Tatsächlich ist in kaum einem anderen EU-Land die Nostalgie über einstige zugehörige Territorien so groß wie in Ungarn. Als Teil der Habsburgermonarchie verlor das Land im Ersten Weltkrieg einst über 60 Prozent seines Gebiets. Doch geht es dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der sich gern einmal vor Karten des historischen Ungarns ablichten lässt, freilich nicht darum, jene Gebiete zurückzugewinnen, als vielmehr um die Gunst der Nachbarländer und weiterer Staaten auf dem Westbalkan.
So weihte Orban im August in Budapest das riesige Denkmal der nationalen Zusammengehörigkeit ein, das an das einstige Großungarn erinnern soll. Außerdem kündigte er an, mit der Slowakei, Serbien, Kroatien und Slowenien „ein neues Zeitalter einzuleiten“. Wichtiger Teil dieses Plans scheint die Medienarbeit zu sein. Denn seit ein paar Jahren schon kaufen Freunde von Orbans Partei FIDESZ Medienunternehmen im Ausland auf bzw. sind um regen Austausch mit den dortigen Medienmachern bemüht.
Verdacht auf politische Manipulation
Berechnungen der EU zufolge flossen zumindest vier Millionen Euro seit August 2018 nach Slowenien und Nordmazedonien durch mindestens drei Firmen, die enge Verbindungen zur FIDESZ-Partei hegen. Davon sollen 1,5 Millionen Euro vor allem slowenischen Medien zugutegekommen sein, die dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa und seiner rechtskonservativen Slowenischen Demokratischen Partei (SDS) nahestehen.
2,5 Millionen Euro sollen über Slowenien nach Nordmazedonien geflossen sein – insbesondere an Medien mit Verbindung zur nationalistischen Oppositionspartei Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit (VMRO-DPMNE). Weitere Zahlungen an den slowenischen SDS-freundlichen Fernsehsender Nova24TV vor den Wahlen im Juni 2018 durch verschiedene, Orban nahestehende, ungarische Unternehmen werden von den Europäischen Grünen auf rund 2,4 Millionen Euro geschätzt.
Laut nordmazedonischen Investigativjournalistinnen und -journalisten wurden zuletzt sogar mehr als 3,2 Millionen Euro in nordmazedonische Medien gepumpt, größtenteils über den ungarischen Medienmanager Peter Schatz, der großen Einfluss in Slowenien genießt und auch in Nordmazedonien zwei Medienanstalten betreibt. Diese sollen unter anderem Gelder aus Ungarn für fiktive Werbungen für Olivenöl und Kühlschrankmagneten erhalten haben.
„Orbans Medienoligarchenfreunde sind eine Gefahr“
Schlüsselperson dabei soll laut dem slowenischen Nachrichtenportal Necenzurirano.si außerdem Orbans langjähriger inoffizieller Berater Arpad Habony sein. Er gilt als inoffizieller Drahtzieher hinter Antimigrationskampagnen und antisemitischen „Fake News“ rund um den amerikanisch-ungarischen Philanthropen George Soros, obwohl seine Position in der FIDESZ bzw. der ungarischen Regierung nicht festgelegt ist.
Der slowenische Journalistenverband wiederum stellte fest, dass Versuche, die nordmazedonische Regierung zu diskreditieren, und die Intensität der Angriffe so weit gegangen seien, dass sie zu einer Bedrohung der Medienfreiheit und der Demokratie beider Länder geworden sind. „Desinformation am Westbalkan, aber auch in der EU, ist ein immer größeres Demokratieproblem“, so auch der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz zu ORF.at. „Orbans Medienoligarchenfreunde sind eine Gefahr für die jungen Demokratien am Westbalkan.“
Forderung an Kommission nach Stärkung der Medien
Mehrere EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier, neben Waitz auch die Sozialdemokraten Kati Piri, Tonino Picula und der österreichische SPÖ-Europaabgeordnete Andreas Schieder, treten entschieden gegen die demokratieschwächende Praxis Ungarns auf. „Er (Orban) nimmt Millionen in die Hand, um in der Bevölkerung gegen die Europäische Union zu wettern und pro-europäische PolitikerInnen wie (Nordmazedoniens) Premierminister Zoran Zaev zu diskreditieren“, so Schieder zu ORF.at, der Vorsitzender der Nordmazedonien-Delegation und Mitglied im Sonderausschuss zu Desinformation und ausländischer Einflussnahme ist.
„Fake News und Einflussnahme kommt nicht immer aus China oder Russland, sondern auch immer öfter aus Ungarn“, so Schieder weiter. Vonseiten der europäischen Sozialdemokraten wurde im Februar 2020 eine mündliche Anfrage an die EU-Kommission gestellt, zu dem Thema Stellung zu nehmen. Eine Antwort der Kommission ist ausständig.
Studie: Schüren ethnischer Konflikte
Einer Studie des EU-Parlaments hält fest, dass in den Medien Nordmazedoniens zunehmend Desinformationskampagnen zu beobachten seien. Unter anderem würden diese auf die Schädigung internationaler Beziehungen, etwa zu Griechenland, sowie auf die Verstärkung interner Konflikte zwischen ethnischen Mazedonierinnen und Mazedoniern sowie ethnischen Albanerinnen und Albanern abzielen. Der Studie zufolge soll auch versucht worden sein, Wahlen zu verzerren, etwa das Referendum über die Namensänderung Mazedoniens in Nordmazedonien im September 2018.
Die Europäischen Grünen fordern daher von der EU-Kommission eine Stärkung der unabhängigen Medien und transparente Finanzierung in der EU. Insbesondere im Falle Nordmazedoniens, das der EU beitreten will, sei das unerlässlich. Überdies wollen sie eine Aufklärung bereits geflossener Transaktionen sowie eine unabhängige und langfristige Finanzierungsstruktur für freie Medien in Europa.
„Wenn sich herausstellt, dass Orban wirklich hier seinen Einfluss eingesetzt hat, um antieuropäische Propaganda zu entfachen, dann ist das eine illegitime Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates“, so Waitz. Die Kommission müsse dann auch klären, woher diese Geldflüsse stammen, um sicherzustellen, dass es nicht zu einem Missbrauch von EU-Geldern gekommen sei. In der Rangliste der Pressefreiheit 2020 von Reporter ohne Grenzen befindet sich Ungarn auf Platz 89 von 180, Nordmazedonien auf Platz 92 und Slowenien auf Platz 32.