Den Sicherheitskräften sei es inzwischen gelungen, das Kapitol von den Demonstrierenden zu räumen. Das berichtete die Nachrichtenagentur AP am Mittwoch unter Berufung auf zuständige Beamte. Rund vier Stunden nach dem Beginn des Angriffs wurden die letzten Trump-Anhänger und -Anhängerinnen aus dem Gebäude entfernt. Auch die Nationalgarde des Hauptstadtbezirks sei mobilisiert worden, um Sicherheitskräfte des Bundes zu unterstützen, wie das Pentagon mitteilte.
Videos in Sozialen Netzwerken zeigten, wie die Demonstrierenden das Kapitol verließen. „Wir haben es geschafft“, „wir werden nicht aufgeben“ und „das nächste Mal, wenn wir zurückkommen, werden wir nicht friedlich sein“, sind nur einige der Sätze, die die Demonstranten beim Verlassen in die Kamera schrien.
„Wir werden nicht nachgeben“
Auf Bildern des Senders CNN war zu sehen, wie Demonstranten zuvor Fensterscheiben zerschlugen und sich so Zugang zum Gebäude verschafften. Auf einem anderen Bild posierte ein Demonstrant im geräumten Senatssaal mit erhobener Faust auf dem Platz des Kammervorsitzenden. Ein weiterer Eindringling legte die Füße auf den Schreibtisch der demokratischen Repräsentantenhaus-Vorsitzenden Nancy Pelosi und hinterließ einen Zettel mit der Botschaft „Wir werden nicht nachgeben“ („We won’t back down“).
Im Kapitol angeschossene Person gestorben
Eine Frau, die nach dem Eindringen von Unterstützern Trumps ins Kapitol angeschossen wurde, ist gestorben. Eine Polizeisprecherin bestätigte der dpa am Mittwochabend (Ortszeit) den Tod der Frau. Die genauen Hintergründe sind noch unklar. Der Sender NBC News berichtete unter Berufung auf Sicherheitskräfte zudem von mehreren Verletzten.
Im Kapitol hatte noch kurz zuvor eine Sitzung des Kongresses stattgefunden, bei der die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl und damit Bidens Sieg bestätigt werden sollte. Die Sitzung wurde abrupt unterbrochen, die Parlamentssäle wurden geräumt. Rund um das Kapitol setzten die Sicherheitskräfte auch Tränengas ein.
Die Bürgermeisterin von Washington DC, Muriel Bowser, verhängte bis Donnerstagfrüh eine nächtliche Ausgangssperre. Und: Der ausgerufene Notstand solle um 15. Tage bis einen Tag nach der Inauguration von Biden verlängert werden.

Zertifizierung des Wahlergebnisses fortgesetzt
Trotz der Ereignisse wollte der US-Kongress die zuvor begonnene Zertifizierung des Präsidentschaftswahlergebnisses noch im Laufe des Mittwochabends (Ortszeit) fortsetzen. Man habe beschlossen, mit der Sitzung weiterzumachen, sobald der Kongresssitz wieder dafür freigegeben sei, kündigte die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Pelosi, an. Man werde die Sache zu Ende bringen.
„Wir haben entschieden, dass wir heute Abend im Kapitol fortfahren sollten, sobald es für die Nutzung freigegeben ist“, hieß es in einem Brief von Pelosi an ihre Kollegen. Die Erstürmung des Gebäudes nannte sie einen „beschämenden Angriff“ auf die US-Demokratie, der mit dem Einverständnis „der höchsten Regierungsebene“ erfolgt sei. „Dies kann uns allerdings nicht daran hindern, unserer Verantwortung nachzukommen, die Wahl von Joe Biden zu bestätigen.“
Trump-Anhänger stürmen Kapitol
Nach dem Ansturm Hunderter Unterstützer von US-Präsident Donald Trump auf das Kapitol in Washington wurde der Parlamentssitz der Nachrichtenagentur AP zufolge abgeriegelt.
Wahlergebnis soll endgültig bestätigt werden
Kurz nach 20.00 Uhr (Ortszeit) trat der Senat wieder zusammen. Auch das Repräsentantenhaus nahm die Beratungen wieder auf. Beide Kammern kamen zunächst zu getrennten Sitzungen zusammen. Später am Abend sollten sie erneut gemeinsam tagen, um das Endresultat der Präsidentschaftswahl förmlich und endgültig zu bestätigen.
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte, die Kammer lasse sich nicht einschüchtern und werde sich nicht der Gesetzlosigkeit beugen. Der Führer der Demokraten in der Kammer, Chuck Schumer, verurteilte die Ausschreitungen und nannte die Geschehnisse beispiellos.
Erster Einspruch gegen Wahlergebnis gescheitert
Die republikanische Senatorin Kelly Loeffler gab ihren Widerstand gegen die Zertifizierung der Wahlergebnisse auf. Die Ereignisse hätten sie dazu gezwungen, ihre Haltung zu überdenken, so Loeffler die bei Stichwahlen in Georgia am Dienstag dem Demokraten Raphael Warnock unterlegen war. Unterdessen scheiterten die Republikaner aus dem US-Kongress wie erwartet mit ihrem ersten Versuch, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in dem US-Bundesstaat Arizona zu kippen. Lediglich sechs Senatoren unterstützten die Einwände, 93 stimmten dagegen.

