Gerichtszeichnung des Angeklagten Nezar Mickael Pastor Alwatik neben einem vermummten Polizisten
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„Charlie Hebdo“-Prozess

Hohe Haftstrafen für Helfer

Nach mehr als 50 Verhandlungstagen ist im Prozess um den islamistischen Terroranschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ ein Urteil gefallen. Mehrere Helfer wurden wegen der Beihilfe zu einer terroristischen Vereinigung zu teils jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Bei der Anschlagserie im Jahr 2015 waren 17 Menschen getötet worden.

Der Hauptangeklagte Ali Riza Polat wurde vor dem Pariser Sondergericht zu 30 Jahren Haft verurteilt. Er soll bei der Vorbereitung der Anschläge eine zentrale Rolle gespielt haben. Polat hat nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Amedy Coulibaly nahegestanden, der nach dem „Charlie Hebdo“-Anschlag eine Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt verübt hatte.

Das Gericht habe festgestellt, dass Polat Coulibaly in konkreter und detaillierter Weise entscheidend geholfen habe, seine kriminellen Handlungen auszuführen, begründete der Vorsitzende Richter Regis de Jorna dem Sender France Inter zufolge seine Entscheidung. Er habe ausreichend Kenntnis von Coulibalys Absichten gehabt. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. Seine Anwälte kündigten Berufung an. Zehn weitere Angeklagte wurden in Anwesenheit zu Haftstrafen zwischen vier und 18 Jahren verurteilt.

 Richard Malka vor der Presse
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Richard Malka, Anwalt von „Charlie Hebdo“, zu Beginn des Prozesses im September

Für zwei Personen fielen die Urteile in Abwesenheit, darunter auch die Lebensgefährtin des Attentäters Coulibaly. Sie bekam 30 Jahre. Hayat Boumeddiene soll sich nach Syrien abgesetzt und dort der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben. Es ist unklar, ob sie noch lebt. Die damals 26-jährige Boumeddiene hatte den Ermittlern zufolge wenige Tage vor den Anschlägen mit den Brüdern Mohamed und Mehdi Belhoucine Frankreich verlassen. Ersterer wurde nun zur härtesten Strafe verurteilt – er bekam lebenslänglich. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Brüder tot sind. Die Anklage gegen Mehdi Belhoucine wurde deswegen fallen gelassen.

Gesamte Terrorserie verhandelt

Seit Anfang September standen in Paris elf mutmaßliche Helfer der Terrorserie vor einem Pariser Sondergericht. Wegen der Pandemie war der Prozess rund einen Monat lang unterbrochen worden. Verhandelt wurden nicht nur der Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“, sondern auch die anschließende Attacke auf einen koscheren Supermarkt im Süden von Paris.

Hohe Haftstrafen für Helfer

Nach mehr als 50 Verhandlungstagen ist im Prozess um den islamistischen Terroranschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ ein Urteil gefallen. Mehrere Helfer wurden wegen der Beihilfe zu einer terroristischen Vereinigung zu teils jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Bei der Anschlagsserie im Jahr 2015 waren 17 Menschen getötet worden.

Die Brüder Cherif und Said Kouachi hatten am 7. Jänner 2015 das Satiremagazin mitten in Paris überfallen. Sie töteten auch die wichtigsten Zeichner des Blattes, das bereits zuvor wegen Mohammed-Karikaturen bedroht worden war. Die Männer wurden nach dreitägiger Flucht erschossen. Kurz nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ erschoss Coulibaly am 8. Januar eine Polizistin und verletzte einen Mann schwer. Am Tag darauf überfiel er gezielt einen jüdischen Supermarkt und nahm dort mehrere Geiseln, von denen er vier erschoss. Er forderte freien Abzug für die Kouachi-Brüder und sagte, er habe sich mit ihnen abgesprochen.

