Daran ändere auch die spätere Zusage von Trump nichts mehr, nun für eine geordnete Amtsübergabe zu sorgen, der Schaden war etwa laut CNN bereits angerichtet, und zwar vor den Augen der Welt. Diese konnte „ungläubig zusehen“, wie gewählte Repräsentanten des an sich als Symbol der Demokratie hochgehaltenen US-Kongresses vor randalierenden Trump-Anhängern fliehen mussten. „Feinde der Demokratie werden sich freuen“, wie es bei CNN dazu noch heißt.
„So werden Wahlergebnisse in einer Bananenrepublik angefochten – nicht in unserer demokratischen Republik“, lautete schließlich das vernichtende Urteil von George W. Bush, der wie alle anderen noch lebenden Amtsvorgänger von Trump die Ereignisse in Washington auf das Schärfste verurteilte.
Weiter turbulente Zeiten erwartet
Ereignisse wie diese kenne man nach Einschätzung der Nachrichtenplattform The Conservation bestenfalls von „jungen oder instabilen Demokratien“ wie beispielsweise Bangladesch und Kamerun. Ursache und Kontext seien in den USA zwar gänzlich anders, „aber die Aktion war ähnlich“. Die Rede ist von einem „von Trump geförderten Aufstand“, der für die USA wohl noch lange nicht ausgestanden ist.
Nadelstiche für das Image der USA seien US-Kommentatoren zufolge schließlich auch die Reaktionen aus anderen Ländern. „Wir glauben, dass die USA diese innenpolitische Krise mit Reife überwinden werden. Wir empfehlen unseren Bürgern in den USA, sich von überfüllten Plätzen und Orten, an denen Shows abgehalten werden, fernzuhalten“, zitierte CNN etwa aus der Aussendung der Türkei. Der Wortlaut sei laut Korrespondentin Clarrissa Wardan bestens bekannt – allerdings reagierten damit an sich die USA auf mögliche Gefahren für US-Bürger bei Konfliktherden wie beispielsweise in Nahost.
„Passiert das wirklich?“
Nach vier Jahren der Aufwiegelung, Verschwörungstheorien, Lügen und dem Aufhetzen der Amerikaner gegeneinander, lag aus CNN-Sicht eine weitere Eskalation durchaus in der Luft – dass nach Trumps strikter Weigerung, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 anzuerkennen, nun ein plündernder Mob durch das Kapitol zieht, sei nun aber eine surreal erscheindende, verstörende Realität. Ganz in diesem Sinn titelte auch das Politportal zur „Belagerung des US-Kongresses“ ungläubig: „Passiert das wirklich?“
Vergleichbares habe es in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls nicht gegeben – als Beispiel verweisen Beobachter vielmehr auf den „Brand von Washington“ während des Britisch-Amerikanischen Kriegs im Jahr 1814. Damals besetzten britische Truppen Washington DC und steckten das damals noch im Bau befindliche Kapitol in Brand. Die BBC erinnerte zwar an weitere einschlägige Ereignisse wie einen Bombenanschlag im Jahr 1983, hob aber ebenfalls die rund 200 Jahre zurückliegenden Ereignisse hervor.
So wie die Zeitung „Washington Post“ und der TV-Sender ABC verweisen US-Medien dann auch auf das für die Vereinigten Staaten traumatische Jahr 2001. Seit den Terroranschlägen von 9/11 hätten die Amerikaner ihr Land nicht mehr als so verwundbar empfunden wie jetzt – diesmal erfolge der Angriff aber aus dem Inneren, wie ABC hier erwähnt.
Suche nach Fehlern
Die historische Dimension der Ereignisse vom 6. Jänner 2021 steht außer Frage – Gegenstand erst anlaufender Debatten ist allerdings nicht nur die Frage, welche Folgen der Sturm auf das Kapitol für die USA noch hat, sondern wie es überhaupt dazu kommen konnte. Sicherheitsexperten orten fatale Fehleinschätzungen und Fehler bei der Vorbereitung für die auch von Trump propagierte Protestkundgebung „Rettet Amerika“ („Save America March“).
Während Großereignisse wie eine Vereidigung eines neuen Präsidenten von den zahlreichen Sicherheitsdiensten der USA minutiös und bis ins letzte Detail vorbereitet würden, habe es für die Großdemo, die während der Sitzung zu den Ergebnissen der Präsidentenwahl von Repräsentantenhaus und Senat stattfand, kaum Planungen mit Blick auf mögliche Bedrohungen gegeben, beklagten aktive und ehemalige Vertreter der Sicherheitskräfte in einer ersten Bilanz der beispiellosen Ereignisse.
Analyse von Andreas Pfeifer (ORF)
Andreas Pfeifer ist Leiter der ZIB-Außenpolitikredaktion und spricht über die Spaltung in den USA und die Erwartungen an Joe Biden.
Und das sei ungeachtet erkennbarer Warnzeichen geschehen, dass fanatische Anhänger Trumps – angestachelt durch dessen weiter unbewiesene Vorwürfe eines Wahlbetrugs – gewalttätig werden könnten. Trump hatte in zahllosen Tweets die Sitzung des Kongresses als letzte Möglichkeit für seine Anhänger dargestellt, den Wahlausgang zu ändern. In einem Tweet hatte er sogar angekündigt, die Demonstration werde „wild“.
„Das ist Terrorismus“
Der Kongress soll eigentlich durch die US Capitol Police geschützt werden, eine rund 2.000 Mann starke Polizeitruppe. Diese versuchte zunächst allein, sich gegen die Demonstranten zu stellen, die auf das Gelände drängten. Aus noch völlig unklaren Gründen griffen andere Sicherheitskräfte des Bundes über Stunden nicht ein, als das Kongressgebäude von Demonstranten belagert wurde.
„Das hätte nie passieren dürfen“, wurde dazu ein hoher Sicherheitsbeamter von Reuters zitiert: „Wir haben alle vorher gewusst, wer nach Washington kommen wird.“ Man habe es nicht mehr mit Protest zu tun, sagte dazu der frühere Kapitol-Polizist Neil Trugman: „Da ist eine Linie überschritten worden. Das ist Terrorismus.“