte hinzu, dass das „gar kein Vorwurf“ sei, sondern Realität in Österreich. Man sei ein „internationales, vielfältiges und exportorientiertes Land“, daher gebe es viel Austausch. Und im ZIB2-Interview hatte Kurz seine Aussage ebenfalls entschärft und betont, es gehe „überhaupt nicht um die Frage der Nationalität, es geht überhaupt nicht um die Frage der Herkunft, sondern es geht um die Frage der Reiserückkehrer“.

Kanzler Kurz zu den Lockerungen

Die Regierung hat am Mittwoch Regeln für die Zeit nach dem Lockdown präsentiert. Der Handel sperrt wieder auf, die Unterstufen haben Präsenzunterricht, Hotels und Gastronomie bleiben aber zu. Zu den Lockerungen war Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Gast in der ZIB2.

Kogler: Viele Pflegekräfte mit migrantischem Hintergrund

Auch Kogler bezeichnet die Reisebeschränkungen als „sinnvolle und notwendige“ Maßnahme für die nächsten Wochen. Über die Formulierung des ÖVP-Obmanns war er aber offenbar nicht erfreut. „Das Virus macht keinen Unterschied, wo in großen Gruppen gefeiert wird. Ich bedaure sehr, dass das viele Menschen als verletzend erlebt haben“, sagte Kogler dazu laut APA noch.

„Und ich denke da besonders an die vielen Frauen und Männer, die sich bei uns seit vielen Monaten in Pflegeheimen, Spitälern – da auch in den Intensivstationen – und in anderen wichtigen Bereichen voll einsetzen.“ Viele von ihnen hätten biografische Wurzeln in den „gestern einseitig angesprochenen Regionen“, meinte Kogler und forderte mehr Respekt und Feingefühl.

Auch SPÖ kritisiert Kurz-Aussage

Nicht nur die Grünen stießen sich an der Formulierung von Kurz: Die SPÖ-Frauen und die sozialdemokratische LGBTIQ-Organisation SoHo orteten darin „Hetze“ und forderten eine Entschuldigung des Kanzlers. SOS Mitmensch warnte in einer Aussendung am Donnerstag vor einer „Verrohung der Politik“.

Die Aussagen von Kurz, wonach Österreicher mit Migrationsbiografien das Virus ins Land eingeschleppt hätten, seien verwerflich und abzulehnen, kritisierte SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. Frauen mit Migrationsbiografien würden als Krankenschwestern, Pflegerinnen und im Handel arbeiten.

„Statt diesen Frauen die Wertschätzung und Würdigung, die sie verdient haben, zukommen zu lassen, macht Kurz sie zu Sündenböcken für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen in Österreich.“ Sie forderte daher eine Entschuldigung und Klarstellung des ÖVP-Obmanns. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hatte vor Kurzem ihren Fünfpunkteplan zur Eindämmung der Pandemie präsentiert und darin generell „strenge Einreiseregeln“ und Quarantäne mit Tests am fünften Tag gefordert.

Vergleich mit Trumps „Spaltungsrhetorik“

Niemand bestreite, dass Urlaube in und außerhalb Österreichs zum Infektionsgeschehen beigetragen haben, meinte SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak. Der Grund für die sehr hohen Krankheits- und Todeszahlen sei aber die späte Reaktion der Bundesregierung, betonte er. „Die Aussagen des Kanzlers erinnern an die Sündenbock- und Spaltungsrhetorik von Donald Trump und gehen auf Kosten der Demokratie und des Zusammenlebens.“ Kurz’ Aussagen hatten zuvor auch in Sozialen Netzwerken Wellen geschlagen.

Schallenberg verteidigt Kurz

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg wies Donnerstagnachmittag Koglers Kritik an Kurz zurück. Kurz als Gegner des Westbalkans darzustellen sei „absurd“, meinte Schallenberg in einem Statement. Weiters betonte er, dass Urlaubsreisen in Pandemiezeiten eine Gefahr seien. Letzteres wird auch von Kogler und anderen Kritikern von Kurz’ Aussagen nicht bestritten. Stein des Anstoßes ist, dass Kurz explizit die Österreicherinnen und Österreicher, die Verwandte in den Ländern haben, hervorhob.