Blick in kriminelles Milieu

Polat hatte nach den Attacken versucht, sich offenbar über den Libanon nach Syrien abzusetzen. Der Franzose türkischer Herkunft hatte im Prozess mit seinem Verhalten immer wieder für Aufsehen gesorgt. Er war laut und impulsiv – der Vorsitzende Richter rief ihn oftmals zur Ordnung. Er könne sich nicht für etwas entschuldigen, was er nicht getan habe, erklärte er am letzten Verhandlungstag Berichten zufolge. Polat bestritt, von den Terrorplänen gewusst zu haben.

Blumen vor dem Büro von Charlie Hebdo, 2015
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Der Anschlag auf die Satirezeitschrift sorgte international für Schock und Anteilnahme

Auch die anderen Angeklagten, die wie Polat in einer Glasbox im Gerichtssaal saßen, wollen mit Terror nichts zu tun gehabt haben. Die meisten von ihnen bestritten nicht, in Waffen- bzw. Drogenhandel verstrickt zu sein. Der Prozess warf auch vor allem ein Schlaglicht auf das Milieu von Vorstadtkriminellen.

Diese schilderten teils detailreich ihren Alltag am Rande der Gesellschaft, etwa über Gefängnisaufenthalte, kriminelle Deals, Alkohol und Gefälligkeiten. Beschaffte Waffen dienten angeblich für einen Banküberfall, mutmaßliche Kurierfahrten für den Besuch von Prostituierten. Niemand aber wollte etwas von den Terrorplänen gewusst haben.

„Prozess der Rädchen“

„Dies ist der Prozess der Rädchen, ohne die es keinen Angriff geben könnte“, sagte Richard Malka, Anwalt der Satirezeitung „Charlie Hebdo“, jüngst dem Sender Franceinfo. Es seien teils mittelmäßige Gauner an der Basis – aber sie hätten den Terror erst möglich gemacht. Nach der Urteilsverkündung sagte er sichtlich emotional, dass der Gerechtigkeit nun Genüge getan worden sein.

Zahlreiche Überlebende und Angehörige hatten in dem Prozess ausgesagt und geschildert, wie sie noch heute vom Horror der Taten verfolgt werden. Der Webmaster von „Charlie Hebdo“ schilderte etwa, er sei für sein Leben gezeichnet. „Unsere Stadt hat sich verändert, hat ihre Leichtigkeit verloren“, erklärte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die ebenfalls aussagte.

„Charlie Hebdo“ sieht Ende von „Kreislauf der Gewalt“

„Hinter dem pittoresken Bild von kleinen Vorstadtganoven, das die Angeklagten von sich geben wollten, verbirgt sich eine Gewalt, die die gesamte französische Gesellschaft terrorisieren sollte“, schrieb der „Charlie Hebdo“-Herausgeber und Karikaturist Laurent Sourisseau alias Riss über den Prozess.

Das Magazin selbst zeigte angesichts des Prozessendes auf dem Titelblatt einen alten Mann mit wallendem Haar, der per Polizeitransporter zu einer Haftanstalt gebracht wird. „Dieu remis a sa place“ (Dt.: „Gott wieder da, wo er hingehört“ oder „Gott in die Schranken gewiesen“) ist auf dem Wagen zu lesen. Der alte Mann schlägt vergeblich gegen die Gitterstäbe.

Die Karikatur stammt von dem Zeichner Francois Boucq, der das Verfahren seit Anfang September begleitet hat. Mit dem Urteil ende „der Kreislauf der Gewalt, der in den Redaktionsräumen von ‚Charlie Hebdo‘ begann“, schrieb Sourisseau zudem unter seinem Künstlernamen Riss in dem Leitartikel.

Prozess aufgenommen und archiviert

Dem Prozess wurde im Frankreich eine enorme Bedeutung beigemessen. Innenminister Gerald Darmanin bezeichnete ihn als „historisch“. Alle Verhandlungen wurden auf Video aufgezeichnet und werden archiviert. Der Prozess stand sinnbildlich für den Kampf gegen den islamistischen Terror, der Frankreich seit Jahren erschüttert. Während des Prozesses wurde Frankreich gleich dreimal innerhalb weniger Wochen von islamistischen Anschlägen getroffen. Einer ereignete sich sogar vor den ehemaligen Redaktionsräumen von „Charlie Hebdo“.