Collage verschiederner CD-Covers
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Frisch erschienen

Neue Musik von alten Bekannten

Die einen sind schon ewig im Geschäft und haben überraschend und nach langer Pause ein Album veröffentlicht, andere haben ihre sonstigen Projekte links liegen gelassen und sich auf Solopfade begeben. Kurz: musikalische Neubegegnungen mit alten Bekannten.

Eels spenden Trost

„Earth To Dora“ ist das bereits dreizehnte Album der Eels, jenem Bandprojekt des US-Songschreibers Mark Oliver Everett. Es handelt sich um eine melodische, tröstende, gar erhebende Platte, trotz schwieriger zwischenmenschlicher Angelegenheiten. Alle Songs auf „Earth To Dora“ sind vor der Covid-19-Pandemie entstanden, bis auf „Are We Alright Again“. Letzteres ist eine Art Tagtraum, dass alles nur ein Alptraum war.

Beim düsteren, aber letztlich optimistischen „OK“ klingt Mark Oliver Everett fast wie Lou Reed oder auch ein wenig wie der späte Johnny Cash. Den Vergleich mit großen Namen braucht Everett nicht zu scheuen, ist er mit den Eels doch längst selbst einer der Großen der Musikwelt – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Eels: „Earth To Dora“, E Works/PIAS

Matt Berninger auf reduzierten Solopfaden

Matt Berninger war immer schon ein Musiker der großen Worte, Gesten und Geschichten. Seit über 20 Jahren prägt er mit unverkennbarem Bariton und präziser Lyrik die Musik der Grammy-ausgezeichneten Band The National, mit „Serpentine Prison“ ist im September sein erstes Soloalbum erschienen. Berninger bewegt sich darauf, unterstützt vom Blues-Starproduzenten Booker T. Jones, zwischen Kammerpop, Blues und Folktradition. Musikalisch ist alles zur Essenz reduziert, passend zu den Texten, in denen es um alles geht: Einsamkeit, Angst, Verlust, die unglückliche Liebe. Ein Fest für alle Berninger-Puristen, auch wenn manche Lieder auf „Serpentine Prison“ den Bandcharakter schmerzlich vermissen lassen – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Lisa Schneider, FM4)

Matt Berninger: „Serpentine Prison“, Book Records

Butler ohne Arcade Fire

„Generations“ ist das zweite Soloalbum von Will Butler, dem charismatischen Multiinstrumentalisten der erfolgreichen kanadischen Band Arcade Fire. Als Butler im Frühling dieses Jahres an den neuen Songs arbeitete, in seinem gut ausgerüsteten Home-Studio in Brooklyn, New York, war gerade Lockdown. Statt wie sein erstes Soloalbum, das während einer Tourpause von Arcade Fire in den legendären New Yorker Electric Lady Studios entstand, wurde das neue also schlicht zu Hause geboren. Die Vögel vor den Fenstern sangen so kräftig, wie Will Butler sie selten zuvor gehört hatte. „Generations“ ist ein abwechslungsreiches Album, dessen Songs eine gewisse Unruhe und Rastlosigkeit innewohnt – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Will Butler, „Generations“, Merge Records

Hooligans gegen Machismus

Die britischen Post-Punker Idles zeigen auch auf ihrem dritten Album, dass sie aktuell eine der kompromisslosesten Rockbands sind. Sänger Joe Talbot klingt immer noch wie ein Hooligan, dem angesichts all der toxischen Männlichkeit und Faschismen der Kragen platzt. Die Texte kommen meist unmaskiert politisch daher, zuweilen sogar ein bisschen patschert, aber der Punk-Attitüde schadet das nicht unbedingt. Und für das CoV-immunisierte Konzertpublikum der Zukunft sollte es ein großer Spaß werden, zum feministischen „Ne Touche Pas Moi“ Pogo zu tanzen und zu grölen: „This is my dance space, this is your dance space.“ (Harald Lenzer, ORF.at)

