Lehrerin mit Schüler
ORF.at/Carina Kainz
Deutschförderklassen

Lehrende sehen viele Probleme

Seit über zwei Jahren werden Kinder, die der Unterrichtssprache Deutsch noch nicht ausreichend folgen können, großteils getrennt von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern unterrichtet. In einer Studie der Uni Wien kommen nun jene zu Wort, die wohl den besten Einblick in die umstrittenen Deutschförderklassen haben: die Lehrerinnen und Lehrer. Und die zeigen sich großteils nicht überzeugt.

Gleich vorweg: Immerhin 36 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer sehen das aktuelle Modell der Deutschförderklassen – mit Blick auf die sprachliche, persönliche und soziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler – als positiv bzw. eher positiv. Ein Modell hingegen, in dem alle gemeinsam unterrichtet werden, beurteilen aber 78 Prozent als positiv bzw. eher positiv.

Für die Studie des Zentrums für Lehrer*innenbildung der Universität Wien wurden 1.267 Lehrerinnen und Lehrer von Schulen, an denen es Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse gibt, befragt. Mit fast 70 Prozent unterrichtet ein Großteil der Befragten an Volksschulen.

Schwerpunkt Deutsch

In Deutschförderklassen wird 15 bis 20 Wochenstunden Deutsch unterrichtet; für Zeichnen, Musik und Turnen gehen die Kinder in ihre Stammklassen. Für Kinder in Regelklassen, die noch Unterstützung brauchen, finden Deutschförderkurse mit sechs Wochenstunden statt.

Sprachvorbilder fehlen

Dass in den Deutschförderklassen die Lehrperson das einzige Sprachvorbild ist, wird von besonders vielen der befragten Lehrerinnen und Lehrern als Problem genannt. Das Potenzial gleichaltriger Sprachvorbilder bleibe ungenützt. „Mitschüler und Mitschülerinnen als Sprachvorbilder fehlen“, gibt etwa eine Lehrperson in der Befragung an. Nicht zuletzt werde dadurch unter den Kindern der Deutschförderklasse auch ein „fehlerhaftes Deutsch kultiviert“.

Für die Kinder der Deutschförderklassen entstehe wenig Gemeinschaftsgefühl, schreibt eine andere Lehrperson: „Sie werden ständig im Schulhaus herumgeschickt und haben dadurch mehr Stress als die anderen Kinder.“ Ein Nachteil sei zudem, dass die Deutschförderklassen nicht homogen seien – „vom Vorschulkind bis zum Drittklässler sind alle Schulstufen in meiner Klasse vertreten“.

Nicht nur unterschiedliche Schulstufen, sondern auch unterschiedliche Leistungsniveaus gibt es in den Deutschförderklassen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass manche Schülerinnen und Schüler gerade in Österreich angekommen sind, während andere schon auf dem Sprung in die Regelklasse sind.

Kind in Schule
ORF.at/Carina Kainz
Ob ein Kind von der Deutschförderklasse in die Regelklasse wechseln darf, entscheidet ein standardisiertes Testverfahren

Kinder bleiben in Mathematik und Englisch zurück

Ein Aufatmen gibt es mit dem Wechsel in die Regelklasse – und damit auch vom außerordentlichen zum ordentlichen Status – meist nur kurz. Weil in den Deutschförderklassen der Fokus auf Deutsch liegt, würden den Schülerinnen und Schülern in Fächern wie Mathematik und Englisch beim Wechsel in eine Regelklasse „sämtliche Voraussetzungen fehlen, um dort mithalten zu können“, schreibt eine Lehrperson. Der Prozess des „sich Beweisens“ sei mit dem Übertritt noch lange nicht abgeschlossen, betonen mehrere Lehrende.

MIKA-D

Die Zuteilung zur Deutschförderklasse erfolgt auf Basis des Tests MIKA-D (Messinstruments zur Kompetenzanalyse Deutsch) bei der Schuleinschreibung. Weitere Tests finden jeweils zu Semesterende statt.

Die Aussagen von Lehrpersonen verdeutlichen laut den Studienautorinnen den Druck, Schülerinnen und Schüler nicht nur zu einem Sprachniveau zu bringen, das als „ausreichend“ erachtet wird, sondern auch die Sprachstandsüberprüfung MIKA-D zu bestehen und gleichzeitig fachspezifische Inhalte, etwa aus Mathematik, zu erwerben, um den Anschluss an die Regelklasse zu bewältigen.

Schülerinnen und Schüler, die von einer Deutschförderklasse in eine Regelklasse wechseln, stünden „unter ständigem Performancedruck“ und müssten Inhalte und Wissen nachholen.

„Lehrkräfte sind nicht überzeugt“

„Dass die Lehrkräfte von dem aktuellen System nicht überzeugt sind“, bezeichnet Studienleiterin Susanne Schwab vom Zentrum für Lehrer*innenbildung im Interview mit ORF.at als wichtigste Erkenntnis der Befragung. Denn die Einstellung der Lehrenden spiele eine wichtige Rolle für guten Unterricht.

„Es ist problematisch, dass wir aktuell das Gegenteil von dem machen, was aus Sicht der Lehrkraft wichtig für die Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler wäre, nämlich integrative Sprachförderung mit zusätzlichen Ressourcen“, so Schwab.

Knapp 40 Prozent der Lehrkräfte, die in Deutschförderklassen unterrichten, sind laut Studie nämlich nicht oder eher nicht der Meinung, dass Schülerinnen und Schüler die nötige Hilfe bekommen. Zudem gibt mehr als die Hälfte an, nicht genug Zeit für ihre Schülerinnen und Schüler zu haben. Kritisiert werden auch die zu großen Gruppen: Viele der befragten Lehrenden erachten eine kleine Lerngruppe mit mindestens zwei Lehrpersonen als maßgeblich für Lernfortschritte.

„Es ist mehr ein Probieren“

Auch an der Ausbildung der Lehrkräfte müsse gearbeitet werden, so Schwab, sodass sich diese als kompetent erleben. Denn immerhin über 20 Prozent der Lehrenden, die in Deutschförderklassen unterrichten, fühlen sich laut Studie nicht ausreichend ausgebildet.

Es sei „mehr ein Probieren und Experimentieren“, führt etwa eine Lehrperson an: „Ich hatte erst diesen September eine Einschulung, leite aber schon im zweiten Jahr einen Kurs. Da braucht es meiner Meinung nach eine gescheite Ausbildung, und man sollte explizit Leute mit dieser Ausbildung anfordern können. Etwas zu vermitteln, von dem ich selbst kaum Ahnung habe, halte ich für bedenklich.“

„Reduktion auf zu verbessernde Deutschfähigkeiten“

Eine bestmögliche Sprachförderung bei gleichzeitiger Inklusion aller Kinder in den Unterricht sollte im Bildungssystem oberste Priorität haben, so Schwab. Und aus wissenschaftlicher Sicht sei das Modell Deutschförderklassen anderen Sprachfördermodellen unterlegen. Denn Sprachvorbilder seien für das formale Erlernen der Unterrichtssprache notwendig. Zudem seien die Kinder der Deutschförderklassen auch sozial von ihrer Stammklasse isoliert.

Doch auch aktuell könnte man laut Schwab schon einiges verbessern: deutlich kleinere Klassengrößen etwa, Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte, Teamteaching und – nicht zuletzt – „Anerkennung und Wertschätzung der Mehrsprachlichkeit der Kinder anstelle der alleinigen Reduktion auf noch zu verbessernde Deutschfähigkeiten“.