EU-Ratsgebäude von außen
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Gipfel

EU-Staaten legen Budgetstreit bei

Weißer Rauch in Brüssel: Auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs konnte die Blockade von Ungarn und Polen bei der Budgetfrage gelöst werden. Das gab Ratspräsident Charles Michel Donnerstagabend auf Twitter bekannt. Damit dürfte nun der Weg für das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket der EU frei sein. Große Hürde ist nun das Thema Klima – auch Freitagfrüh dauerten die Gespräche an.

„Deal beim mehrjährigen EU-Finanzrahmen und dem Wiederaufbaupaket“, schrieb Michel auf Twitter. „Nun können wir mit der Implementierung anfangen und unsere Wirtschaft wieder sanieren“, so Michel. „Unser richtungsweisendes Konjunkturpaket wird unsere grüne und digitale Transformation vorantreiben“, so der Ratspräsident weiter.

Damit wurde die größte Hürde des zweitägigen Gipfels bereits am frühen Abend des ersten Tages gestemmt – und das künftige Budget ist nun wohl auf Schiene. Es war das erste Mal nach einer langen coronavirusbedingten Pause, dass der Ratspräsident EU-Spitzenpolitikerinnen und -politiker nach Brüssel lud.

Budgetkommissar Johannes Hahn schrieb auf Twitter, dass die Mitgliedsstaaten „Einigkeit, Handlungsfähigkeit und Verantwortung“ gezeigt haben. Mit der Zustimmung des Europaparlaments könnten dann die wirtschaftliche Erholung sowie die digitale und grüne Transformation in der EU beginnen, so Hahn.

Polen und Ungarn erfreut – und stellen Klage in Aussicht

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte den ausgehandelten Kompromiss zur neuen Rechtsstaatsklausel einen „doppelten Sieg“. „Zum einen kann der EU-Haushalt starten und Polen bekommt daraus 770 Milliarden Zloty (rund 174 Mrd. Euro). Zum anderen sind diese Gelder gesichert, denn der Mechanismus der Bedingungen wurde durch sehr genaue Kriterien begrenzt“, sagte Morawiecki. Die Vereinbarung verhindere, dass die Regeln später noch gegen Polens Interessen geändert werden könnten.

Kompromiss im EU-Budgetstreit

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat der Streit über das 1,8 Billionen Euro schwere EU-Budget mit einem Kompromiss geendet.

Auch Ungarn wertete die Einigung als Erfolg für sich. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte in einem kurzen Video, das auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht wurde: „Wir haben die Interessen Ungarns geschützt. Die Landung war erfolgreich.“

Umgehend kündigten die beiden Mitgliedsstaaten auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. „Natürlich werden wir das tun, denn wir glauben, dass überprüft werden muss, ob das im Einklang mit den (europäischen) Verträgen ist“, so Polens Regierungschef. In der EU war man auf diese Ankündigung offenbar vorbereitet. Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova sagte gegenüber „Politico“, dass man durch diesen Prozess keine wesentliche Verzögerung erwarte. Es sei „ihr Recht“, den Mechanismus auf seine Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen. „Es wird sich meiner Ansicht nach hier eher um Monate als um Jahre handeln.“

„Bin froh, dass wir Weg nach vorn gefunden haben“

Schon im Vorfeld standen die Zeichen auf Einigung. „Das wäre ein starkes Signal an den Rest der Welt, aber auch an unsere Bürger“, sagte Ratschef Michel. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich optimistisch. „Ich bin froh, dass wir einen Weg nach vorn gefunden haben“, sagte sie vor Gipfelbeginn. Nach der Einigung sagte sie: „Europa kommt voran.“ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb unterdessen: „Europa bewegt sich vorwärts, ist geeint und trägt seine Werte.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte vor dem Gipfel, er wolle einer Einigung „sicherlich nicht entgegenstehen“. Einen Vorschlag wie jenen der deutschen Ratspräsidentschaft bringe man nur ein, wenn er auch mit den wichtigsten Akteuren abgestimmt sei, so der Kanzler.

Kürzung erst nach EuGH-Urteil

Erst tags zuvor kursierte in EU-Kreisen der Vorschlag, der zwischen Berlin, Warschau und Budapest ausgehandelt wurde. In dem Vorschlag wird etwa konkret darauf hingewiesen, dass die Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit „objektiv, fair, unparteiisch, faktenbasiert“ sein wird. Es werde ein „ordnungsgemäßes Verfahren, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung der Mitgliedsstaaten gewährleisten“, heißt es in dem Dokument.