Idles: „Ultra Mono“, Partisan

Kalter Sound, warme Stimme

Ganze sieben Jahre nach dem gefeierten Debüt meldet sich der französische Musiker Woodkid mit seinem zweiten Album zurück. Für Yoann Lemoine ist das Projekt nur eine von vielen Ausdrucksformen: Das Universaltalent ist gefragter Regisseur für Musikvideos und komponiert Soundtracks für Games und Modeschauen. Woodkid versteht es, Gefühle wie Wehmut, Sehnsucht und Pathos in Musik zu übersetzen. Er ist ein Meister der Inszenierung, mitunter fühlt man sich bei „S16“ in einen bombastischen Film versetzt. Besonders spannend ist es immer dann, wenn der kalte, maschinelle Sound in Kontrast zu Woodkids warmer, zerbrechlicher Stimme steht. Hier hat ein Künstler eine außergewöhnliche Gefühlswelt geschaffen – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Felix Diewald, FM4)

Woodkid: „S16“, Green United

Postumes Rumpeln aus der Schweiz

Im Jänner starb Sänger Oliver Maurmann alias Olifr M. Guz, 52-jährig und auf ein Spenderherz wartend. Seine Band, die Aeronauten, finalisierten in den vergangenen Monaten das letzte gemeinsame Album mit dem bezeichnenden Titel „Neun Extraleben“. Mit ihrer Mischung aus Soul, Garagenrock, Ska und einer Prise Surfpunk zeigen die Aeronauten dabei erneut, dass sie nicht nur die beste, sondern auch die sympathischste Band der Ostschweiz waren und sind. Die Single „Irgendwann wird alles gut“ reiht sich nahtlos in die Reihe an Songperlen der Band ein – warum die Schweizer nie den großen Durchbruch geschafft haben, bleibt ein Rätsel. (Christian Körber, ORF.at)

Die Aeronauten: „Neun Extraleben“, Tapete records

Samplinglawine aus Australien

Mit ihren aus Hunderten Samples bestehenden Hits „Since I Left you“ und „Frontier Psychiatrist“ schlug die australische Band The Avalanches vor genau 20 Jahren groß ein. Dann wurde es lange Jahre sehr ruhig. Erst 2016 folgte das Album „Wildflower“. Nun legt die zum Duo geschrumpfte Band ihr erst drittes Album „We Will Always Love You“ vor. Zwar bleiben die Australier ihrer Arbeitsweise, aus unzähligen Musikschnipsel Neues zu schaffen, treu, dennoch geht man in den meisten der 25 Tracks einen Schritt Richtung klassisches Songwriting. So dreht sich jetzt alles um hochkarätige Gaststars wie Jamie xx, Neneh Cherry, Perry Farrell von Jane’s Addiction, Mick Jones von The Clash und Rivers Coumo von Weezer, der auf „Running Red Lights“ die Stimme beisteuert. (Christian Körber, ORF.at)

The Avalanches: „We Will Always Love You“, EMI

Gute Nacht, Jim Bob

Mit Gitarrenwänden, süßen Melodien, einer Drum-Machine und scharfzüngigen Texten war das Duo Carter USM ein Fixstern der britischen Indieszene der 90er und so etwas wie die Pet Shop Boys mit Punkeinschlag. Nach der Bandauflösung 1998 blieben die Soloprojekte von Sänger Jim Bob eher den Hardcore-Fans vorbehalten. Erfolgreicher waren seine Romane. Nun legte er mit „Pop Up Jim Bob“ sein erstes Album seit mehreren Jahren vor – und schaffte prompt eine Stippvisite in den britischen Charts. Und es zeigt sich, dass der Engländer weder sein Gespür für Melodien noch sein Talent für politische Alltagsbeobachtungen in Texten verloren hat. (Christian Körber, ORF.at)

