Glasfläschchen mit Covid-19-Impfstoff
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Coronavirus

Impfstoff aus der Massenproduktion

Die Entwicklung eines Coronavirus-Impfstoffes hat Rekorde gebrochen. Binnen weniger Monate nachdem der erste genetische Fingerabdruck des Virus veröffentlicht worden war, konnten bereits die ersten Personen geimpft werden. Doch die Massenproduktion wird noch lange nicht stillstehen. Denn: Es werden Milliarden Impfstoffdosen benötigt.

In wenigen Tagen bzw. Wochen heißt es auch in Europa: Weg frei für die erste Impfung. Dann wird die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) die Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca zugelassen haben. Nach der Zulassung soll der Impfstoff – zuerst jener von Biontech/Pfizer – schnellstmöglich in die jeweiligen Staaten geliefert werden, wo die zugestellten Dosen gekühlt, verteilt und verabreicht werden. So lautet jedenfalls der Plan. In Österreich sollen die Impfungen ab 27. Dezember zuerst in den Alters- und Pflegeheimen stattfinden. Erst im Laufe des kommenden Jahres werden weitere Zielgruppen geimpft.

Allerdings hängt der Impfprozess nicht nur von der lokalen Verteilung und Verabreichung ab, sondern auch davon, ob die Massenproduktion für das Vakzin reibungslos abläuft. Denn die Entwicklung eines Impfstoffs ist das eine, die Produktion, um Milliarden von Menschen gegen Covid-19 zu schützen, das andere. Experten und Expertinnen schätzen, dass mindestens zehn Milliarden Dosen benötigt werden, um rund 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen – zwei Dosen pro Person. Damit könnte eine Herdenimmunität aufgebaut werden.

Genügend Impfstoff für alle?

In einer kürzlich erschienenen Studie hieß es, dass mindestens ein Fünftel der Weltbevölkerung bis 2022 keinen Zugang zu einem Impfstoff haben könnte. Selbst wenn die weltweit 13 führenden Impfstoffhersteller ihre Produktionsziele für das nächste Jahr erreichten und ihre Impfstoffe wirksam und sicher seien, bestehe die Gefahr, dass ärmere Länder abgehängt würden, warnten die Forscher und Forscherinnen von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in ihrer Studie.

Der Pharmakonzern Pfizer, der den Impfstoff in den USA und Belgien produziert, hatte bereits Anfang Dezember sein Ziel für dieses Jahr nach einigen Problemen bereits halbiert – von 100 auf 50 Millionen Dosen. Grund sei eine Verzögerung beim Ausbau der Lieferkette gewesen. Vor wenigen Tagen berichtete die „Financial Times“ („FT“), dass die US-Regierung dem Konzern bereits angeboten habe, bei der Sicherung von Rohstoffen und Ausrüstung zu helfen, um 100 Millionen weitere Dosen für die USA herzustellen.

Laut „FT“, die sich auf zwei anonyme Quellen beruft, gab es einige Hürden bei der Produktion in den USA. So gebe es etwa einen Engpass bei den Glasfläschchen, in denen der Impfstoff abgefüllt wird. Biontech reagierte laut „FT“ gar nicht auf die Anfrage, der US-Partner Pfizer antwortete: „Die Produktion arbeitet aufgrund der Dringlichkeit rund um die Uhr, um die Welt schnell mit Impfstoffen zu beliefern.“ Bis Ende kommenden Jahres will man dann 1,3 Milliarden Impfstoffdosen produziert haben.

Biochemische Herstellung – geringerer Aufwand

Klar ist aber, dass eine der größten Herausforderungen die rasante Produktionssteigerung binnen kurzer Zeit sein wird. Moderna kündigte etwa an, mit Partnern zusammenzuarbeiten, um in diesem Jahr 20 Millionen Impfungen zu produzieren und die Kapazität bis Ende 2021 auf bis zu eine Milliarde Dosen zu erhöhen. So mancher Experte zeigte sich skeptisch, ob das Produktionsziel auch eingehalten werden kann – insbesondere, weil mRNA-basierte Impfstoffe wie jene von Biontech/Pfizer und Moderna noch nie zuvor in die Massenproduktion gegangen sind. Aber es gibt einen Vorteil: das schnellere Verfahren.

Bei herkömmlichen Impfstoffen werden dem Körper Virusantigene mit Hilfe von abgetöteten oder abgeschwächten Krankheitserregern verabreicht. Diese müssen oft in Eiern oder großen Bioreaktoren aufwendig und zeitintensiv gezüchtet werden. Der Messenger-RNA-Impfstoff überspringt dagegen einen Großteil des traditionellen Herstellungsprozesses, weil dem Körper lediglich der Bauplan für die Virusantigene übermittelt wird. Diese werden dann in den Zellen hergestellt und rufen eine Immunantwort hervor. Man macht sich quasi die körpereigene molekulare Maschinerie zunutze.