Sitzungssaal im EU-Rat
APA/AFP/Olivier Hoslet
Nach längerer Pause fand der Gipfel nicht per Videokonferenz, sondern im Ratsgebäude in Brüssel statt

Die Kürzung oder Streichung von EU-Geldern soll nicht wirksam werden, solange bei einer Klage gegen diese noch kein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorliegt. Solche Verfahren dauern in der Regel eines bis eineinhalb Jahre.

Klimaziel als hohe Hürde

In der Nacht war das EU-Klimaziel die große Hürde. Bisher strebt die EU an, ihre Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken. Das soll auf mindestens 55 Prozent hochgeschraubt werden. Einige östliche EU-Staaten sind stark auf Kohle angewiesen und hoffen auf mehr finanzielle Unterstützung für die Energiewende. Gerüchten zufolge hieß es, dass Polen eine Einigung bis in die frühen Morgenstunden nicht ermöglichte.

Kurz sagte im Vorfeld des Gipfels, dass man sich zu den „ambitionierten“ Klimazielen „bekennt“. Er zeigte sich zuversichtlich, dass man sich auf das neue Ziel einigen werde. Gleichzeitig verwies er auf notwendige „Schritte zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit“. Man habe in Europa „Gott sei Dank“ auch „energieintensive Produktion und Industrie“, Kurz verwies hier etwa auf die voestalpine. Wenn anderswo nicht dieselben Kriterien gelten wie in Europa, würde das bedeuten, dass die Industrie abwandert.

Bundeskanzler Sebastian Kurz in Brüssel
AP/Yves Herman
Kurz zeigte sich optimistisch, was eine Einigung anbelangt

Merkel bekräftigte die deutsche Unterstützung für das 55-Prozent-Ziel, räumte aber ein: „Hierzu gibt es noch keinen Beschluss des Europäischen Rates, und das wollen wir während dieser Tagung natürlich auch versuchen.“ Auch der französische Präsident Emmanuel Macron machte sich für das höhere Ziel stark. „Wir müssen unsere Zusagen mit Blick auf 2030 erhöhen. Das wird von Europa erwartet.“ Noch blieben viele Diskussionen zu führen, es sei aber zu hoffen, dass es eine klare und entschiedene Position geben werde.

Coronavirus als erster Punkt auf Tagesordnung

Nach einigen Planänderungen machte den Auftakt am frühen Nachmittag die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie, besonders im Hinblick auf die bevorstehende Impfung. Kurz lobte den „hochprofessionellen“ Prozess, um einen Impfstoff in der EU zu erwerben. Jetzt gehe es um die entsprechende Zulassung – dabei müssten „alle wissenschaftlichen Kriterien“ erfüllt sein. Er hoffe auf eine „rasche und unbürokratische“ Zulassung durch die EMA.

In der Abschlusserklärung heißt es, dass man die bisherige Koordinierung begrüße. Insbesondere bei den möglichen Lockerungen der bisherigen Reisebeschränkungen wolle man zusammenarbeiten – sobald es die gesundheitliche Situation erlaube. Wenn bald Impfstoffe eingesetzt werden könnten, heiße das nicht, „dass die Pandemie vorbei ist“. Die epidemiologische Situation in Europa bleibe besorgniserregend.

Weitere Maßnahmen gegen Türkei beschlossen

Die schwierigen Beziehungen zur Türkei wurden am Abend besprochen – lange nach Mitternacht wurden dann neue Sanktionen beschlossen. Grund sind die nicht genehmigten türkischen Erdgaserkundungen vor Zypern. Die Sanktionen könnten sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen treffen, die an als illegal erachteten Probebohrungen beteiligt sind. Sie sollen vom Ministerrat endgültig beschlossen werden und Einreiseverbote und Vermögenssperren umfassen.

Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige oder ein EU-Waffenembargo wird es hingegen vorerst nicht geben. Entsprechende Forderungen wegen der anhaltend konfrontativen Politik der Regierung in Ankara fanden nicht die erforderliche einstimmige Unterstützung.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte die EU zuvor vor einem Bruch mit der Türkei. Es gebe Differenzen mit Ankara, die man angehen müsse, sagte Stoltenberg. Gleichzeitig müsse man aber erkennen, welche Bedeutung die Türkei als Teil der NATO und auch als Teil der „westlichen Familie“ habe.

Unklarer Ausgang in Sachen Brexit

Über den Brexit werde unterdessen nur beim Abendessen gesprochen, hieß es aus EU-Kreisen. Erst am Mittwoch trafen der britische Premier Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen – ohne Ergebnis. Nun wolle man bis Sonntag zu einem Abschluss kommen. Kurz sagte, er hoffe, dass man ein „No Deal“-Szenario abwenden könne und es zu einer Einigung kommen werde.