Wasserproben werden aus dem Fluss Becva entnommen
AP/CTK/Dalibor Gluck
Chemieunfall in Tschechien

Spur in Umweltkrimi führt Richtung Premier

Vor rund zweieinhalb Monaten ist eine der größten Umweltkatastrophen der tschechischen Geschichte passiert: Nach einem Chemikalienaustritt verendeten in einem Fluss südlich der Stadt Ostrava 40 Tonnen Fische. Laut Behörden ist noch immer unklar, wer dafür verantwortlich ist. Medien zufolge ist die Sache klarer: Verantwortlich soll eine Chemiefabrik sein, die zum Konzern von Ministerpräsident Andrej Babis gehört. Nach langem Zögern wird nun auch vorsichtig gegen die Firma ermittelt.

In der Früh des 20. September 2020 wurden im Fluss Becva die ersten toten Fische entdeckt. 40 Tonnen sollten es noch werden, auf einer Länge von fast 40 Kilometer war der Fluss vergiftet. Rasch hatten die Behörden eine Erklärung parat: Offenbar handle es sich um Blausäureverbindungen, Zyaniden, die für die Katastrophe in Mähren, rund 30 Kilometer südlich der Großstadt Ostrava, verantwortlich seien.

Vermutet wurde, dass eine Firma in einem nahen Industriekomplex Chemikalien in den Roznov-Kanal leitete, von wo sie dann in den Fluss gelangten. Bestätigt wurde die Theorie nie, die Behörden verhängten eine Informationssperre.

Chemieunfall in Firma des Ministerpräsidenten

Lokale Fischer rund um den Ort Valasske Mezirici zweifelten früh an der Theorie: Wären die Giftstoffe tatsächlich über den Kanal in den Fluss gelangt, so hätten auch in einem andern Abschnitt die Fische verenden müssen – sind sie aber nicht. Diese Woche lieferte das Onlinenachrichtenportal Denik Referendum eine andere Erklärung: In der Chemiefabrik DEZA sei in der Nacht vor der Umweltkatastrophe ein Unfall passiert.

Das Pikante: DEZA gehört zum Konzern Agrofert von Premier Babis. Und Umweltminister Richard Brabec von Babis populistischer Partei ANO, der für die Aufklärung zuständig ist, war lange Zeit Generaldirektor der Lovochemie, die ebenfalls zu Agrofert gehört.

Fabrik gibt Unfall zu – aber bestreitet Verantwortung

Laut Denik Referendum traten in der Nacht zum 20. September rund zwölf Kubikmeter eines chemischen Cocktails aus, allen voran Phenol. Als Quelle gab das Portal jenen Mitarbeiter der Fabrik an, der den Unfall verursacht hatte. Der Unfall sei meldungspflichtig gewesen, schreibt das Portal – und versucht mit chemischen und biologischen Analysen nachzuweisen, dass das große Fischsterben eben nicht auf Zyanide zurückzuführen sei, sondern auf Phenole.

Stutzig wurde man auch, als das Unternehmen schon einen Tag nach dem Auftreten des Fischsterbens jegliche Verantwortung abstritt, obwohl es noch keine offizielle Stellungnahme der Behörden zur Ursache gab. Mittlerweile gab DEZA zumindest zu, dass es zum entsprechenden Zeitpunkt einen „Vorfall“ in der Fabrik gab, allerdings sei nur eine harmlose Mischung aus Soda und Kalkhydrat ausgetreten. Für die Umweltkatastrophe wies Agrofert-Sprecher Karel Hanzelka jede Verantwortung zurück.

Falsche Spur gelegt?

Mittlerweile bestätigte die tschechische Umweltinspektion CEI, dass auch DEZA unter die Lupe genommen werde, als eine von insgesamt 15 Firmen, die als potenzielle Verursacher infrage kämen. Untersucht werde das schon seit 11. November, sagte CEI-Sprecherin Radka Nastoupilova. Über Details könne sie aber nicht sprechen.

Denik Referendum vermutet, dass die Behörden von Anfang an eine falsche Spur Richtung Roznov-Kanal legen wollten, um DEZA von Anfang an als Verursacher auszuschließen. Durch den Kanal würden zwar laut Anrainer alle zwei Wochen schaumige Abflüsse geleitet, diese seien aber jedenfalls nicht hochgiftig. Und das Portal verweist auch darauf, dass CEI-Sprecherin Nastoupilova früher Sprecherin der Regierungspartei ANO gewesen sei – also Parteifreundin von Umweltminister Brabec und Premier Babis.

Opposition fordert Aufklärung

Zumindest Ersterer kommt nun auch politisch unter Druck: Vertreter der Opposition forderten Umweltminister Brabec diese Woche zum Rücktritt auf. „Entweder haben er und sein Ministerium versagt – oder er deckt eine Firma, die den Fluss kontaminiert hat“, sagte Petr Gazdik von der Bürgermeisterpartei STAN der Agentur CTK zufolge. Der konservative Politiker schrieb 100.000 Kronen (3.800 Euro) Belohnung für Hinweise auf den Verursacher aus.

Statt einer Aufklärung wurde der Fall in den vergangenen Tagen aber mysteriöser: Es wurde bekannt, dass in den vergangenen Wochen mindestens dreimal weitere Substanzen in den Fluss gespült wurden, einmal wurde eine erhöhte Nickelkonzentration festgestellt. Spekuliert wurde, ob Unternehmen die „Chance“ nützen und ihre Abwässer nun in den ohnehin bereits verseuchten Fluss entsorgen. Für Spekulation sorgte zudem der mysteriöse Tod des Betriebsleiters der Kläranlage der Firma Energoaqua, die im Roznov-Industriegebiet ansässig ist und die ebenfalls im Visier der Untersuchungen steht.