Pence: „Gewalt siegt nie“
Vizepräsident Mike Pence verurteilte die Erstürmung und sagte bei der Wiedereröffnung der Senatssitzung: „So wie wir uns in dieser Kammer wieder zusammenfinden, wird die Welt erneut Zeugin der Widerstandsfähigkeit und Stärke unserer Demokratie. An jene, die heute Chaos und Verwüstung in unser Kapitol gebracht haben: Ihr habt nicht gewonnen“, fuhr Pence fort. „Gewalt siegt nie, Freiheit siegt. Und dies ist immer noch das Haus des Volkes.“
Vor Beginn der dann unterbrochenen Kongresssitzung hatte Pence erstmals angekündigt, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg nicht blockieren zu wollen. Das verbiete die Verfassung, erklärte der Republikaner. Zuvor hatte Trump seinen Vize in einer Rede vor den Demonstranten in Washington aufgefordert, die Wahlzertifizierung zu verhindern. Seine Anhänger rief der scheidende Präsident zum Protest gegen den Ausgang der Wahl vom 3. November auf. Sie dürften sich den „Diebstahl“ der Wahl nicht gefallen lassen.

Trump: „Sie müssen jetzt nach Hause gehen“
Trump wandte sich in einem Video an die Demonstranten als sich diese noch im Kapitol aufhielten: „Sie müssen jetzt nach Hause gehen. Wir brauchen Frieden.“ Er wiederholte aber auch den unbestätigten Vorwurf der Wahlfälschung. „Diese Wahl wurde mir, wurde uns gestohlen.“ Er verstehe den Ärger der „guten Menschen“, aber „wir müssen Frieden haben, wir müssen Recht und Ordnung haben“ und die Sicherheitskräfte respektieren, sagte Trump in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft. Twitter schränkte indes die Verbreitung, Likes sowie Antworten auf Trumps Video ein. In einem Hinweis unter dem Tweet wird das „mit der Gefahr von Gewalt“ begründet.
Trumps „doppelzüngiger“ Appell an Protestierende
Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump ruft die Demonstranten vor und im Kapitol zu Frieden auf.
Twitter sperrt Trumps Konto für zwölf Stunden
Kurz darauf schrieb er jedoch: „Dies sind die Dinge und Ereignisse, die passieren, wenn ein heiliger Erdrutsch-Wahlsieg so kurzerhand und bösartig großen Patrioten entzogen wird, die so lange schlecht und ungerecht behandelt wurden. Geht mit Liebe und in Frieden nach Hause. Erinnert Euch für immer an diesen Tag!“

