Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hält eine Rede
APA/AFP/Tobias Schwarz
„Zahl der Kontakte ist zu hoch“

Merkel will Lockdown vor Weihnachten

Angesichts der nach wie vor prekären Coronavirus-Lage und der näher rückenden Feiertage hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine verschärfte Vorgangsweise verlangt. „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Fest mit den Großeltern war, dann werden wir sicher etwas versäumt haben“, sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldebatte, bei der an sich das Budget 2021 auf der Agenda stand, vor den Bundestagsabgeordneten.

Mit Verweis auf die steigende Zahl der CoV-Toten und Covid-19-Intensivpatienten sprach Merkel von Fallzahlen auf „alarmierendem Niveau“. Deutlich werde der deutschen Kanzlerin zufolge vor allem eines: Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus, „die Zahl der Kontakte ist zu hoch“.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch mit 590 Coronavirus-Toten binnen 24 Stunden einen neuen Höchststand. Rein rechnerisch stirbt damit etwa alle zweieinhalb Minuten ein Mensch im rund 83 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Deutschland an oder mit dem Virus. Die Zahl der Neuinfektionen erhöhte sich um 20.815 auf bisher über 1,218 Millionen. Das sind rund 3.500 mehr als am Mittwoch vergangener Woche.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hält eine Rede
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Merkel fordert eine Verschärfung der CoV-Maßnahmen: Geschäfte könnten noch vor Weihnachten wieder schließen

Das RKI gab zudem die 7-Tage-Inzidenz für ganz Deutschland mit 148,8 pro 100.000 Einwohner an – ebenfalls der höchste bisher gemessene Wert. Damit entfernt sich der Wert zunehmend von der Zielmarke von Bund und Ländern, die wieder die Schwelle von 50 erreichen wollen.

Lockdown kommt „in Trippelschritten“

Merkel warnte deshalb vor einem neuen exponentiellen Anstieg der Zahlen. Mit jedem Tag, an dem die Infektionszahlen in Deutschland nicht spürbar sinken, rückt ein neuer harter Lockdown näher, heißt es dazu in deutschen Medien. „Der harte Lockdown kommt in Trippelschritten“, titelte etwa das „Handelsblatt“ am Mittwoch. Geht es nach dem Virologen Christian Drosten, erscheint eine Verschärfung der Maßnahmen unausweichlich: Wird jetzt nicht nachreguliert, drohe „Ende Jänner und über den gesamten Februar hinaus“ ein Lockdown mit schweren Folgen. Drosten ist Leiter der Virologie an der Berliner Charite und einer der Experten, die an einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina mitgewirkt haben.

„Das reicht einfach nicht aus“

Darin wird empfohlen, die Feiertage und den Jahreswechsel für einen „harten Lockdown“ zu nutzen. Von 24. Dezember bis mindestens 10. Jänner sollte „in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen“. Bereits ab 14. Dezember müssten Kontakte auf ein „absolutes Mindestmaß“ reduziert werden. Drosten sagte, während des Lockdowns im Frühjahr seien die Kontakte in Deutschland um 63 Prozent reduziert worden, derzeit seien es aber nur 43 Prozent. „Das reicht einfach nicht aus.“

Merkel appellierte nun im deutschen Bundestag, die Vorschläge der Leopoldina ernst zu nehmen. Die Politik tue gut daran, das, was die Wissenschaft sage, „auch wirklich ernst zu nehmen“. Zudem sei der Preis von 590 Coronavirus-Toten innerhalb eines Tages nicht akzeptabel. Deutschland müsse die Pandemie wieder in den Griff bekommen. Daran hänge auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes. Im Übrigen werde Deutschland weltweit daran gemessen, wie man durch die CoV-Krise komme, sagte sie mit Blick auf China, das bereits wieder starke Wachstumsraten verzeichnet.

