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Frisch erschienen

Neue Musik gegen die besonders stille Zeit

Die „stille Zeit“ des Jahres kommt jetzt. Doch eigentlich war dieses Jahr schon still genug: keine Livekonzerte, keine Clubs, keine Disco. Die Musikbranche wurde von der Pandemie schwer getroffen – und mit ihr alle, denen Musik ein Anliegen ist. Doch zumindest für zu Hause gibt es Abhilfe: ORF.at hat mit tatkräftiger Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen von FM4 die interessantesten Neuerscheinungen der vergangenen Wochen zusammengetragen.

„Sie hilft uns, durch den Tag zu kommen“, beschreibt der US-Kulturwissenschaftler Lawrence Grossberg die Rolle der Musik im Alltag. Und genau in Zeiten wie diesen ist das oft notwendig. In vier Kategorien wurden Neuerscheinungen zusammengetragen, zum Entdecken und Wiederentdecken, zum Streamen oder Kaufen, für sich selbst oder auch als Geschenk für andere.

Ausgesucht wurde Neues von den Großen im Business, von den Newcomern und neu zu Entdeckenden, aus der österreichischen Musikszene und schließlich auch von – womöglich – alten Bekannten der Branche.

Stars und Gaststars, wohin das Auge reicht

Das vielleicht am meisten beachtete Album eines großen Stars in den vergangenen Wochen war wohl „Evermore“ von Taylor Swift. Wie schon „Folklore“ unangekündigt, spielt sich Swift in völlig neue Folksphären – und das mit prominenter Unterstützung etwa der Schwesternband Haim sowie der Alternative-Größen The National und Bon Iver.

Gaststars scheinen überhaupt ein Must-have des Plattenherbstes zu sein. Ex-Kinderstar und –Popgöre Miley Cyrus bog Richtung 80er Jahre, unter besonderer Berücksichtigung von Stadionrock, ab. Aus einer Zeit, in der man noch ungestraft „Rockröhre“ schreiben durfte, brachte Cyrus auch Stars wie Joan Jett und Billy Idol mit und kann damit zumindest zwei Generationen versöhnen und für Familienfrieden in der Stillen Zeit sorgen. Auch Blur-Frontmann Damon Albarn hat für seine Comic-Band Gorillaz wieder jede Menge Freunde – darunter etwa Elton John – eingeladen.

Gute alte Zeit und Pandemiebewältigung

Für ältere und härtere Werte sorgen die Altherrenrocker AC/DC, die den Lockdowns dieser Welt mit voller Lautstärke das Motto Tinnitus statt Weltverdruss entgegenhalten. Und ebenfalls für bewährte Qualität sorgt Bruce Springsteen, wieder mit seiner E Street Band vereint. Der mittlerweile zum zweiten Mal verschobenen Tour von Nick Cave kann man mit einem in einer sehr leeren Konzerthalle in London aufgenommenen Klavieralbum des Schmerzensmannes nachweinen.

Apropos Pandemie: Dabei dürfen freilich Die Ärzte nicht fehlen, die sich mit „Hell“ aber weniger von 2020 anmerken lassen als ihre jungen Kollegen AnnenMayKantereit mit ihrem Lockdown-Reflexionsalbum „12“. Nach so viel Denken hilft nur Disco mit Roisin Murphy und für die Weihnachtsstimmung ein von Wüstensand umwehter Tannenbaum der Alternative-Country-Altvorderen Calexico.

Mehr dazu in Internationale Stars trotzen der Pandemie

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Österreich zwischen Elektro und Postpunk

Das vielleicht überraschendste österreichische Album des Musikherbstes hat schon 25 Jahre auf dem Buckel. Die DJs und Produzenten Kruder & Dorfmeister hatten es einfach damals vergessen zu veröffentlichen. So was auch. Auch wieder gefunden hat sich Left Boy – unter seinem richtigen Namen Ferdinand.

Der Rest gehört der jungen Garde. Die Wiener Band Culk schaffte es mit ihrem Postpunkfeminismus zu hymnischen Kritiken – unter anderem im „Spiegel“. Eklektisch und dennoch mit eigenem Sound trumpfen Sharktank auf. Das Salzburger Geschwisterduo Mynth wandert Richtung großen, strahlenden Pop. Und in Sachen Elektropop hat das Trio Nihils schon einiges hinter sich, aber vielleicht noch viel mehr vor sich.

Sie haben etwas zu sagen

Quer durch alle Stile begeistert Earl Mobley, Folk mit ungewöhnlicher Instrumentierung gibt es vom Trio Alpine Dweller. Auf der Suche nach den cleversten Texten des Landes hat Felix Kramer ein oder zwei Wörtchen mitzureden, jetzt gerade mit seinem Album „Alles Gut“. Ein bisschen deftiger, aber nicht minder wortgewandt geht es bei Dreimalumalpha zu – was sich schon am Albumtitel „Jugend ans Geld verloren“ feststellen lässt. Der Dresdner Ansa Sauermann testet die Grenzen zwischen österreichischen und deutschen Lebemännern, sagen wir Wanda und Thees Uhlmann, aus. Und auch die Indie-Institution Kommando Elefant ist wieder da.