„Im Grunde ist die Produktion eines mRNA-Impfstoffs einfacher, weil man ihn biochemisch herstellen kann, daran aber keine lebenden Zellen oder auch Viren beteiligt sind“, teilte Florian Krammer, Virologe von der Icahn School of Medicine in New York, auf ORF.at-Anfrage via E-Mail mit. Aber, so der aus Österreich stammende Forscher und Experte in der Impfstoffforschung, da das ein neuer Prozess ist, sei es immer schwierig einzuschätzen, zu welchen Problemen es kommen kann, etwa die Verfügbarkeit von Rohstoffen in der richtigen Qualität.

Gefroren nach Klosterneuburg, flüssig nach Belgien

Einen besonderen Teil des Impfstoffs von Biontech/Pfizer steuert das Biotech-Unternehmen Polymun aus Klosterneuburg bei. Konkret geht es um Lipidnanopartikel, das sind mikroskopisch kleine Fettkapseln, die den mRNA-Impfstoff sicher durch den Körper transportieren und die Wirkstoffe dort freisetzen, wo sie gebraucht werden. Anfang Februar sei Polymun von Biontech, mit dem man seit einigen Jahren bereits zusammenarbeite, kontaktiert worden, erzählte Andreas Wagner, Leiter der Liposomentechnologie, im ORF.at-Gespräch. „Seit der ersten Minute betreuen wir das Projekt mit“, sagte Wagner, der in diesem Bereich seit fast 20 Jahren tätig ist.

Andreas Wagner (Leiter Liposom Technologie bei Polymun), Albert Bourla (CEO v.Pfizer), Ugur Sahin (CEO v. BioNTech) und Dietmar Katinger (CEO Polymun)
APA/Herbert Pfarrhofer
Wagner (li.) mit Pfizer-CEO Albert Bourla, dahinter Biontech-Chef Ugur Sahin und Dietmar Katinger, CEO von Polymun

Konkret wird in Klosterneuburg unter kontrollierbaren Bedingungen die Ribonukleinsäure (RNA) mit den Lipiden kombiniert. Die RNA stammt von Biontech und wird im gefroren Zustand an Polymun geliefert. Die Lipide, die von anderen Herstellern stammen, werden in einem Lösungsmittel gelöst und über ein Schlauchsystem mit der RNA vermengt. Nachdem das Lösungsmittel entfernt wurde, kann man unter einem Elektronenmikroskop „etwa 50 bis 100 Nanometer große Fettkügelchen erkennen“, sagte Wagner. Die Lipidnanopartikel umhüllen die RNA und fungieren als Schutz und als „Shuttle, damit der Impfstoff in die Zellen gelangen kann“.

Der so hergestellte Impfstoff wird bei einer Temperatur zwischen zwei bis acht Grad nach Belgien geschickt, wo im Pfizer-Produktionsstandort in Puurs der Impfstoff in kleine Glasflaschen abgefüllt wird. „Bei uns kann so viel produziert werden, damit man in Puurs etwa eine Million Impfstoffdosen abfüllen kann“, betonte Wagner und erinnerte daran, dass schon vor Covid-19 mRNA-Vakzine in klinischen Studien getestet wurden. In Summe sind von den rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des von Biotech-Pionier Hermann Katinger im Jahr 1992 gegründeten Unternehmens etwa 40 bis 50 mit dem Projekt befasst.

Wachstumsphase der Biotech- und Pharmabranche

Überhaupt verzeichnet die Biotech- und Pharmabranche im Coronavirus-Jahr einen Boom. Die Riesen wie Pfizer und Johnson & Johnson forschen an Medikamenten und Impfstoffen gegen Covid-19, viele kleinere Unternehmen liefern Expertise und produzieren. Polymun arbeitet zum Beispiel noch mit anderen aussichtsreichen Impfstoffherstellern wie Curevac zusammen. Der Impfstoffkandidat des deutschen Unternehmens ist Mitte Dezember in für die Zulassung relevante, weltweite Studie eingetreten.

Lonza-Fahnen in Visp
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Das Unternehmen Lonza produziert für den Impfstoffentwickler Moderna

Auch Curevac setzt auf die mRNA-Technologie, wie Pfizer/Biontech und Moderna, der seinen Impfstoff unter anderem vom Schweizer Arzneimittelhersteller Lonza herstellen lässt. Seit September wird in den USA produziert, in Kürze soll auch der Betrieb im Schweizer Visp starten, wo extra eine neue Produktionslinie gebaut wurde. Das bedeutet auch, dass durch den Auftrag Arbeitsplätze geschaffen wurden.

In Österreich hatte sich dem Wachstum entsprechend im Dezember der Branchenverband Biotech Austria gegründet. Die österreichische Biotechnologie umfasst etwa 150 Unternehmen mit rund 2.000 Beschäftigten. Auch der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) meldete im Dezember einen Mitgliederzuwachs. Den heimischen Medikamentenmarkt decke man mit den rund 120 Mitgliedern zu gut 95 Prozent ab.