Houses of Parliament in London
Reuters/Toby Melville
Nach EU-Unterschrift

Post-Brexit-Pakt wird in London abgesegnet

Das britische Unterhaus hat dem Brexit-Handelspakt mit der Europäischen Union zugestimmt. Die Abgeordneten der ersten Kammer votierten am Mittwoch in zweiter Lesung mit klarer Mehrheit für das von Premierminister Boris Johnson vorgelegte EU-Gesetz. Später sollen noch das Oberhaus und die Königin dem Vertrag seinen Segen geben. Zuvor hatte die EU-Spitze den Brexit-Handelspakt unterzeichnet.

Die Zeremonie mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel wurde am Mittwoch im Internet übertragen. Damit ist aus Brüsseler Sicht die letzte Hürde vor der Anwendung des Vertrags ab 1. Jänner genommen. Johnson unterzeichnete den Vertrag am späten Nachmittag. Er bezeichnete das Abkommen als Grundlage für eine „wundervolle Beziehung“.

Nach dem Unterhaus muss auch das Oberhaus – das House of Lords – dem Vertrag zustimmen. Nicht ausgeschlossen wird, dass dort kleinere Änderungen beschlossen werden, über die dann erneut die erste Kammer entscheiden muss. Schließlich soll Königin Elizabeth II. als Staatsoberhaupt mit ihrer Zustimmung („Royal Assent“) den Vertrag von britischer Seite aus endgültig in Kraft setzen.

Johnson bewirbt Deal als „historische Chance“

Premier Johnson bewarb in seiner Rede vor dem Unterhaus den Deal als historische Chance und nationale Erfüllung. Zentraler Zweck sei, „etwas zu erreichen, von dem das britische Volk in seinem Herzen immer wusste, dass es getan werden kann“. Es gehe darum, mit den europäischen Nachbarn freundschaftlich zusammenzuarbeiten und Handel zu treiben, aber zugleich die souveräne Kontrolle über Gesetze und „unser nationales Schicksal“ zu behalten.

Britischer Premierminister Boris Johnson
AP/Alberto Pezzali
Man hätte nie einen Bruch mit der EU gesucht, so Johnson

Der Premierminister betonte dabei die enge Freundschaft zu Europa – eine komplette Loslösung sei nie infrage gekommen. „Was wir suchten, war kein Bruch, sondern eine Lösung – eine Lösung der alten und ärgerlichen Frage der politischen Beziehungen Großbritanniens zu Europa, die unsere Nachkriegsgeschichte belastete“, so Johnson. Großbritannien werde der beste Freund und Verbündete sein, den die EU haben könnte. Gleichzeitig werde der Wunsch des britischen Volkes erfüllt, unter eigenen Gesetzen zu leben.

Ablehnung in Schottland

Das schottische Parlament lehnte den Handelspakt am Mittwoch ab. Die Abgeordneten stimmten mit 92 zu 30 Stimmen für eine Entschließung, nach der das Abkommen „Schottlands ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen ernsthaften Schaden“ zufüge. Das Votum hat keinen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess im britischen Parlament in London.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte zuvor gefordert, die Abgeordneten sollten gegen den „faulen Brexit, den Schottland die ganze Zeit abgelehnt hat“ stimmen. Der Brexit-Handelspakt, den Johnson mit der EU-Kommission vereinbart hatte, biete keine Vorteile, nur erhebliche Nachteile. Schottlands Stimme sei zu jedem Zeitpunkt ignoriert worden. Auch die nordirische Versammlung lehnte den Vertrag ab.

Einigung am Heiligen Abend

Großbritannien und die EU hatten sich erst am Heiligen Abend auf den Vertrag geeinigt. Das mühsam ausgehandelte Handels- und Partnerschaftsabkommen soll die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent ab Jänner 2021 regeln. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden und möglichst reibungslosen Handel zu sichern. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Großbritannien war bereits Ende Jänner 2020 aus der EU ausgetreten, nun endet auch die Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion.

Der walisische Regierungschef Mark Drakeford nannte den Vertrag „enttäuschend“: „Für unsere Bürger bedeutet er längere Schlangen an Flughäfen, Visa für längere Reisen, teurere Mobilfunkkosten. Weniger Menschen aus der EU, die in unserem Gesundheits- und Sozialhilfewesen arbeiten und sich um Leute in Not kümmern“, sagte Drakeford. Wie zuvor bereits seine schottische Kollegin Nicola Sturgeon warf er Johnsons Regierung „Kulturvandalismus“ vor, weil sie aus dem EU-Studentenaustauschprogramm Erasmus aussteigt.

Verhandlungen mit Spanien über Gibraltar laufen noch

Nicht im Abkommen festgelegt ist die weitere Vorgangsweise mit dem britischen Überseegebiet Gibraltar, darüber verhandeln Spanien und Großbritannien bilateral. Beide Seiten wollten sich am Mittwoch – einen Tag vor Ablauf der Frist für eine Einigung – nicht zum Verhandlungsstand äußern, um die Gespräche nicht zu gefährden.

Ein Sprecher Johnsons hielt sich ebenso bedeckt wie die EU-Kommission. „Wir sind noch optimistisch, aber wenn es keine Einigung gibt, wird die Lage ab dem neuen Jahr chaotisch“, sagte eine Regierungsquelle in Gibraltar der dpa.

Im Raum steht die Warnung der spanischen Außenministerin Arancha Gonzalez Laya, dass die Grenze zu Gibraltar ab Freitag zu einer EU-Außengrenze werden könnte und sich in kleinerem Maßstab ähnliche Szenen wie beim Lastwagenstau vor Dover in Großbritannien wiederholen könnten. Die Politikerin der linken Regierung in Madrid setzt sich dafür ein, dass Gibraltar Teil des Schengen-Raums wird, was auch der Regierungschef Gibraltars, Fabian Picardo, befürwortet. Die Kontrolle der EU-Außengrenze müsste dann auf dem internationalen Flughafen Gibraltars erfolgen.

Umstritten ist nach Informationen der Zeitung „El Pais“ allerdings, wie diese Kontrolle vor sich gehen soll. Spanien sei bereit, dass hier die europäische Grenzschutzagentur Frontex zum Einsatz komme. Allerdings müsse Frontex im Auftrag Spaniens tätig werden und Madrid Bericht erstatten. Denn Spanien sei bei den anderen Schengen-Staaten in der Pflicht, die Außengrenze zu kontrollieren. Großbritannien könne das nicht, weil es nicht zum Schengen-Raum gehöre, und Gibraltar auch nicht, weil es kein Staat sei.

Österreich zufrieden mit Abkommen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bedankte sich auf Twitter bei EU-Chefverhandler Michel Barnier für seine unermüdliche Arbeit. Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck begrüßte die Unterzeichnung des Abkommens. „Österreichische Firmen werden auch nach dem 31.12.2020 weiterhin eine bedeutende Rolle am Markt des Vereinigten Königreichs spielen“, so Schramböck in einer Aussendung. „Das Vereinigte Königreich ist und bleibt ein wichtiger Partner für uns in Europa – der Brexit ist ein Abschied, aber nicht das Ende langjähriger guter wirtschaftlicher Beziehungen.“