Auf Twitter wurde der Beitrag mittlerweile entfernt und Trumps Konto wegen Verstöße gegen die Richtlinien für zwölf Stunden gesperrt. Sollte Trump sie nicht entfernen, werde das Konto dauerhaft gesperrt bleiben, erklärte das Unternehmen. Auch Facebook blockierte Trump-Postings für 24 Stunden.
Biden verurteilt Ereignisse
Biden verurteilte die dramatischen Ereignisse rund um das Kapitol scharf. „Zu dieser Stunde wird unsere Demokratie beispiellos angegriffen“, so Biden. „Ich bin wirklich schockiert und traurig, dass unsere Nation – so lange Leuchtfeuer und Hoffnung für Demokratie – an so einem dunklen Moment angekommen ist.“ Die Gewalt müsse enden, sagte Biden. „Das Kapitol zu stürmen, Fenster einzuschlagen, Büros zu besetzen, den Senat der Vereinigten Staaten zu besetzen, durch die Schreibtische des Repräsentantenhauses im Kapitol zu stöbern und die Sicherheit ordnungsgemäß gewählter Beamter zu bedrohen ist kein Protest“, sagte Biden. „Es ist Aufruhr.“

Er habe schon oft in anderen Zusammenhängen gesagt, dass die Worte eines Präsidenten Gewicht haben – egal wie gut oder schlecht dieser Präsident sei. Biden forderte Trump auf, sich in einer Fernsehansprache an das Volk zu wenden. Trump müsse seinem Eid nachkommen und die Verfassung verteidigen, sagte Biden. „Also Präsident Trump, treten Sie vor.“ Biden fuhr fort: „Die Szenen des Chaos am Kapitol spiegeln nicht das wahre Amerika wider, stehen nicht für das, wer wir sind.“ Es handle sich um eine kleine Zahl an Extremisten, die sich der Gesetzlosigkeit verschrieben hätten. „Ich rufe diesen Mob auf, sich zurückzuziehen und die Arbeit der Demokratie voranschreiten zu lassen.“
„Historisch außergewöhnliche Ereignisse“
ORF-Auslandschef Andreas Pfeifer analysiert die Vorfälle in Washington.
Abgeordnete sprechen von „Putschversuch“
US-Außenminister Mike Pompeo verurteilte die Ereignisse mit scharfen Worten. Es sei sowohl im Inland wie im Ausland „unerträglich“, bei Protesten Gewalt auszuüben und die Sicherheit anderer zu riskieren. Der republikanische Senator Mitt Romney sagte: „Was hier heute passiert ist, war Aufruhr, angestiftet vom Präsidenten der Vereinigten Staaten.“
Abgeordnete sprachen in Medieninterviews von einem „Putschversuch“. „Das ist Anarchie. Das ist ein Putschversuch“, sagte der Abgeordnete Seth Moulton. Der Abgeordnete Val Demings schrieb im Onlinedienst Twitter: „Ein Mob stürmt das US-Kapitol, um eine Wahl zu stürzen. Es findet ein Putsch statt.“ Sein Kollege Mark Pocan warf Trump vor, „Inlandsterrorismus“ zu befördern.

Der führende Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, verurteilte die Unruhen am Sitz des US-Parlaments. Was gerade passiere, sei „unamerikanisch“, sagte er dem Sender CBS News. „Ich bin enttäuscht. Ich bin traurig. Das ist nicht, wie unser Land aussehen sollte.“ McCarthy ist ein Verbündeter Trumps. Der republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger nannte die Vorgänge bei CNN „ekelhaft“ und „absolut verabscheuungswürdig“.
Rufe nach erneutem Amtsenthebungsverfahren
Auch die Rufe nach einem erneuten Amtsenthebungsverfahren gegen den scheidenden Präsidenten nehmen zu. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar teilte am Mittwoch auf Twitter mit, sie fertige bereits einen Artikel zur Anklageerhebung an. „Wir können nicht zulassen, dass er im Amt bleibt, es ist eine Frage der Erhaltung unserer Republik, und wir müssen unseren Eid erfüllen.“ Ihre Kollegin Carolyn Bourdeaux schloss sich der Forderung an, ebenso die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez.
Laut einem Bericht von CNN forderten Mitglieder des Justizausschusses des US-Repräsentantenhauses Pence und Mitglieder des Trump-Kabinetts bereits auf, sich auf den 25. Verfassungszusatz zu berufen und Trump seines Amtes zu entheben. Das gehe aus einer Erklärung hervor, die am Mittwochabend von den Ausschussmitgliedern veröffentlicht worden sei.