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Newcomer: Junge Frauen, junge Männer

In Sachen neue Stars kommt man um eine nicht herum: die texanische Rapperin Megan Thee Stallion, die nach einigen hochkarätigen und scharfzüngigen Singles nun ihr Debütalbum präsentiert hat. Starke erste Platten kommen auch von der Britin Beabadoobee, die sich Richtung Gitarrenmusik der 90er orientiert, und der Neuseeländerin Stella Rose Benett alias Benee mit ihren bunten Elektrosongs. Das Frauenquartett vervollständigt die deutsche Rapperin Ace Tee, die auf nichts weniger als die Zukunft des R&B abzielt.

Bei den männlichen Künstlern mag man Joji als YouTube-Comedian kennen. Als Musiker ist er um Häuser besser. Funkiger Neo-Soul mit Prince-Schlagseite kommt von Omar Apollo. Der Brite Alfie Templeman ist zwar erst 17 und wohnt angeblich noch bei den Eltern, viel bunter als sein Sound wird es heuer aber nicht mehr.

Melancholie, Politik und Italien-Urlaub

Vergleichsweise arriviert sind der vom Songwriter zum Elektroniker konvertierte Elderbrook und Yungblud, dessen durchgeknallter, extrovertierter Rock mit dem zweiten Album eine Spur gesetzter und vor allem gezielter wirkt. Wer Entschleunigung und Melancholie sucht, wird bei Adrianne Lenker und Gus Dapperton fündig. Und mit Trip-Hop-Einschlag auch beim britischen Duo Babeheaven.

Und dann sind da noch zwei Alben, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Das anonyme britische Kollektiv Sault veröffentlichte heuer zwei Platten, die als hypnotischer, wenn auch leicht verstörender Soundtrack zur Black-Lives-Matter-Bewegung gesehen werden können. Die Crucchi Gang wiederum macht aus deutschsprachigen Hits Italopop, inklusive Francoise Cactus von Stereo Total und Sven Regener von Element of Crime.

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Alleine und lange her

Apropos „Das kommt aber bekannt vor“: Ihr mittlerweile 13. Album haben die Eels rund um US-Songschreiber Mark Oliver Everett veröffentlicht – aber als Band. Solo unterwegs sind Matt Berninger, der es ohne The National deutlich leiser angeht, und Will Butler von Arcade Fire. Und wer sich noch an die britische Indie-Band Carter USM erinnern kann: Sänger Jim Bob glänzt nach Literaturausflügen auch mit neuen Songs.

Erst ihr drittes Album, 20 Jahre nach dem ersten, veröffentlichten die australischen Soundschnipsler The Avanlanches. Und auch immerhin sechs Jahre hat der Franzose Woodkid für ein Album gebraucht, das seine hypnotische, zerbrechliche Stimme wieder in Szene setzt.

Es darf auch ein bisschen lauter sein

Eine noch viel weitere Zeitreise zurück gibt es mit der wiederentdeckten Souldiva Bettye LaVette und einem Leistungsshowalbum des legendären Jazz-Labels Blue Note, um alte Stücke in die Gegenwart zu holen.

Am Ende darf es rumpeln. Die Schweizer Aeronauten stellten ihr Album „Neun Extraleben“ nach dem Tod von Sänger Guz fertig. Den Polit-Punk-Rüpeln Idles platzt einmal mehr zu Recht der Kragen, und wer dann zur Abwechslung einen Schuss halbwegs intelligenten Metal braucht, wird bei Deafheaven gut bedient.

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Nicht nur an die Musik selbst denken

Wer sich für einen physischen Tonträger als Geschenk, für sich selbst oder andere entscheidet, kann auch jemandem anderen dabei eine Freude machen: lokalen Plattengeschäften, die sich gegen die große Konkurrenz im Internet stemmen. Oder die Quellen direkt anzapfen: Viele Künstlerinnen und Künstler sowie auch Labels sind mittlerweile mit Webshops und damit Direktvertrieb ausgestattet und verschicken nicht nur Tonträger, sondern auch Merchandise-Artikel.

Live – zumindest in Wohnzimmer

Und auch Konzerttickets – bzw. die Variante davon in Zeiten des Coronavirus – kann man verschenken. Wann richtige Livekonzerte wieder möglich sind, steht zwar in den Sternen, dennoch kann man sich mittlerweile ein bisschen Liveatmosphäre ins Wohnzimmer holen. Musizierten viele Künstler in den vergangenen Monaten noch in ihren Wohnzimmern und streamten das über Soziale Netzwerke gratis, so hat auch hier eine Professionalisierung eingesetzt.

Man stellt sich auf die Bühnen von geschlossenen Clubs und Konzerthallen, spielt ein richtiges Set und filmt das auch einigermaßen so professionell, dass man dafür ein paar Euro verlangen kann. Noch ist das Angebot überschaubar, wächst aber rasch. Einen Überblick bieten einschlägige Musik- und Ticketportale wie Songkick und viele andere.