Kritik an Öffnung von Hotels

Was die Verschärfung der Maßnahmen betrifft, forderte Merkel die deutschen Bundesländer auf, einen Ferienbeginn schon ab dem 16. Dezember zu prüfen, und nannte etwa Essens- und Getränkestände auf der Straße als nicht vereinbar mit der notwendigen Kontaktreduzierung. Kontakte und Reisen müssten in der Weihnachtszeit weiterhin vermieden werden.

Merkel kritisierte auch die Vorgangsweise einiger Bundesländer – konkret die über die Weihnachtsfeiertage erlaubten Hotelübernachtungen für Verwandtenbesuche. Sie halte dies weiterhin für falsch. „Der wichtigste Schlüssel zur erfolgreichen Bekämpfung des Virus bei uns ist das verantwortliche Verhalten jedes Einzelnen und die Bereitschaft zum Mitmachen“, sagte Merkel.

Höchstzahl bei CoV-Toten in Deutschland

In Deutschland sind innerhalb von 24 Stunden 590 Menschen durch das Coronavirus gestorben – ein trauriger Rekord. Die Rufe nach strengeren Maßnahmen werden lauter.

Sie sei jedenfalls davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bevölkerung auch weiter dazu bereit sei, wofür sie von Herzen dankbar sei. Die ab Jänner erwarteten Impfungen gegen das Coronavirus nannte Merkel „einen Hoffnungsschimmer“. Weil die Impfungen im ersten Quartal 2021 wohl noch keine ausreichende Anzahl von Menschen erreichen würden, sei Merkel zufolge nach wie vor ein langer Atem gefragt. Der deutschen Regierungschefin zufolge werde man wohl erst im März langsam aus den Einschränkungen herauskommen.

Sachsen zieht Notbremse

Merkel will gemeinsam mit den Bundesländern eine Lösung finden. Ob und wie schnell das gelingt, bleibt offen. Reuters-Angaben zufolge gibt es noch keine Verständigung unter den 16 Ministerpräsidenten. Ein Grund ist, dass die Infektionszahlen im Norden und Süden sowie Südosten Deutschlands weiter sehr unterschiedlich ausfallen.

Unklar bleibt, ob es vor Weihnachten noch einmal eine Runde von Kanzlerin und Ministerpräsidenten geben soll. Sachsen zog bereits als erstes Bundesland die Notbremse und will von 14. Dezember bis 10. Jänner die meisten Geschäfte schließen und in Schulen den Präsenzunterricht aussetzen.

Die Schließungen des Einzelhandels werden nach den Worten Merkels aber auch in anderen Bundesländern „unstrittiger“. So befürwortet nun auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eine solche Maßnahme. Zuvor erklärten sich bereits Bayern und Berlin bereit, Geschäfte zu schließen, wenn die 16 Ministerpräsidenten das gemeinsam verabreden sollten. In Bayern stellte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) indes am Dienstagabend offiziell den Katastrophenfall fest. Die Regelung ist zunächst bis zum 9. Jänner befristet.

Damit ist seit Mittwoch der Präsenzunterricht für ältere Schüler in Bayern wieder deutlich eingeschränkt. In Hotspots ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sollen die Schüler ab der achten Klasse komplett in den Distanzunterricht wechseln. Ferner gelten landesweit strengere Ausgangsbeschränkungen.

„Ideale Zeit für Lockdown“

Der Deutsche Städtetag sieht indes die Zeit nach den Feiertagen als „ideale Zeit für einen Lockdown“, wie Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der „Saarbrücker Zeitung“ sagte. Schulen und Kindertagesstätten seien zu, es gebe Betriebsferien, viele Menschen hätten Urlaub, „und shoppen muss man nach Weihnachten auch nicht unbedingt. Ich werbe deshalb für eine Art gesunden Stillstand vom 28. Dezember bis etwa zum 10. Jänner.“

„Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber meine ruhigste Zeit ist tatsächlich die um Weihnachten bis Anfang Jänner“, sagte dazu der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegenüber der „Bild“-Zeitung. Somit deutete auch Spahn eine anstehende Verschärfung der CoV-Restriktionen an.