Passanten mit MNS vor einem CoV-Plakat in Jerusalem
AP/Oded Balilty
Nächster Lockdown

Impfvorreiter Israel mitten in dritter Welle

In den Schlagzeilen war Israel zuletzt vor allem aufgrund seiner erfolgreichen Impfkampagne: Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben bereits die erste Impfdosis erhalten. Das Land ist deshalb aber keineswegs über den Berg, es befindet sich inmitten einer dritten Welle. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist auf dem höchsten Stand seit Monaten, Spitäler schlagen Alarm, und Dienstagabend wurde ein härterer Lockdown beschlossen.

Auf die Verhängung eines noch strengeren Lockdowns, der auch die Schließung aller Bildungseinrichtungen vorsieht, haben sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen Noch-Juniorpartner Benni Ganz am Dienstag geeinigt. Das berichteten unter anderem die israelischen Tageszeitungen „Haaretz“ und „Times of Israel“. Die Verschärfungen sollen Donnerstag um Mitternacht in Kraft treten und für zwei Wochen gelten. Das Parlament muss den Maßnahmen noch zustimmen.

Wenngleich das Land beim Impfen aufs Tempo drückt, kämpft es aktuell dennoch mit einer rasanten Ausbreitung des Virus. Berichten zufolge machen Netanjahu und Ganz die Verbreitung der in Großbritannien erstmals entdeckten und ansteckenderen Virusmutation B117 für den raschen Anstieg verantwortlich.

Benjamin Netanjahu und Benny Gantz
Reuters
Benni Ganz und Benjamin Netanjahu einigten sich auf strengere CoV-Regeln

Über 8.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden

Konkret stieg die Zahl der Neuinfektionen erstmals seit Ende September auf mehr als 8.000. Wie das Gesundheitsministerium am Dienstag mitteilte, wurden binnen 24 Stunden 8.308 Fälle verzeichnet. Bis Dienstag haben sich nachweislich insgesamt über 450.000 Menschen in dem Land mit rund 9,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern infiziert. 3.445 Menschen sind an oder mit dem Virus verstorben.

Um eine weitere Virusausbreitung zu verhindern, war schon Ende Dezember ein neuer Teil-Lockdown in dem Mittelmeer-Staat verhängt worden. Auch strenge Einreisebestimmungen sind in Kraft. Zusätzlich zur Pandemie steht Israel vor der vierten Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren.

Geschlossenes Geschäft in Jerusalem
Reuters/Ammar Awad
Geschlossene Geschäfte: Schon Ende Dezember trat ein Teil-Lockdown in Kraft – dieser wird nun nochmals verschärft

Minister warnt vor Preis des Nichtstuns

„Der Preis des Nichtstuns sind viele Hunderte zusätzliche Todesopfer, Tausende zusätzliche Schwererkrankte und Zehntausende zusätzliche bestätigte Fälle“, warnte Gesundheitsminister Juli Edelstein nach einem Treffen mit hochrangigen Regierungsmitgliedern am Dienstagvormittag.

„Wir wollen eine Brücke zwischen heute, zwischen der derzeitigen Infektionsrate und dem Erfolg der Impfungen errichten“, sagte er weiter. „Wir können diese Brücke nur unter einer Bedingung bauen: einer vollständigen Schließung.“

Mediziner befürchten verheerende dritte Welle

Auch seitens hochrangiger Mediziner mehrten sich die Warnungen zuletzt – einige Spitäler stießen bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. „Wir befinden uns am Anfang einer sehr ernsten Welle“, sagte Pierre Singer, Leiter der Intensivstation des Beilinson-Spitals in Petach Tikwa, am Montag gegenüber Channel 13. Kritisch ist ihm zufolge, dass nun auch mehr jüngere Menschen hospitalisiert würden.

