Russlands Präsident Wladimir Putin umgeben von afrikansischen Staatschefs
Reuters/Sergei Chirikov
Weltordnung

Putins starker Griff nach Afrika

Russland verstärkt seit Jahren – von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt – seine Präsenz in Afrika und wurde zum weitaus größten Waffenlieferanten des Kontinents. Politische und strategische Motive spielen ebenso mit wie wirtschaftliche Interessen. Als härtester Konkurrent erweist sich das befreundete China.

„Afrika wird immer mehr zu einem Kontinent der Möglichkeiten“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, „die Stärkung der Beziehungen zu afrikanischen Ländern ist eine der Prioritäten der russischen Außenpolitik.“ Das Zitat des Kreml-Chefs datiert bereits vom Oktober 2019, als der erste Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi ausgerichtet wurde, um weitere Kooperationsmöglichkeiten auszuloten.

Und diese schöpft Moskau zusehends aus: Jüngst wurde ein Militärabkommen für einen russischen Marinestützpunkt im Sudan unterzeichnet, der als Logistikzentrum dienen soll, in dem „Reparatur- und Nachschubeinsätze“ vorgenommen werden können. Das Dokument sieht eine Laufzeit von 25 Jahren vor und kann automatisch um zehn Jahre verlängert werden. Ziel der Übereinkunft ist die „Bewahrung von Frieden und Stabilität in der Region“. Vordergründig soll vor allem der Piraterie der Kampf angesagt werden, doch angesichts der schwindenden Problematik dürften politische und wirtschaftliche Motive näher liegen.

Russisches Flugkörperschnellboot
Reuters/Pavel Rebrov
Russland soll bis zu vier Schiffe in der Marinebasis im Sudan halten dürfen – darunter auch Atom-U-Boote

Sudan als „Russlands Schlüssel zu Afrika“

Die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Moskau und Khartum hatte sich bereits zuvor intensiviert, 2017 wurde der damalige autoritäre Präsident des Sudans, Omar al-Baschir, von Putin in Sotschi empfangen. Bei dem Treffen wetterte Baschir gegen die USA, beschrieb den Sudan als „Russlands Schlüssel zu Afrika“ und brachte erstmals eine Marinebasis ins Gespräch, offenbar als Schutz gegen Washington.

Danach gab es Berichte über russische Firmen, die im Sudan Gold fördern, und über Söldner einer dubiosen Privatarmee, genannt „Wagner-Gruppe“, schrieb die Deutsche Welle (DW). Als Ende 2018 ein Aufstand gegen Baschir begann, sollen diese Söldner seine Sicherheitskräfte beraten haben. Das „Handelsblatt“ berichtete, dass die dubiose Firma Wagner im Tausch gegen Diamanten, Schürfrechte für Gold und Platin, Abbaulizenzen für Uran, Bauxit und Seltene Erden, einige afrikanische Diktatoren an der Macht gehalten oder kremltreuen Despoten ins Amt verholfen hätten.

Moskau bestätigte zwar die Präsenz seiner Militärs im Sudan, dementierte jedoch Spekulationen über eine Beteiligung an der Niederschlagung der Proteste. Im April 2019 wurde Baschir nach 30-jähriger Amtszeit und monatelangen prodemokratischen Protesten gestürzt und verhaftet.

Archivbild aus dem Jahr 2012: Bewaffnetes Mitglied der Sudanesischen Befreiungsarmee
Reuters
Der Bürgerkrieg im Sudan schwelte siebzehn Jahre lang – die Folgen sind nach wie vor katastrophal

Gigantischer Absatzmarkt für russische Waffen

Rund drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus versucht Russland also, an seine einstmals engen Kontakte nach Afrika aus Sowjetzeiten anzuknüpfen – mit Erfolg. Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte wurde das Land zum größten Waffenexporteur: Der Datenbank des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm (SIPRI) zufolge, entfallen derzeit 49 Prozent der gesamten Waffenexporte nach Afrika auf Russland.

Laut SIPRI-Forscherin Alexandra Kuimova ist die Zahl an afrikanischen Ländern, die Waffen aus Russland kaufen, in den letzten Jahrzehnten gestiegen: Während um die Jahrtausendwende 16 afrikanische Länder russische Waffen bezogen haben, erhöhte sich diese Zahl zwischen 2010 und 2019 auf 21.

Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht: Russlands staatlicher Waffenlieferant Rosoboronexport kündigte im April an, Sturmboote an ein Land in Subsahara-Afrika zu liefern. Der Empfängerstaat wurde nicht bekannt, belegt ist dagegen, dass es nach 20 Jahren der erste Exportvertrag für russische Marineendprodukte in diese Region ist. Erst vor wenigen Wochen eröffnete Moskau ein Militärbüro in der Zentralafrikanischen Republik, das Land wird mit Waffen im Kampf gegen militärische Gruppierungen unterstützt.

