Oper für die Couch

Der „Rosenkavalier“ als Tanz der Vampire

Als 1968 die Welt schon in Umbruch lag, setzte die Wiener Staatsoper einen Klassiker in Szene: „Der Rosenkavalier“ bekam eine Inszenierung von Otto Schenk – und wurde nach der Premiere unter Leonard Bernstein zu einem Repertoire-Renner. In Zeiten des Lockdowns hat die neue Staatsoper diese Version erneut hervorgeholt und unter Philip Jordan musikalisch neu einstudiert. Und siehe da: Via ORF III und ORF.at darf man sich am Abend auf einen Klassiker freuen, der in der Bewegtbildversion im dritten Akt dem Polanski-Klassiker „Tanz der Vampire“ gestalterisch sehr nahekommt.

Der „Rosenkavalier“, die zweite große Oper von Richard Strauss, entstanden in enger Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal, ist eigentlich ein hinterlistiges Stück. Es tut zuckersüß, treibt aber mit allen Codes ein abgründiges Spiel. Da geht es im Wien zu Zeiten Maria Theresias schon amourös so zur Sache, dass alle guten Sitten aus den Angeln heben – Querbezüge zu den Beaumarchais-Da-Ponte-Vorlagen bei Mozart sind inhaltlich gewollt wie beabsichtigt. Und dann ist mit der Rolle des Octavian eine Figur angelegt, die man zwar aus der Geschichte der Oper heraus als die klassische Hosenrolle bezeichnen würde; so wie sie aber hier eingesetzt wird, würde der geneigte Kulturwissenschaftler schon eine Form von Gendermaskarade erahnen.

Musikalisch ist es ein Strauss erster Güte: Er haut seinem Publikum seinen ganzen Motiv- und Formeneinfallsreichtum ums Ohr, nimmt die scheinbar süßesten Melodien, um sie harmonisch in neue Grenzbereiche zu führen: Da reißt immer jemand den Vorhang zu ganz Neuem auf, steckt uns aber zur Beruhigung immer ein Stück Sacher mit Schlag in den Rachen. Das bekannte Lever bei der Marschallin im ersten Akt hat es ja immerhin bis zur Radiosendungssignation geschafft, so sehr begleitet der „Rosenkavalier“ motivisch die Öffentlichkeit.

Neue Perspektiven

Der neue Musikdirektor der Oper scheint mit diesem Zugang zur Musikgeschichte seine liebe Freude zu haben – in der Ausdeutung des fordernden Strauss’schen Formen- und Klanguniversums will er so viel Exaktheit und Dynamik, dass seine Bewegungsstudie des Dirigierens an sich schon einer längeren Beobachtung würdig wäre. Tatsächlich ist dieser „Rosenkavalier“ musikalisch und sängerisch frisch und bestbesetzt und nagt mitnichten an seinem eigenen Alter. Das liegt auch daran, dass mit Günther Groissböck ein Baron Ochs auf Lerchenau auf der Bühne steht und lümmelt, der sängerisch und schauspielerisch diese Rolle mit Ironie und nicht der oft erlebten Plumpheit interpretiert. Dreieinhalb Stunden ein Bass im Zentrum einer Oper, das ist ohnedies ein Wagnis.

Gwyneth Jones als Oktavian und Reri Grist als Sophie in >Der Rosenkavalier< von Richard Stauss. Regie Otto Schenk. Wiener Staatsoper. Premiere 13.4.1968.
Österreichisches Theatermuseum / Imagno / picturedesk.com
Gwyneth Jones als Oktavian und Reri Grist als Sophie bei der Premiere am 13. April 1968 unter Leonard Bernstein

Überhaupt lehren ja die alten Klassiker in der filmischen Umsetzung eines: Ein opulentes Stück Theatergeschichte tut sich auf den Screens mitunter leichter als eine moderne Inszenierung, die auf den Mut zur Reduktion setzt. So darf man am Anfang schwelgen und zunächst zwei Akte erleben, die das ästhetische Schwarzwälder-Kirschtörtchen der Operngeschichte sind, bevor man im dritten Akt des Aufdeckens tatsächlich in die schummrige Genre-Stube steigt, die frisch aus der Hand eines Roman Polanski stammen könnte.

Szene mit Totenpuppen aus dem Dritten Akt
ORF / Staatsoper
Die „Inszenierung“ des Valzacchi im dritten Akt der Oper: Im Wirtshaus soll es spuken

Ungleich, aber doch mit Ähnlichkeiten

Polanskis Klassiker war zwei Jahre vor dieser Inszenierung in die Kinos gekommen, und keineswegs sei hier unterstellt, dass Schenk irgendwie bei Polanski geborgt hätte, wenn es darum geht, das Treiben des Barons von Lerchenau just im Setting eines schummrigen Wirtshauses und dem Einsatz von Schreckgespenstern aufzudecken – immerhin will es ja das Stück, dass der finale Part in einem Wirtshaus spielt. Es ist aber diese Art, wie der Klamauk und das Unheimliche, Abgründige eng geführt werden, die Schenk und Polanski für gut 100 Takte zu Partnern machen.

Bei Schenk wie Polanski spielen ein unheimlicher Raum mit einem Bett eine zentrale Rolle. Liegt in einem Fall Jack MacGowran mit Schröpfgläsern auf dem Rücken, möchte der „Ochs“ wiederum das ersehnte Mädchen rumkriegen und alsbald in sein Liebesnest hinter der Stube entführen. Doch das Liebesnest entpuppt sich als Loch der Intrige und des unheimlichen, strömen doch aus dem Bettraum die behaupteten unehelichen Kinder des Barons in die Stube – und drängen ihn damit so an den Rand, dass er all sein Werben um Sophie aufgeben muss.

Roman Polanski und Sharon Tate in Polanskis Tanz der Vampire
Impress / United Archives / picturedesk.com
Jack MacGowran und Roman Polanski in Polanskis „Tanz der Vampire“

Eigentlich ist das Dekor samt dem Einsatz der Puppen und Schreckgespenster die zentrale Sensation dieses Finales. Und bedenkt man, dass es ja hier um eine Repertoireoper geht, bei der Sängerinnen und Sänger oft kurzfristig in ihre Rollen einsteigen müssen, so ist eine Bühne von Nutzen, auf der es zugeht, wie in der Geisterbahn. Im Fall der jetzigen Besetzung ist auch mit Slapstick zu rechnen, nicht nur, weil Groissböck als Ochs das von Hofmannsthal gestaltete Fanstasiewienerisch mit großer Freude in puncto Lebhaftigkeit rechts und links überholt.

Szene mit Totenkopfpuppen aus dem dritten Akt des Rosenkavaliers
ORF / Staatsoper

Wie viel von der wahren Liebe beim Happy End dieser Oper überblieb, darf man auf der Couch genüsslich für sich beantworten. Strauss verziert da so viel und lässt die Motive dann gleich wieder ins Dissonante stürzen, dass man gewiss sein kann, dass das Zusammenkommen dann doch mit der Travestie konkurrieren muss. Hier dämpft Schenks Bauernstube. Die Musik erstrahlt dafür jetzt 2020 umso frischer. In den Hauptrollen zu sehen, hören und erleben: Martina Serafin erneut als Marschallin, Günther Groissböck als Ochs auf Lerchenau, Daniela Sindram als Octavian, Erin Morley als Sophie, Piotr Beczala in der Rolle „eines Sängers“, Jochen Schmeckenbecher als Faninal und Thomas Ebenstein als Valzacchi.