Jim Bob: „Pop Up Jim Bob“, Cherry Red Records

Die Joni Mitchell vor Joni Mitchell

Es ist die Weihnachtsüberraschung für Joni-Mitchell-Fans: Sie, die stets bekundet hat, dass sie selbst kein Fan ihrer frühen Arbeiten ist, hat nun doch ihr Archiv geöffnet. Eine 5-CDs-Box, die die Jahre noch vor ihrem ersten Album abdeckt: darunter 29 Songs, die man sie bisher nie singen hat hören. Es sind Anfänge in einer für sie schwierigen Zeit, als sie aus einer Ehe flüchtet und ihre Tochter zur Adoption freigibt. Über die fast sechs Stunden an Material lässt sich die Wandlung von einer Interpretin von Folksongs hin zu einer innovativen Komponistin und smarten Texterin mit einer einmaligen Stimme nachverfolgen – von den ersten Aufnahmen der 19-Jährigen bis zu einem Livekonzert von 1967, in dem sie sympathisch mit dem Publikum spielt und unter anderem ihr berühmtes „Both Sides Now“ in souveräner Abgeklärtheit hinwirft.

Joni Mitchell Archives – Vol.1: The Early Years (1963-1967), Rhino Records

Die Wiederentdeckung einer Souldiva

Seit ihrer ersten Aufnahme 1962 hat Bettye LaVette viele Höhen und Tiefen durchlaufen. Die großen Erfolge blieben ihr verwehrt, warum, ist in ihrer Autobiografie zu lesen. Aufgegeben hat sie nie, schließlich wurde sie in den 2000er Jahren wiederentdeckt, als ihr verloren geglaubtes Album „Child of the Seventies“ in Archiven von Atlantic Records gefunden wurde: der Beginn ihrer zweiten Karriere. 2020 erschien „Blackbirds“, auf dem sie Nina Simone bis Billie Holiday und als einzigen Sänger Paul McCartney covert. Sie imitiert nicht, sondern singt, wie sie sagt, als sei für sie geschrieben worden. Die Musiker, die Produzent Steve Jordan versammelt hat, stellen ihre Stimme in den Vordergrund. Dunkle Stimmung, aber stets im Bewusstsein, dass auf den Winter der Frühling folgt. (Mario Palaschke, ORF.at)

Bettye LaVette: „Blackbirds“, Verve Records

Blue-Note-Katalog in die Gegenwart geholt

Blue Note, das 1939 in New York gegründete Label, ist für viele ein Synonym für Jazz. Alle zwei Jahrzehnte startet das Label eine Art Vermittlungskampagne, um diesen Status aufrechtzuerhalten. Um 2000 waren das Remixes von angesagten Musikern wie Kenny Dope und Hip-Hop-Beat-Avantgardist Madlib. 2020 lädt Blue Note die Protagonisten des „New London Jazz“ ein, klassische Stücke neu zu interpretieren. Dass diese Generation Hard Bop und Hip-Hop unterschiedslos zu ihren Einflüssen zählt, zeigen etwa die Interpretationen von Wayne Shorters „Footprints“ durch das Ezra Collective oder Nubya Garcias Version von Joe Hendersons „A Shade of Jade“. Der Sampler ist ein guter Einstieg sowohl in die Vergangenheit Blue Notes als auch in jene Szene von jungen und kompromisslosen Musikern, die seit rund vier Jahren London zum neuen Zentrum innovativer Jazzklänge machen. (Florian Baranyi, ORF.at)

Diverse Künstler: „Blue Note Re:imagined 2020“, Blue Note, Universal

Trostpflaster mit Reibeisen

„10 Years Gone“ von Deafheaven ist Rückschau und Trostpflaster – für all die abgesagten Konzerte im Jahr 2020. Die acht Songs wurden, wie die kalifornische Band, die für intelligenten Metal mit Reibeisengesang und überraschenden Wendungen steht, wissen ließ, leicht modifiziert und live eingespielt. Hier finden sich einige der besten Stücke der zwischen Black Metal und Postrock einzuordnenden Deafheaven: Neben Bekanntem wie „From the kettle onto the coil“, „Dream House“ und „Glint“ enthält das Album auch das Frühwerk „Daedalus“, der Grammy-nominierte Hit „Honeycomb“ fehlt. „10 Years Gone“ steht einstweilen digital zur Verfügung, soll aber nächstes Jahr auch physisch zu erwerben sein. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Deafheaven: „10 Years Gone“, Sargent House