Demo von Abtreibungsbefürwortern in Buenos Aires
Reuters/Agustin Marcarian
Nach jahrelangen Protesten

Argentinien legalisiert Abtreibung

Nach jahrelangen Protesten hat Argentinien am Mittwoch als erstes großes Land Lateinamerikas ein Gesetz zur Legalisierung von Abtreibungen erlassen. Der Senat stimmte mit 38 gegen 29 für einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Erlaubt wird damit ein Abbruch bis zur 14. Woche der Schwangerschaft. Der Abstimmung war eine 13-stündige Marathondebatte und ein Votum im Parlament vorausgegangen.

Zu der Möglichkeit des Abbruchs in der 14. Woche dürfen Frauen die staatlichen Gesundheitssysteme für den Eingriff nutzen. Gleichzeitig wird ein neues Programm zur Vermeidung und Vorbeugung ungewollter Schwangerschaften geschaffen. Einkommensschwache Frauen, die sich gegen einen Abbruch entscheiden, wird die Regierung künftig in den ersten drei Jahren unterstützen, um Unterernährung und Kindersterblichkeit zu verhindern.

Demo von Abtreibungsbefürwortern in Buenos Aires
APA/AFP/Juan Mabromata
Das grüne Tuch „el panuelo verde“ ist das Symbol der Aktivistinnen und Aktivisten für ein Selbstbestimmungsrecht für Frauen

Starke feministische Protestbewegung

In Argentinien hatte seit Langem ein erbitterter Streit um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geherrscht. Das neue Gesetz ist somit ein Sieg für die starke feministische Protestbewegung und deren „Nationale Kampagne für legale, sichere und kostenfreie Abtreibungen“. Seit mehr als 15 Jahren kämpfe man „auf der Straße“ für eine Entkriminalisierung des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs, hieß es vorab in einer Mitteilung der Kampagne, die auf Nachrichtenpool Lateinamerika veröffentlicht wurde.

Im Vorfeld der Abstimmung kam es regelmäßig zu starken Protesten zwischen den Befürworterinnen und Befürwortern sowie den Gegner und Gegnerinnen. Während die Befürworterinnen an den grünen Tüchern zu erkennen sind, die zum Symbol der Bewegung wurden, sind die Abtreibungsgegner und -gegnerinnen oft in Blau gehüllt.

Papst setzt Abtreibung mit Auftragsmord gleich

Bereits Ende November riefen die katholische und evangelische Kirchen zu Protesten gegen das Gesetzesvorhaben auf. Damals gingen Tausende Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegner auf die Straßen von Buenos Aires, auf ihren Plakaten standen Slogans wie „Rettet beide Leben“ und „Marsch für die Ungeborenen“.

Die in Argentinien einflussreiche katholische Kirche setzte sich in der Vergangenheit vehement gegen die Verabschiedung des Abtreibungsgesetzes ein. So verurteilte auch Papst Franziskus, der nach wie vor stark in das politische Geschehen seiner Heimat involviert ist, bereits mehrmals Schwangerschaftsabbrüche aufs Schärfste.

Immer wieder setzte er Abtreibung mit dem Anheuern eines Auftragsmörders gleich. So schrieb er auch heuer in einem auf Vatican News veröffentlichten Brief: „Ist es gerecht, menschliches Leben zu zerstören, um ein Problem zu lösen? Und ist es gerecht, dafür einen Killer anzuheuern?“

Erst einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung meldete sich Franziskus noch einmal via Twitter zu Wort. „Der Sohn Gottes wurde als Ausgeschlossener geboren, um uns zu sagen, dass jeder ausgeschlossene Mensch ein Kind Gottes ist“, schrieb er unter anderem. Beobachter werteten das als einen der letzten Versuche der katholischen Kirche, Einfluss auf die Entscheidung über die Gesetzesinitiative zu nehmen.

Papst Franziskus
Reuters/Vatican Media
„Ist es gerecht, menschliches Leben zu zerstören, um ein Problem zu lösen? Und ist es gerecht, dafür einen Killer anzuheuern?“, fragte der Papst kürzlich

„Richtungsweisende“ Entscheidung

Der Einfluss der katholischen Kirche dürfte auch bei der Abstimmung vor zwei Jahren eine große Rolle gespielt haben: Damals scheiterte die Initiative zur Legalisierung der Abtreibung – wenn auch nur knapp an einer Mehrheit im Senat. Daraufhin kam es zu Massendemonstrationen von rund einer Million Frauen sowie zur Formation der Protestbewegung „Marea Verde“, der „Grünen Welle“, die schnell auch über die Grenzen Argentiniens schwappte. Argentinien habe Proteste in ganz Lateinamerika inspiriert, so Catalina Martinez, Direktorin für Lateinamerika und die Karibik beim Zentrum für Reproduktive Rechte. „Es war ein Erwachen“, so Martinez gegenüber Reuters.

Folglich sehen Experten und Expertinnen die Entscheidung als richtungsweisend für die Zukunft der anderen Länder Lateinamerikas an. Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch nach der Fristenregelung (wie in vielen europäischen Ländern inklusive Österreich) nur in Uruguay, Kuba und Mexiko-Stadt erlaubt. In Brasilien ist eine Abtreibung nur in besonderen Fällen, etwa bei Vergewaltigung, möglich, in El Salvador droht Frauen indes sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu 40 Jahren.

Demo von Abtreibungsgegnern in Buenos Aires
Reuters/Matias Baglietto
Tausende demonstrierten Ende November in Buenos Aires gegen die geplante Abtreibungslegalisierung und „für das Leben“ („pro vida“)

Hunderttausende illegale Abtreibungen pro Jahr

Bisher waren Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien laut einem Gesetz aus dem Jahr 1920 verboten und wurden mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft. Ausnahmen waren nur nach Vergewaltigungen oder bei Lebensgefahr für die Mutter zulässig. In besonders konservativen Provinzen wurde das vergewaltigten Minderjährigen jedoch bisweilen verwehrt. Für Aufsehen sorgte etwa vergangenes Jahr der Fall einer Elfjährigen, die von dem 65-jährigen Partner ihrer Großmutter vergewaltigt wurde und dann per Kaiserschnitt das Kind zur Welt bringen musste.

Die Regierung schätzt, dass in dem 44-Millionen-Einwohner-Land jährlich 370.000 bis 520.000 Frauen illegale Abtreibungen vornehmen lassen. Rund 50.000 Frauen werden jährlich wegen gesundheitlicher Komplikationen nach illegalen Abtreibungen in Krankenhäuser eingeliefert. Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International sprechen von Dutzenden Frauen, die dabei sterben.