Impfspritze im Oberarm
APA/Georg Hochmuth
Nicht nur in Österreich

Impfstrategien sorgen für Zores

Zu langsam, zu intransparent sei die Impfstrategie der Regierung, moniert die Opposition. Tatsächlich wurden bisher nur 8.360 Dosen gegen das Coronavirus ausgeliefert. Österreich steht mit der Debatte aber durchaus nicht allein da: In Deutschland, wo vergleichsweise wesentlich mehr vorangeht und Impfungen auch öffentlich nachgewiesen werden, aber auch in vielen anderen EU-Staaten hagelt es Kritik an einem zu laschen Vorgehen.

63.000 Impfdosen gegen das Coronavirus wurden bisher nach Österreich geliefert, weitere 63.000 kommen bis Ende dieser Woche dazu. Diese Zahlen gab das Gesundheitsministerium am Dienstag bekannt. Ausgeliefert wurden bisher aber erst 8.360 Dosen. Davon wurden bisher 6.770 Personen geimpft, sagte Katharina Reich, Chief Medical Officer im Gesundheitsministerium, im ZIB2-Interview.

Dass nicht sofort alle verfügbaren Impfstoffe verwendet würden, erklärte Reich damit, dass die Impfung für die Alten- und Pflegeheime eine „hochkomplexe Herausforderung“ sei. Das müsste sorgfältig geplant sein. Man befinde sich aber „genau im Plan“. Zudem habe man die Entscheidung getroffen, ab dem 12. Jänner österreichweit in allen Alten- und Pflegeheimen mit den Impfungen zu starten. Im Jänner und Februar sollen nun Personen der ersten Prioritätsgruppe aus Alten- und Pflegeheimen geimpft werden. Im März folge die nächste Gruppe, so Reich. Ein Impfplan werde derzeit konkretisiert und soll laut Sektionschefin Reich noch diese Woche vorliegen.

Sektionschefin Reich zur Impfstrategie

Katharina Reich, Sektionschefin für öffentliche Gesundheit, über die österreichische Impfstrategie.

Ministerien: Über 20.000 Impfungen noch diese Woche

Wie es aus den Ministerien gegenüber der APA hieß, sollen noch in dieser Woche über 21.000 Dosen verimpft werden. Bis kommenden Dienstag seien zudem weitere rund 43.000 eingemeldet worden. Mit den bisher rund 6.800 Geimpften lautet das bis Dienstag kommender Woche angepeilte Ziel somit, knapp 71.000 Personen gegen das Coronavirus zu impfen. Und auch die in der kommenden Kalenderwoche eintreffenden rund 60.000 Impfdosen sollen rasch verimpft werden, hieß es.

Auslieferung „gut im Plan“

Der Impfstoff wurde zunächst in ein Zentrallager nach Wien geliefert, danach in 17 Logistikzentren des Pharmagroßhandels in den Bundesländer transportiert. Von dort aus wurde er in die vorgesehenen Einrichtungen mit priorisiertem Impfbedarf – Pflegeheime und Covid-Stationen in Krankenanstalten – zugestellt. „Zielvorgabe“ des Ministeriums ist es, dass bis Ende Februar 158.000 Personen in Pflegeheimen und Spitälern und das dortige Personal geimpft sind.

Zahl der ausgelieferten Dosen nach Bundesländern – Balkengrafik
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMI

Man liege bei der Auslieferung jedenfalls „gut im Plan“, hielten am Dienstag der Verband der Österreichischen Impfstoffhersteller (ÖVIH) und der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) fest. „Für Österreich stehen ausreichend Impfstoffdosen zur Verfügung. Allein vom Biontech/Pfizer-Impfstoff sind aus dem von der EU-Kommission vereinbarten Umfang 5,5 Millionen Dosen für Österreich vorgesehen. 3,5 Millionen über das Basiskontingent und zwei Millionen Dosen über ein bereits vereinbartes optionales Kontingent“, sagte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog.

NEOS: „Grob fahrlässige Langsamkeit“

Ganz anders fällt das Urteil der Opposition aus: „Die ganze Welt hat es geschafft, sich vorzubereiten und eine funktionierende Impflogistik aufzubauen, und konnte sofort losimpfen. Nur Österreich lässt die rettenden Impfdosen wochenlang liegen und muss erst einmal einige wenige Auserwählte ‚probeimpfen’“, hielt NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker am Dienstag fest. Abgesehen von der „grob fahrlässigen Langsamkeit“ kritisiert Loacker die „absolute Intransparenz und das prolongierte Datenchaos auch bei den Impfungen“.

Anders als in Deutschland gibt es in Österreich keine tagesaktuellen Daten zu den Impfungen und auch keine Aufschlüsselung auf die einzelnen Bundesländer. Das Sozialministerium sagte lediglich „regelmäßige Updates“ zu – sowie eine Verbesserung der Datenqualität mit dem großflächigen Impfstart ab 12. Jänner.

Auch der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried zeigte sich am Dienstag besorgt über den schleppenden Impfstart: „Es ist absolut unverständlich, dass das Gesundheitsministerium gar nicht weiß, wie viel geimpft wird und Impfstoff hortet, bis sie es für richtig halten, mit dem Impfen zu beginnen.“ Die FPÖ lehnt die Coronavirus-Strategie der Regierung zur Gänze ab und sagt „Nein zur Test- und Impf-Apartheid“, wie es Klubobmann Herbert Kickl zu Wochenbeginn formulierte.

