Der Rapper Pa Salieu
www.pasalieu.com
BBC-Pop-Prognose

Harter Rap für harte Zeiten

Eine eher außergewöhnliche Wahl haben internationale Expertinnen und Experten bei der BBC-Kür zum musikalischen Shootingstar für heuer getroffen: Der Rapper Pa Salieu liegt in der Umfrage der Aktion „Sound of 2021“ an erster Stelle. Während in den vergangenen Jahren eher gefällige Soul-Stimmen die Umfrage anführten, steht der englische Rapper für harte Realitätsbeschreibung in seinen Songs – inklusive eigener bewegter Biografie.

„Er hat eine einzigartige Perspektive auf Großbritannien“, sagt Annie Mac von BBC Radio 1, eines von rund 160 Jurymitgliedern. „Seine Songs sind exquisit produziert, mit genug Zurückhaltung, damit Pas Stimme durchscheinen kann und den Raum hat, die Geschichten seines Lebens zu erzählen. Es sind Geschichten von Freundschaft und Familie, von Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus.“

Der nahe London geborene Salieu verbrachte einige Jahre in Gambia, ehe er in Coventry aufwuchs. Das Leben in der Industriestadt prägt auch seine Texte. Im Oktober 2019 wurde er angeschossen, überlebte einen Treffer in den Kopf. Von Gangs und Jugendkriminalität sei immer die Rede, sagt er gegenüber der BBC. Aber so einfach lasse sich das nicht abstempeln: „Ich wurde in den Kopf geschossen. Wo ich herkomme, werden jeden Tag Menschen grundlos getötet. Ich erwarte nicht, dass das irgendjemand versteht.“

„Stadt der Gewalt“

Auch mit der Polizei wurde er früh konfrontiert: „Die Polizei sagte immer, ich sei in einer Bande. Ich war nicht in einer Bande. Ich war nie in einer Bande. Weil ich früher versucht habe zu überleben? Weil ich mit einem Messer erwischt wurde, als ich 17 war?“ Die Abkürzung COV steht bei ihm nicht für das Coronavirus, sondern für „City of Violence“, „Stadt der Gewalt“. Er will nun eine Stimme für alle sein, die keine Stimme haben.

Auf Platz zwei der BBC-Prognose landete die Sängerin Holly Humberstone, Dritter wurde der Sänger und Rapper Berwyn. Auf Platz vier rangiert die exzentrische Soul-Sängerin Greentea Peng, fünfte wurde die erst 19-jährige Sarah Faith Griffiths alias Griff, die schon als neues Wunderkind des Pop gefeiert wird.

Auf der Longlist der zehn größten Talente finden sich bei der BBC auch noch Alfie Templeman und Girl In Red. Gemeinsam mit Humberstone, Peng und zahlreichen anderen zählen diese auch nach FM4-Einschätzung zu den Newcomern des Jahres – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Nicht immer eine selbsterfüllende Prophezeiung

Die seit 2003 durchgeführte BBC-Prognose brachte mit zunehmender Beachtung freilich auch selbst die gekürten Künstlerinnen und Künstler ins Rampenlicht. Mittlerweile versuchen viele Plattenlabels, ihre neuen und vielversprechenden Acts möglichst auf den Trendlisten wie jener der BBC unterzubringen. Dazu gehört, die Songs im Internet abzutesten, einen kleinen Hype zu erzeugen und dann bei den Kritikern zu landen. Mit dem ersten Erfolg wird die gesamte Marketingmaschine angeworfen, um den neuen Schwung zu nutzen.

Dennoch: In den vergangenen Jahren lag man oftmals arg daneben. Die Sängerin Celeste, Siegerin des Vorjahrs, muss auf ihren Durchbruch noch immer warten. Ähnlich ging es in den Jahren davor dem Rapper Octavian und den Sängerinnen Ray BLK und Sigrid.

In den Jahren zuvor lief es so halbgut: Jack Garratt und die Band Years & Years waren in den Jahren ihrer Kür 2016 und 2015 einigermaßen erfolgreich. Hinter Years & Years landete damals ein gewisser Stormzy auf Platz drei – mittlerweile ist der Grime-Rapper zumindest in Großbritannien ein Superstar.

Es gewinnt nicht immer der Erste

Eine Riesenkarriere machte Sam Smith, Gewinner von 2014. Das kalifornische Schwesterntrio Haim konnte die 2013 vergebenen Vorschusslorbeeren nicht ganz bestätigen. Auch der als Superstar 2012 vorhergesagte britische Soulmusiker Kiwanuka hat eine feine, aber überschaubare Fangemeinde. Dafür schaffte der auf Platz zwei gereihte US-R&B-Sänger Frank Ocean den gefeierten Durchbruch, und der auf Platz vier gereihte US-Produzent und DJ Skrillex ist auch in aller Munde. Im Jahr zuvor hatte die BBC-Umfrage der Sängerin Jessie J als britische Antwort auf Lady Gaga den großen Durchbruch vorhergesagt – der international nicht so ganz eintrat.

Erstaunlich treffsicher zu Beginn

Zuvor war man erstaunlich treffsicher gewesen: Als die BBC 2003 erstmals Musikexperten um eine Einschätzung bat, kürten diese den damals noch kaum bekannten US-Rapper 50 Cent zum kommenden Star. Sie sollten recht behalten – wie sehr oft in den darauffolgenden Jahren. Überhaupt schafften fast alle der zehn genannten Musiker und Bands aus diesem Jahr – von Interpol über die Yeah Yeah Yeahs bis zu Sean Paul – den Durchbruch.

2004 lag die britische Band Keane an der Spitze, die Gruppen Franz Ferdinand, Scissor Sisters und Razorlight blieben auf den Plätzen, sollten aber tatsächlich viel erfolgreicher werden als Keane. 2005 fanden sich The Bravery, Bloc Party und Kaiser Chiefs auf der BBC-Liste.

Volltreffer mit Adele 2008

2006 konnte Siegerin Corinne Bailey Rae nur in Großbritannien die Erwartungen erfüllen. Ähnlich ging es Ellie Goulding 2010. 2007 reihte die BBC Mika auf Platz eins, gefolgt von den Klaxons und Enter Shikari. Während von der Siegerin 2009, Little Boots, kaum etwas zu hören war, sollte eine andere Frau auf der Liste schon bald das Popuniversum beherrschen: Lady Gaga.

Die britische Sängerin Adele, die 2008 topgereiht war, war ebenfalls ein Volltreffer: Ihr Album „21“ war 2012 zum zweiten Mal in Folge die meistverkaufte Platte in den USA. Das war davor letztmals Michael Jackson mit „Thriller“ geglückt. Auch ihr Album „25“ brach etliche Rekorde.