Hotel Grand Ferdinand
Wolfgang Thaler
Wiener Hotellobbys

Sisi-Seligkeit und Schmuddelcharme

Die Hotels sind zurzeit geschlossen, zumindest für private Gäste, die meisten Reisen finden im Kopf statt. Da kommt das Buch des österreichischen Fotografen Wolfgang Thaler genau richtig: „Wien Hotel“ ist die Bestandsaufnahme einer touristischen Kernzone – der Hotellobby. Kein „Coffee Table Book“, eher ein Sittenbild der Hauptstadt, die sich am liebsten als postimperiale Metropole präsentiert.

„Menschen kommen. Menschen gehen. Nie passiert etwas.“ Der Satz aus dem legendären Film „Menschen im Hotel“ aus dem Jahr 1932 fällt in einer Hotellobby und er beschreibt ziemlich gut die Stimmung, die Wolfgang Thaler auf seinem Streifzug durch die Wiener Hotels eingefangen hat. Fünf Jahre lang sprach er bei Rezeptionisten vor, telefonierte sich durch die Marketingabteilungen großer Hotelketten – oder fiel einfach mit der Tür (und seiner Großformatkamera) ins Haus.

Mehr als 200 Hotels hat er besucht und seinen speziellen Blick auf die Entrees der Wiener Herbergsbetriebe geworfen. Das Ergebnis seiner fotografischen Recherche: Ein wildes Panoptikum gestalterischer Fantasie. Vom glatten Einheitslook internationaler Hotelketten über touristische Hardcoreklischees bis hin zu liebevollen Kuriositäten in der kleinen Pension sind alle Spielarten der Rezeption vertreten. Thaler hat sie, nicht ohne Witz, auf den Doppelseiten seines Bandes „Wien Hotel“ zu einer Landschaft montiert.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Hotel Resonanz, Grand Hotel und Hotel Konig von Ungarn
Wolfgang Thaler
Die Lobbys von: Hotel Resonanz, Grand Hotel, König von Ungarn
Hotel Amadeus, Hotel-Pension Bleckmann und Hotel Regina
Wolfgang Thaler
Die Eingangsbereiche von: Hotel Amadeus, Hotel Pension Bleckmann, Hotel Regina
Hotel Praterstern, Hotel Grand Ferdinand und Hotel Admiral
Wolfgang Thaler
Die Lobbys von: Hotel Praterstern, Hotel Grand Ferdinand, Hotel Admiral
Hotel Zur Wiener Staatsoper, Hotel Sacher und Do Step Inn Hostel
Wolfgang Thaler
Aus den Eingangsbereichen von: Hotel Zur Wiener Staatsoper, Hotel Sacher, Do Step In Hostel
Hotel Marriott
Wolfgang Thaler
Der Eingangsbereich und die Lounge im Marriott

Einchecken, Auschecken

Wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet – und ausschließlich – Hotellobbys zu fotografieren? „Es begann in einer Lobby im zweiten Bezirk“, erzählt der Fotograf, „dort fielen mir ein Wandrelief mit der Silhouette Wiens und dazu passend ein paar Gemälde auf – allesamt Verweise auf die Stadt –, daraus entstand die Idee, mit Fokus auf diese Versatzstücke wie durch eine Landschaft durch die Wiener Hotellobbys zu wandern.“

Die Wanderung des Fotografen und die ästhetische Gratwanderung der Hoteliers – wer in Wien eincheckt, kann einiges erleben: das lebensgroße Ölporträt des seligen Kaisers Franz Joseph nebst Zimmerpalme, Biedermeier-Streifentapete und Klimt-Skulptur (stark abstrahiert, aber eindeutig: „Der Kuss“), historische Wien-Landschaften vor Tapetenmix, Teppichbodenexzesse und Stilmöbel, Biedermeier, Rokoko und Jugendstil.

Buchcover „Wien Hotel“
Fotohof edition

Wolfgang Thaler (Fotos), Andreas Spiegl, Rajesh Heynickx, Lina Morawetz, Josef Kleindienst (Text): Wien Hotel. Fotohof Edition, Bd. 307, 39 Euro.