Disput auch in Deutschland

Die Diskussion über die richtige Impfstrategie kennen auch etliche andere Länder in Europa. Selbst in Deutschland, wo die Zahl der verabreichten Impfungen laut Robert Koch-Institut (RKI) bereits Montagabend bei rund 317.000 lag – und damit weitaus höher als in Österreich – hagelte es Kritik der Opposition. Insbesondere SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte beklagt, Deutschland stehe „viel schlechter da als andere Länder“. Es sei zu wenig Impfstoff bestellt worden, und es gebe „kaum vorbereitete Strategien mit den Bundesländern zusammen“. Man sehe jetzt „chaotische Zustände“.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies die Kritik zurück: Die derzeit verfügbaren Dosen seien genau die von ihm angekündigte Größenordnung, die im Kabinett auch besprochen worden sei, sagte Spahn am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Es sei klar gewesen, dass der Impfstoff zu Beginn knapp sein werde. In „dieser echt schweren Phase der Pandemie“ erwarteten die Bürger „zurecht Geschlossenheit und Entschlossenheit ihrer Regierung“. „Es funktioniert in so einer Phase nicht gut, gleichzeitig Regierung und Opposition sein zu wollen“, warf der CDU-Politiker der SPD vor.

Kritik an schleppendem Impfstart

Bisher wurden 60.000 Impfdosen nach Österreich geliefert, allerdings wurde davon nur ein Bruchteil auch verbraucht. Experten sind verwundert, die Opposition ist empört und jetzt kritisiert auch der Koalitionspartner ÖVP den grünen Gesundheitsminister.

Diskurs auf Chefebene

Am Mittwoch will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihren zuständigen Ministern beraten, wie zusätzliche Produktion durch die Regierung unterstützt werden kann. Nach organisatorischen Problemen bei den Einladungen zur Impfung setzt der Bund nun auf einen reibungslosen Ablauf. „Der Bund wird den Ländern auf Grundlage der Herstellermeldungen verlässliche Lieferzeiten übermitteln, um ein abgesichertes Terminmanagement vor Ort zu ermöglichen“, hieße es in einem Beschluss der Bundesländer und des Bundes vom Dienstag.

In Frankreich geriet die Regierung stark unter Druck, ein sehr schleppender Start der Impfungen hatte auch hier zu heftiger Kritik geführt. Nun will Paris die Strategie „verstärken, beschleunigen und vereinfachen“, wie Gesundheitsminister Olivier Veran am Dienstag sagte. Genaue Zahlen zu verabreichten Impfungen gab es nicht. Am Montag wurden laut Veran die Zahl von 2.000 Impfungen überschritten – ein Bruchteil im Vergleich zu anderen Ländern.

Gesamtzahl der verabreichten Impfdosen pro 100 Personen 
in der Gesamtbevölkerung (Auswahl) – Balkengrafik
Grafik: ORF.at; Quelle: Universität Oxford

Kritik in vielen Ländern

Auch in Spanien und Teilen Italiens gibt es ähnliche Kritik. Lautstark beschwerte sich der Bürgermeister des stark im Frühjahr betroffenen Bergamo am Dienstag über das Tempo. Es sei unglaublich, dass in der Lombardei das Impfen wegen der Ferien und der Feiertage so langsam begonnen habe, so Giorgio Gori zu „La Repubblica“. „Als ob das Impfen nicht absolute Priorität gehabt hätte.“ Die Lombardei hatte Verzögerungen damit gerechtfertigt, dass das Gesundheitspersonal in Urlaub gewesen sei. In der Region wurden bis Dienstagfrüh nur rund elf Prozent der verfügbaren Impfungen verabreicht. Andere Regionen spritzten bereits mehr als die Hälfte der verfügbaren Dosen. Insgesamt lag die Zahl der Geimpften in Italien bei knapp 179.000.

Die Niederlande starten erst am Mittwoch als letztes EU-Land mit Impfungen. Zu lange setzte man auf den noch nicht zugelassenen Impfstoff von AstraZeneca und der Universität Oxford, die Infrastruktur dafür aber fehlt. Das gerade aus der EU geschiedene Großbritannien verfolgte hingegen eine eigene Strategie und begann mit den Impfungen von Biontech und Pfizer schon vor Wochen. Inzwischen wird auch schon jenes von AstraZeneca zusätzlich verwendet.

EU bemüht sich um Nachschub

Laut „Spiegel“ verhandelt die EU-Kommission derzeit mit Biontech/Pfizer über eine Verdopplung der bisher vereinbarten Impfstofflieferungen. Ein neuer Vertrag könnte zusätzlich 100 Millionen Impfstoffdosen gegen das neuartige Coronavirus und eine Option auf weitere 200 Millionen beinhalten, berichtete das Magazin am Dienstag.

Die Kommission hatte im November, als noch kein Coronavirus-Impfstoff eine Zulassung in der EU hatte, einen Liefervertrag mit Biontech und Pfizer über 200 Millionen Impfstoffdosen mit einer Option auf 100 Millionen weitere abgeschlossen. Das Vakzin wurde dann kurz vor Weihnachten als erstes Mittel in der EU zugelassen. Wegen Produktionsengpässen und logistischer Schwierigkeiten liefen die Impfkampagnen bisher aber nur schleppend an.

Israel als Vorbild

Vorreiter in Sachen Impfung ist Israel. Erst am Wochenende gab die Regierung bekannt, dass noch in diesem Monat rund zwei Millionen Menschen den kompletten Impfschutz erhalten sollen. Laut Medienangaben erhielten schon rund 1,37 Millionen Israelis die erste Dosis, das sind knapp 15 Prozent der Bevölkerung.

Am Dienstag wurde zudem der Einsatz des Coronavirus-Impfstoffs von Moderna genehmigt. Doch Israel befindet sich trotz Impfung mitten in der dritten Welle und beschloss abermals einen Lockdown – mehr dazu in Impfvorreiter Israel mitten in dritter Welle.