Der Angeklagte bei Gericht
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Rechtsextremer Anschlag

Lebenslange Haft für Halle-Terroristen

Im Prozess um eines der schlimmsten antisemitischen Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte ist am Montag in Magdeburg ein Urteil gefallen. Ein 28-jähriger Rechtsterrorist wurde nach einem gescheiterten Terroranschlag auf die Synagoge von Halle an der Saale und der anschließenden Ermordung von zwei Menschen zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren unwahrscheinlich macht. Es sei ein „feiger Anschlag“ gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens bei der Urteilsverkündung am Montag. Das Urteil erging unter anderem wegen zweifachen Mordes, vielfachen Mordversuchs und Volksverhetzung. Der Attentäter sei gefährlich für die Menschheit, deswegen sei die Sicherheitsverwahrung angeordnet worden.

Der Terrorist hatte im Oktober des Vorjahres versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der massiven Tür, erschoss daraufhin die Passantin Jana L. und später in einem Dönerimbiss den 20 Jahre alten Auszubildenden Kevin S.. Auf der anschließenden Flucht verletzte er weitere Menschen. Bei dem Täter wurde auch Sprengstoff gefunden.

Täter geständig

Der 28-jährige Deutsche hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Verschwörungstheorien begründet. Der Prozess ging seit Juli vor dem OLG Naumburg, aus Platzgründen fand er jedoch in Magdeburg statt. Bundesanwaltschaft und Nebenklage hatten die Höchststrafe für den Angeklagten gefordert, die Verteidigung hatte sich in ihrem Plädoyer für kein anderes Strafmaß ausgesprochen. Der Mann reagierte mit ausdruckslosem Gesicht auf den Urteilsspruch und begann, sich Notizen zu machen.

Die Synagoge im deutschen Halle
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Die attackierte Synagoge. Die stabile Tür rettete wohl zahlreichen Menschen das Leben.

Viele Momente in dem Prozess seien unerträglich gewesen, sagte die Richterin. Dabei versagte Mertens die Stimme und ihr kamen die Tränen: „Dieses Verfahren stellt alles in den Schatten.“ Direkt an den Angeklagten gewandt sagte sie: „Sie sind ein fanatisch ideologisch motivierter Einzeltäter. Sie sind antisemitisch, ausländerfeindlich. Sie sind ein Menschenfeind.“

Keine Reue

Auch für die Überlebenden und Hinterbliebenen stellte sich die Haltung des Terroristen im Prozess immer wieder als Zumutung heraus. Der Angeklagte hatte jede Reue vermissen lassen. Vielmehr betonte er, dass er weitere Menschen töten würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Dutzende Überlebende und Hinterbliebene waren ihm im Prozess entgegengetreten und hatten dem Gericht als Zeuge oder als Nebenkläger im Schlussvortrag berichtet, wie sie den Anschlag überlebt hatten und mit welchen Folgen sie zu kämpfen hatten.

Unter anderem hatte der Vater von Kevin S. ausgesagt. Der junge Mann war mit einer geistigen Behinderung geboren worden. Ärzte wussten nach Angaben seines Vaters lange nicht, ob er das Erwachsenenalter überhaupt erreichen würde. Der Vater schilderte vor Gericht, wie Kevin und die Familie nie aufgaben, wie er das Erwachsenenalter erreichte und nach langem Kampf und mit Hilfe seiner Familie sogar eine Ausbildungsstelle fand. Kurz nachdem er sie angetreten hatte, wurde er erschossen, als er im Dönerimbiss zu Mittag aß.

Ankunft des Angeklagten bei Gericht
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Bei dem Prozess gab es ein großes Sicherheitsaufgebot

Die Angehörigen von Jana L. waren nicht am Prozess beteiligt, ihr Name fiel dennoch ständig im Verfahren. Sie wurde von Freunden in Medienberichten als fröhlicher Mensch beschrieben, der gerne Musik hörte und Autogrammkarten sammelte. Sie ging am Tag des Anschlags zufällig an der Synagoge vorbei, als der Terrorist versuchte einzudringen. Sie erkannte wie viele an diesem Tag den Attentäter aber nicht als solchen, machte eine beiläufige Bemerkung und ging vorbei. Der Terrorist tötete sie dann mit Schüssen in der Rücken. Alle Überlebenden, die vor Gericht aussagten, erinnerten an die beiden Toten.

Mehrere Menschen verletzt

Auf seiner Flucht hatte der Täter auch mehrere Menschen attackiert. Er schoss auf Polizisten, zudem fuhr er mit seinem Fluchtwagen einen Mann aus Somalia auf dem Gehsteig an. Anschließend schoss er in einem Dorf bei Halle einen Mann und eine Frau an, nachdem sie ihm ihr Auto nicht geben wollten. In einer Werkstatt erpresste der damals 27-Jährige dann ein Taxi, das die Polizei mit Hilfe des Taxifahrers orten konnte. Anschließend nahmen Polizisten ihn fest. Der Täter hat die Tat gestanden.

Die Richter gingen davon aus, dass der Attentäter auch Polizeibeamte töten wollte, weil sie den von ihm verhassten Staat repräsentierten, sagte Richterin Mertens. Die Aussage des Mannes im Prozess, er habe nur flüchten wollen, stufte sie als „unglaubhaft“ ein. Ohnehin habe der Angeklagte an vielen Stellen seine Taten und Motive zu relativieren versucht. Der Angeklagte habe die Tat in der Synagoge geplant, alles, was danach geschehen sei, sei spontan gewesen.

Großangelegter Prozess

Das Verfahren gilt als größter und meistbeachteter Prozess in der Geschichte des deutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt. 86 Zeugen und acht Sachverständige befragte das Gericht, 45 Überlebende und Hinterbliebene wurden als Nebenkläger zugelassen, vertreten von 23 Anwälten. Der Anschlag hatte international für Entsetzen gesorgt und ein Schlaglicht auf rechtsextremistischen Terror und Antisemitismus in Deutschland geworfen.

„Wichtiger Tag für Deutschland“

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte das Urteil. Dabei dankte Zentralratspräsident Josef Schuster am Montag dem Oberlandesgericht Naumburg für eine faire und gleichzeitig umsichtige Verhandlungsführung. „Heute ist ein wichtiger Tag für Deutschland, denn das Urteil macht deutlich, dass mörderischer Hass auf Juden auf keinerlei Toleranz trifft“, sagte er.

Schuster verwies darauf, dass der Attentäter bis zum Schluss keine Reue gezeigt, sondern an seinem antisemitischen und rassistischen Weltbild festgehalten habe. Dagegen hätten die Nebenkläger und Zeugen mit beeindruckenden Auftritten dem Hass des Täters Menschlichkeit entgegengesetzt. „Sie und all jene, die Solidarität mit den Angegriffenen gezeigt haben, stehen für dieses Land, nicht der isolierte Attentäter.“

Auch die deutsche Bundesregierung zeigte sich über das Urteil erleichtert. Zwar kommentiere die Bundesregierung „aus Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz“ grundsätzlich keine einzelnen Gerichtsurteile, sagte eine Regierungssprecherin. Aber es sei „einfach gut, dass dazu heute Recht gesprochen wurde“.