Fake-Bücherwände und Lipizzaner

Er habe wiederkehrende Motive in den Foyers gefunden, erzählt Thaler, wie zum Beispiel Pferde. Egal ob im plüschigen K&K-Ambiente oder im modernen Interieur des hippen Boutique-Hotels, ein Hauch Lipizzaner, eine Andeutung an die Hofreitschule wird Wien-Touristen offenbar gerne geboten. Kaiserin Sisi, das überrascht jetzt nicht, regiert als Lobby-Kaiserin ziemlich unangefochten, historisch lediglich flankiert von Prinz Eugen oder Admiral Tegetthoff.

Admiral, Ambassador, Attachee, Adagio, Bajazzo, Domizil und Donauwalzer. Regina, Royal König von Ungarn und Imperial. Hotelnamen erzählen dem Gast eine Geschichte, das Dekor erledigt den Rest. Es sind die illusionistischen Interieurs, die den Fotografen Thaler begeistern und aus deren Abbildungen er eine subjektive Landschaft webt. Verblüffend oft habe er etwa Fake-Bücherwände vorgefunden, erzählt er, meist als Tapete.

Erstarrt mit Mobiltelefonen

Bücherrücken, Samtsofa, Deckenluster: Versatzstücke einer Form von Behaglichkeit, die der moderne Reisende ohnehin nicht wahrnimmt. Die meisten Hotelgäste säßen regungslos in der Hotellobby und starrten auf ihr Mobiltelefon. So lange habe eine Frau einmal wie eingefroren in der Lobby des Hotel Marriott dagesessen, so Thaler, dass sie trotz der langen Belichtungszeit der Großformatkamera gestochen scharf auf dem Foto zu erkennen sei.

Wolfgang Thaler
Reinhard Mayr
Fotograf Wolfgang Thaler in der Lobby des Marriott Hotels in Wien

Retro-Moderne

Es kommt aber ohnehin nicht oft vor, dass Menschen auf seinen Fotografien zu sehen sind. „Ich wollte wieder ein Wien-Buch machen“, sagt Thaler, der sich auf Architektur und Interiors spezialisiert hat und seit den Neunziger Jahren urbane Räume auf der ganzen Welt erforscht. Sein Blick ist immer dokumentarisch und fällt oft dorthin, wo andere keine Sensationen erwarten würden. In den frühen Neunziger Jahren fotografierte er alle damals 26 Filialen der Wiener Konditoreikette Aida, fokussierte sich auf gealterte Holzfurniere, Resopalplatten und Kunstlederschemel, lange bevor „Retro“ oder „Vintage“ ein Thema für den Mainstream waren.

Dann bereiste er jahrelang verschiedene Regionen Ex-Jugoslawiens, auf der Suche nach Architekturdenkmälern der sozialistischen Moderne, sammelte Beispiele des in Zeiten des Turbokapitalismus längst verpönten Brutalismus und bewahrte so in seinem Fotobuch „Modernism In Between“ ästhetisch die Homogenität einer Epoche, die politisch längst zerfallen ist.

Drehtür zur Kulisse

Diesmal fällt Thalers Blick auf einen Raum, der eigentlich nur ein Zwischenraum ist. Die Hotelhalle, eine transitorische Angelegenheit, für den Philosophen Theodor Adorno gar Sinnbild einer existenziellen Heimatlosigkeit, ist für den genauen Beobachter Thaler Spielwiese und Möglichkeitsraum: „Hotellobbys sind ja wie Bühnen, wie Film- oder Theaterkulissen.“ Da kann jeden Moment jemand über die geschwungene Treppe ins Bild kommen, da kann jederzeit die Drehtür einen neuen Gast hereinwehen.

Die Drehtür, eine amerikanische Erfindung aus dem Jahr 1888, ist vielleicht die passendste Metapher für das Wesen des Hotels, den „rastlosen Stillstand“. Und auch, wenn heute Rezeptionen teilweise schon eingespart werden und „Menschen im Hotel“ nicht mehr auf Telegramme warten, sondern ihre Ansichtskarten mit dem Handy verschicken, bleibt die Lobby mehr als nur Schauplatz für Einchecken und Auschecken. Sie ist Showbühne für die Inszenierung einer Stadt.