Auch Salman Sarka, Direktor des Spitals Siv in Safed, und Schlomi Codisch, Leiter des Krankenhauses von Be’er Scheva, äußerten sich ähnlich. Laut Codisch ist der Anstieg an Hospitalisierungen steiler, als das während der zweiten Welle der Fall war. „Wenn es so weitergeht, erwarten wir, dass wir uns am Ende dieser Welle in einem viel kritischeren Zustand befinden.“

Ran Balicer, Vorsitzender des Nationalen Expertenbeirats der Regierung für Covid-19, nennt in einem Beitrag für „Haaretz“ zwei Gründe für eine noch aggressivere dritte Welle: Einerseits würden sich in der Wintersaison mehr Menschen in geschlossenen, schlecht gelüfteten Räumlichkeiten befinden, andererseits sieht er auch die neue, schneller übertragbare Virusmutation, die aus Großbritannien eingeschleppt worden war, als Grund. Inwieweit sich diese auf das Infektionsgeschehen auswirke, ließe sich aber nur schwer abschätzen.

Zwei Millionen Geimpfte im Jänner

Erst am Wochenende gab die israelische Regierung bekannt, dass dort noch in diesem Monat rund zwei Millionen Menschen den kompletten Impfschutz erhalten sollen. Laut „Haaretz“ haben rund 1,37 Mio. Israelis bisher die erste Dosis des Vakzins von Pfizer/Biontech erhalten – also knapp 15 Prozent der Bevölkerung. Am Dienstag wurde zudem der Einsatz des Coronavirus-Impfstoffs von Moderna genehmigt. Man habe sechs Millionen Impfdosen gesichert und erwarte die ersten Lieferungen noch im Jänner, teilte das Gesundheitsministerium mit.

Patientinnen in einem Imfzentum in Tel Aviv
AP/Oded Balilty
Zwei Millionen Israelis sollen bis Ende Jänner den kompletten Impfschutz erhalten

„Bis Ende Jänner werden wir zwei Millionen Einwohner geimpft haben, darunter meist ältere“, sagte der Generaldirektor des israelischen Gesundheitsministeriums, Hesi Levy, dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan am Wochenende. Das entspricht mehr als einem Fünftel der israelischen Gesamtbevölkerung.

Geimpfte sollten in Israel mit einem „grünen Pass“ Vorteile erhalten. Sie können etwa eine Quarantänepflicht umgehen sowie öffentliche Veranstaltungen und Restaurants besuchen. Der Ausweis soll vermutlich zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis erhältlich sein. Das Ziel ist es laut Behörden, ein sicheres Pessachfest Ende März feiern zu können.

Ultraorthodoxe besonders betroffen

Netanjahu war wegen seines Umgangs mit der Coronavirus-Krise immer wieder stark in die Kritik geraten. Er positionierte sich etwa gegen punktuelle Lockdowns in Wohngebieten mit vielen streng religiösen Juden, obwohl dort besonders hohe Infektionszahlen verzeichnet werden. In manchen Orten wurden nach massivem Druck ultraorthodoxer Kreise auch geplante Beschränkungen abgeschwächt. Aktuellen Daten zufolge würde mehr als ein Viertel aller Neuinfektionen auf Ultraorthodoxe entfallen – diese machen hingegen nur ein Zehntel der Bevölkerung aus, berichtet etwa die „Times of Israel“.

Gebet im Freien in Ashdod, Israel
Reuters/Amir Cohen
Ein großer Teil der Neuinfektionen wurde jüngst bei ultraorthodoxen Juden verzeichnet

Die streng religiösen Parteien im Parlament gelten als enge Verbündete Netanjahus und sind bei Wahlen mitunter entscheidend. Kritikern zufolge befürchtet Netanjahu, die ultraorthodoxen Parteien könnten ihm im Falle strenger CoV-Regeln ihre automatische Unterstützung entziehen. Am 23. März wählt Israel zum vierten Mal binnen zwei Jahren ein neues Parlament. Netanjahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, kämpft dabei um sein politisches Überleben.