Chinesische Stadt Changsha
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Engpässe

China rationiert Strom für Millionen

Mitten im Winter haben die chinesischen Behörden begonnen, für Millionen von Menschen den Strom zu rationieren. Aus mehreren Großstädten gibt es Berichte über systematische Stromabschaltungen. Der Strombedarf stieg aufgrund der wieder brummenden Wirtschaft. Verheerend dürfte sich in dem Zusammenhang der von Peking verordnete Boykott australischer Kohle auswirken.

Ganze Straßenzüge sind in der Nacht völlig dunkel, Strom in den Wohnungen gibt es teils nur stundenweise, dazu Aufforderungen der Behörden, wo irgend möglich Strom zu sparen und etwa Räume nicht auf mehr als 16 Grad zu heizen. In Bürohochhäusern müssen Angestellte teils 20 Stockwerke zu Fuß gehen, weil der Lift nicht mehr in Betrieb ist. Auch zahlreiche Fabriken mussten zuletzt wegen Strommangels entweder ganz oder tageweise ihre Produktion einstellen.

Die Stromabschaltungen zeigen das Dilemma auf, in dem sich die chinesischen Behörden aktuell befinden: Der harte außenpolitische Kurs inklusive Sanktionen – in diesem Fall konkret gegenüber Australien – bremst die eigene Wirtschaftsentwicklung. Ganz abgesehen davon, dass diese Politik den Menschen in China Verzicht und Härten auferlegt.

In mindestens vier Provinzen riefen die Behörden die Bevölkerung und die Unternehmen zum Stromsparen auf. Viele lokale Kraftwerke seien von australischer Kohle abhängig, da diese einen höheren Brennwert habe, zitierte die „Financial Times“ („FT“) einen hochrangigen Mitarbeiter eines der größten chinesischen Elektrizitätsunternehmens, China Huadian Corporation.

In einem chinesischem Hafen wird Kohle aus Australien von einem Schiff ausgeladen
AP/Xinhua/Wang Kai
Kohlelieferungen aus Australien, so wie hier im Vorjahr, gibt es wegen eines von Peking verordneten Boykotts derzeit nicht

20 Stockwerke zu Fuß

Dutzende Hochhäuser in der Sieben-Mio.-Einwohner-Stadt Changsha in der Provinz Hunan schalteten letzte Woche den Strom für die Lifte ab. Die Angestellten mussten bis zu 20 Stockwerke zu Fuß gehen. „Ich hatte noch nie solche Probleme, ins Büro zu gelangen“, sagte ein Büroangestellter, der seinen Namen nicht nennen wollte, laut „FT“. Wegen Strommangels sei er 40 Minuten in einem Lift gesteckt.

In der 1,3 Mio.-Stadt Yiwu, bekannt für die Produktion von Flaggen, wurde die gesamte Straßenbeleuchtung tagelang abgeschaltet. Erst nach Beschwerden der Bevölkerung bezüglich der Sicherheit, wurden Teile der Beleuchtung wieder eingeschaltet. Die Fabriken mussten zudem ihre Produktionszeiten um 80 Prozent kürzen. "Wir haben kein normales Leben, wenn unsere Fabrik nur zwei Tag in der Woche offen ist und die Straßen in der Nacht dunkel sind, so Mike Li, Besitzer eine Plastikblumenfabrik.

Ein anderer Bewohner postete im Sozialen Netzwerk Weibo, das Büro sei „eiskalt, seit die Heizung abgedreht ist. Jetzt ist auch der Lift außer Betrieb.“ Das Stiegensteigen „hat mich heute fast umgebracht“, so der User laut dem australischen öffentlich-rechtlichen Sender ABC News.

Gerangel um Kohlelieferung

In der Bergbauregion Henan ist die Nachfrage nach Kohle so groß, dass Käufer sich mit ihren Lkws vor den Toren der Kohleminen anstellen und um Zugang rangeln, berichteten selbst staatliche chinesische Medien. Viele Menschen reagierten laut einem Bericht der „New York Times“ („NYT“) verwirrt. Sie seien besorgt darüber, dass sie ihre Wohnungen nicht heizen und dass ihre Geschäfte leiden könnten.

In der Millionenstadt Wenzhou, in der Provinz Zhejiang, dürfen Unternehmen die Heizung erst einschalten, wenn die Temperatur unter drei Grad Celsius fällt. Und die Räumlichkeiten dürfen maximal auf 16 Grad geheizt werden. In einem Bezirk nach Wenzhou wurden Unternehmen angewiesen, Kantinen nicht mehr zu heizen. Die zahlreichen Beschränkungen erregten den Zorn viele Bewohner.

Chinesische Behörden räumten mittlerweile ungewöhnlich offen die Stromengpässe ein. Sie machten aber die Kombination aus einem ungewöhnlich kalten Winter und den durch die Konjunktur gestiegenen Energieverbrauch für die Situation verantwortlich. Betreiber von Kraftwerken sagten dagegen, dass es auch am Importverbot von australischer Kohle liege, so die „FT“, was offiziell dementiert wird.

Kohle in Contaianern in China
Reuters/China Daily
Waggons voller chinesischer Kohle

70 Prozent der Elektrizität von fossilen Brennstoffen

Die Versorgungsprobleme zeigen zudem auf, wie schwierig es werden dürfte, das von Staatspräsident Xi Jinping ausgegebene Ziel zu erreichen, bis 2060 CO2-neutral zu sein. Chinas Stromerzeugung beruht noch zu fast 70 Prozent auf Kohle, Öl und Gas. Fossile Brennstoffe halfen China auch bei der „beeindruckenden Konjunkturerholung“ nach der Pandemie, so die „NYT“. Im Mai waren die CO2-Emissionen aus Stromerzeugung, Zementproduktion und anderer Industrien vier Prozent höher als ein Jahr davor.

Vor allem Elektrizitätsunternehmen in den Küstenregionen sind auf australische Kohleimporte angewiesen. Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten haben sich zuletzt rasant verschlechtert. Nach Spionagevorwürfen in Richtung China erzürnte Australien den wichtigen Handelspartner, als es eine Untersuchung über den Ursprung der CoV-Pandemie, die in China begann, forderte. China untersagte im Gegenzug unter anderem den Import australischer Kohle. Dutzende mit Kohle beladene Schiffe dürfen seit November nicht in chinesischen Häfen einfahren.

Gegenüber der „FT“ betonte der Mitarbeiter des Stromkonzerns Huaidan Corp, dass die Regierung trotz der Versorgungsprobleme das Importverbot wohl nicht aufheben werde, und stellte fest: „Politik ist wichtiger.“