Politische und strategische Motive

Neben wirtschaftlichen Interessen geht es für Russland aber auch stark um geopolitische Planung. Die wieder erwachte Großmacht will Afrika weder China – das sich seit Jahren mit milliardenschweren Krediten und Entwicklungsfinanzierung auf dem Kontinent unerlässlich zu machen versucht – noch dem Westen überlassen. Zudem treiben die arabischen Golfstaaten seit Jahren ihre regionale Vormachtstellung am Roten Meer voran: Von der arabischen Halbinsel aus sei das Horn von Afrika das Tor zum afrikanischen Kontinent, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). „Die Küsten am Roten Meer und im Golf von Aden sind gespickt mit wichtigen Häfen, wie etwa Port Sudan.“

„Strategisch geht es um einen Kontinent, der 2050 über ein Viertel der weltweiten Arbeitskräfte sowie über die größten Vorkommen der für Hightech-Produkte unabdingbaren Seltenen Erden verfügt – hinter China. Dazu finden sich gewaltige sonstige Reserven strategischer Rohstoffe. Und natürlich sind die 54 afrikanischen Staaten ein enormer Stimmenblock bei der UNO“, analysierte das deutsche „Handelsblatt“.

Rohstoffe erhöhen Interesse

Russland sieht Afrika als potenziellen Schlüsselpartner in seiner Vision für eine mehrpolige Weltordnung. „Weniger europäisch, weniger transatlantisch und stärker fokussiert auf aufstrebende Mächte und Regionen“, zitierte die DW Paul Stronski, leitender Mitarbeiter des Russland- und Eurasien-Programms der Carnegie-Stiftung. Vor diesem Hintergrund habe Russland auch Verbindungen zu Ländern wie Simbabwe, das seit den frühen 2000er Jahren unter finanziellen Sanktionen des Westens steht, und Sudan etabliert.

Diamantmine in Kimberley, Südafrika
Reuters//Sumaya Hisham
Das Schürfen nach Rohstoffen in Afrika lockt internationale Investoren

Russland exportiert eine Reihe von Roh- und Fertigmaterialien nach Simbabwe, von Holz und Weizen über Düngemitteln bis hin zu Druckerzeugnissen, Eisenbahnwaggons und Elektronik. Importiert aus Simbabwe werden wiederum Kaffee und Tabak. Russische Unternehmen sind auch an Diamanten- und Goldförderungen im Land beteiligt. In mehreren anderen Ländern Afrikas hat Russland seine Aktivitäten im Abbau von Rohstoffen wie Coltan, Kobalt, Gold und Diamanten erhöht.

Moskau und Peking in Konkurrenz

„Ich frage mich: Was haben wir übersehen und warum?“, zitierte das „Handelsblatt“ Alex Vines, Chef des Afrikaprogramms beim Londoner Thinktank Chatham House. Westliche Analysten, auch er selbst, hätten jahrelang Russlands Aufstieg in Afrika übersehen, seien „erst aufgewacht“, als Hunderte russische Söldner in der Zentralafrikanischen Republik aufgetaucht seien. „Moskau und Peking sind eindeutig Konkurrenten um natürliche Ressourcen, aber die Russen werden China in Afrika nicht schlagen“, sagte Vines.

Auch Irina Filatowa, Geschichtsprofessorin an der Moskauer Hochschule für Wirtschaft, die sich auf russisch-afrikanische Geschichte und Beziehungen spezialisiert hat, sagte gegenüber der DW, dass aus wirtschaftlicher Sicht „Russlands Konkurrenz in Afrika bereits verloren ist“ – Moskau sei schlicht nicht in der Lage, das anzubieten, was China bringen könne. Als Waffenlieferant werde Russland aber die Oberhand behalten, prognostizierte sie, für Importeure sei der Wechsel zu anderen Lieferanten schlicht zu kostspielig.

Lieferung ohne Bedingungen

Die anhaltende Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent bedeutet auch eine kontinuierliche Nachfrage nach Waffen – und im Gegensatz zu anderen großen Akteuren werden bei Waffengeschäften mit Russland keine politischen oder menschenrechtlichen Bedingungen verlangt. So wurden beispielsweise 2014 Regierungssoldaten in Nigeria im Kampf gegen Boko Haram Menschenrechtsverletzungen an Verdächtigen vorgeworfen. Danach sagten die USA eine Lieferung von Kampfhubschraubern ab, obwohl das Abkommen bereits unterzeichnet war. In demselben Jahr bestellte Nigeria sechs Mi-35M-Kampfhubschrauber aus Russland.

Die Überlegung, Russland nicht allein das Feld zu überlassen, könnte hinter dem jüngsten Schritt der USA stecken, den Sudan offiziell von ihrer zu Terrorliste zu streichen – für einen hohen Preis: Khartum musste 335 Millionen Dollar (290 Mio. Euro) Entschädigung für Terroranschläge auf die US-amerikanischen Botschaften in Tansania und Kenia im Jahr 1998 zahlen. Außerdem erklärte sich der Sudan als drittes arabisches Land dazu bereit, Israel offiziell anzuerkennen und die bilateralen Beziehungen zu normalisieren. Künftig dürfte es damit für internationale Firmen und Banken viel einfacher werden, dort Geschäfte zu machen. Das Drängen Russlands auf eine Militärbasis im Sudan verschärfte sich übrigens just, als die Annäherungspläne zwischen Washington und Khartum im Herbst publik wurden.