Bild zeigt das „Metropolitan Museum of Art“.
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US-Museen

Griff ins Familiensilber

Die Museen in den USA stecken in der Krise. Expertenschätzungen zufolge könnten rund 30 Prozent der mehr als 35.000 Institutionen die Pandemie nicht überleben. Da staatliche Förderungen nur ein Viertel ihrer Budgets abdecken, stehen viele Häuser vor einem Defizit. Könnte der Verkauf von Sammlungsobjekten die Rettung bringen? Die hitzige Kontroverse über das „Entsammeln“ wird auch 2021 andauern.

Für die US-Museen war 2020 ein existenzbedrohendes Jahr. Ab März mussten selbst Tanker wie das New Yorker Metropolitan Museum, das seit seiner Gründung vor 150 Jahren nie länger als drei Tage hintereinander geschlossen hatte, monatelang zusperren. Hohe finanzielle Ausfälle und Kündigungswellen waren die Folge.

Laut einer Studie der American Alliance of Museums (AAM) könnten mehr als 10.000 US-amerikanische Museen gezwungen sein, dauerhaft zu schließen. Die Ausstellungsinstitutionen traf der lange Lockdown auch deswegen besonders hart, weil sie im Gegensatz zu europäischen Museen nur etwa 25 Prozent ihrer Mittel aus öffentlicher Hand erhalten.

Lockerung für Verkäufe aus Sammlungen

Bereits im April verkündete die Association of Art Museum Directors (AAMD) eine überraschende Entscheidung: Sie werde ihre Beschränkungen für den Verkauf von Sammlungsobjekten für zwei Jahre lockern. Bisher hatte diese Direktorenvereinigung den Griff ins Familiensilber stets verurteilt und sanktioniert. Der Tabubruch galt allerhöchstens dann als legitim, wenn für den Erlös neue Werke angekauft werden konnten, etwa zum Schließen von Sammlungslücken. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie werden nun auch Veräußerungen akzeptiert, die Mittel für Konservierung und Sammlungspflege lukrieren.

Ein Mann betrachtet Brice Marden’s Gemälde „3“.
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Brice Mardens „3“ entging der „Deakzession“ nur knapp

Als sich nun aber das Baltimore Museum of Art dazu entschloss, drei hochkarätige Gemälde der US-Maler Andy Warhol, Clifford Still und Brice Marden Ende Oktober in einer Auktion bei Sotheby’s in New York versteigern zu lassen, hagelte es Kritik. Der Direktor Chris Bedford begründete seinen Schritt nämlich nicht mit Budgetnot, sondern er wollte mit dem erhofften Erlös von 65 Millionen Dollar (rund 53,5 Mio. Euro) seiner Sammlung mehr Diversität verschaffen. Dafür plante das Haus Ankäufe afroamerikanischer Kunst, etwa der Malerin Amy Sherald, die durch ihr Porträt von Michelle Obama bekannt wurde.

Meisterwerke versus Diversität

Seit den 1970er Jahren werden die US-Museen für ihre Repräsentation eines privilegierten, weißen, männlichen Kanons angegriffen. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde diese Kritik wieder lauter. Der Reformansatz des Museums in Baltimore, einer Stadt mit einem hohen Anteil an schwarzer Bevölkerung, ging aber nach hinten los. Zwei wichtigen Gönnern lief der Verkauf von Meisterwerken wie Warhols „The Last Supper“ so zuwider, dass sie sich und ihre versprochenen Spenden von rund 50 Millionen Dollar zurückzogen (etwa 41 Mio. Euro). Letztlich kamen die drei Gemälde nicht unter den Hammer.

Eine Frau betrachtet Clyfford Still’s Gemälde „1957-G“.
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Clyfford Stills „1957-G“ verblieb nach Kritik an den Verkaufsplänen in Baltimore

Mehr Erfolg mit der „Deakzession“, wie der Fachbegriff für das „Entsammeln“ lautet, hatten das Everson Museum in Syracuse und das New Yorker Brooklyn Museum. Das Everson setzte ein Bild von Jackson Pollock um gute zwölf Millionen Dollar (rund 9,9 Mio. Euro) ab, um nun afroamerikanische Kunst und Arbeiten von Frauen zu erwerben. Das Brooklyn Museum wiederum trennte sich von einem Dutzend Altmeistergemälden wie einer „Lucretia“ von Lukas Cranach dem Älteren, um sich besser um seine riesige Sammlung kümmern zu können. Unmittelbar nach der Auktion, die 5,4 Millionen Dollar (rund 4,4 Mio Euro) einbrachte, kündigte Museumsdirektorin Anne Pasternak an, dass ihr Haus bald weiteren Werken (u. a. von Degas, Monet, Matisse) Adieu sagen wird.

Volle Depots, leere Kassen

Wenn die Lager überquellen, die Museen ihren Betrieb durch Besucherschwund aber nicht mehr stemmen können, sind da gezielte Verkäufe keine Lösung? Schließlich bekommt das Publikum ohnehin immer nur die Spitze des Eisbergs dessen zu Gesicht, was in den Depots verstaubt. Ganz so ist es aber freilich nicht. Wenn Museumsmanager und Advisory Boards darüber bestimmen, was für zukünftige Generationen erhalten werden soll, könnten wirtschaftliche Denkweisen vor die Interessen der Öffentlichkeit treten. In den USA wird zudem ein Dammbruch befürchtet, denn der hochkompetitive Kunstmarkt giert nach Werken und Objekten, die durch ihre Museumsprovenienz geadelt wurden.

Für die öffentlichen Museen in Österreich und in Europa sind Veräußerungen generell ein No-Go und in der Regel auch verboten. Anders stellt sich die Situation in der Schweiz dar, deren Museumslandschaft stark von Privatinstitutionen geprägt ist. Aber auch hierzulande wurden schon Museumsobjekte verkauft. So ließ etwa das Leopold Museum 2012 mehrere Papierarbeiten von Egon Schiele bei Sotheby’s versteigern; der Erlös wurde für Vergleiche mit den Erben im Restitutionsverfahren Jenny Steiner eingesetzt. Der Zweck heiligte in diesem Fall die Mittel. Der Verkauf von Schiele-Blättern wurde aber nur möglich, weil das Leopold Museum nach wie vor eine Privatstiftung ist.