Mitglieder der „Capitol police“
AP/J. Scott Applewhite
Sturm auf Kapitol

Behörde schlug Warnungen und Hilfe aus

Die Überwältigung der Sicherheitskräfte im US-Kapitol wirft große Fragen auf. Wie die Randalierer ohne nennenswerten Widerstand der Capitol Police in den Parlamentssitz eindringen konnten, ist noch nicht restlos geklärt. Das Bild, das sich bisher abzeichnet, ist kein Ruhmesblatt für die Behörde: Hilfsangebote aus Verteidigungs- und Justizministerium wurden abgelehnt, deutliche Warnungen ignoriert. Mittlerweile wurde zumindest ein prominenter Randalierer verhaftet.

Drei Tage vor dem Sturm auf das Kapitol am Mittwoch soll das Pentagon die Capitol Police, die für die Sicherheit des US-Kongresses zuständig ist, gefragt haben, ob zusätzliche Unterstützung nötig sei. Das meldete am Freitag die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Insider. Das Ministerium könne durch die Nationalgarde Unterstützung leisten. Nach dem Eindringen der Randalierer in das Gebäude habe zudem das Justizministerium Hilfe durch die Bundespolizei FBI angeboten. Die Capitol Police habe beide Angebote abgelehnt, hieß es in dem Bericht. Und selbst wurde auch keine Hilfe angefordert.

Man habe den Eindruck vermeiden wollen, dass die Nationalgarde gegen Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werde. Ein Protest im Juni vor dem Weißen Haus und die anschließende gewaltsame Reaktion der Sicherheitskräfte hatten für scharfe Kritik gesorgt. Die Strategie ging nicht auf, das Kapitol wurde regelrecht überrannt. Fünf Menschen starben, darunter ein Polizist. Trotz der vielen Warnungen vor Ausschreitungen im Vorfeld hatte man sich lediglich auf eine übliche Demonstration eingestellt.

Militär fehlt Überblick

Der hochrangige Armeeangehörige Ryan McCarthy sagte gegenüber US-Medien, über die Anzahl der Trump-Fans, die in Washington auf die Straße gingen und das Kapitol stürmten, könne keine genaue Angabe gemacht werden. Die Schätzungen reichten zwischen 2.000 und bis zu 80.000.

Nennenswerte Verstärkung wurde erst über eine Stunde, nachdem Randalierer die ersten Barrikaden überwunden hatten, mobilisiert. Unterstützung kam dann von der Metropolitan Police, verschiedenen Bundesbehörden, dem Secret Service und mehreren Polizeidienststellen. Dennoch dauerte es über vier Stunden, bis der Aufstand unter Kontrolle gebracht wurde.

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Erste Verhaftung

Das FBI fahndet nun nach den führenden Figuren des Aufstands und erstellte eine Liste von 41 Personen, die verwickelt sein sollen. Für die Ergreifung wurden bis zu 50.000 Dollar ausgesetzt. Mittlerweile wurde jener Mann festgenommen, der sich fotografieren ließ, wie er im Sessel der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, der Demokratin Nancy Pelosi, sitzt, den Fuß auf dem Schreibtisch. Ihm werden Eindringen in ein besonders gesichertes Gebäude, Hausfriedensbruch, Vandalismus und Diebstahl vorgeworfen, wie ein leitender Vertreter des Justizministeriums, Ken Kohl, am Freitag mitteilte.

Richard B. sei in Little Rock im Bundesstaat Arkansas festgenommen worden. Das Ministerium stellte zudem 14 weitere Anklagen nach Bundesrecht vor, sagte Kohl. Einem der Verdächtigen wird vorgeworfen, in seinem in der Nähe geparkten Auto elf Brandsätze und Waffen gehabt zu haben. Die Molotow-Cocktails seien besonders gefährlich gewesen, weil sie mit einer Art Schaumstoff gemischt gewesen seien, was eine Napalm-ähnliche Brandbombe ergebe, erklärte Kohl.

Gesucht werden auch jene, die offenbar Rohrbomben in Parteibüros in Washington platziert hatten. Zwei Sprengsätze, laut Polizei keine Attrappen, waren gefunden worden. Einer war beim Hauptquartier der Republikanischen Partei positioniert worden. Das FBI veröffentlichte ein Foto von einem maskierten Verdächtigen.

Zahlreiche Ankündigungen

In Sozialen Netzwerken hatte es über Wochen Drohungen mit und Warnungen vor Gewalt mit Blick auf die Sitzung des Kongresses gegeben. Auf Twitter fänden sich etwa seit Jahresbeginn über 1.400 Posts aus dem Umfeld von Anhängern der QAnon-Verschwörungstheorie, die sich auf Trumps Demonstration am 6. Jänner und mögliche Aufrufe zur Gewalt bezögen, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden. Zudem war im Vorfeld der Proteste der Anführer der rechtsradikalen „Proud Boys“ in Washington verhaftet worden. Auch er war für die Demonstration in die US-Hauptstadt gekommen.

Mitglieder der „Capitol police“ schauen durch ein zerschlagenes Fenster
Reuters/Ahmed Gaber
Die Capitol Police konnte am Mittwoch nur zuschauen

Die US Capitol Police ist rund 2.300 Personen Mann stark, überwacht das Areal von 16 Hektar und soll die 435 Abgeordneten, 100 Senatoren und ihre Mitarbeiter schützen. Im Vergleich dazu hat die Stadt Minneapolis ungefähr 840 uniformierte Beamte für rund 425.000 Einwohner. Es ist noch ungeklärt, wie viele Beamte am Mittwoch eingesetzt waren. Die Truppe versuchte zunächst allein, sich gegen die Randalierer zu stellen. Sie ist eigentlich darauf trainiert, Demonstranten bereits von den Marmortreppen des Kapitols fernzuhalten.

Polizeichef geht

Die Demokraten fordern nun Konsequenzen bei den Sicherheitskräften im Kongress. Der Sicherheitschef der Parlamentskammer, Mike Stenger, wird entlassen. Zudem nahm der Chef der Capitol Police, Steven Sund, den Hut. Er werde sein Amt in den nächsten Tagen aufgeben, hieß es aus Polizeikreisen.

„Das sprengt die Vorstellungskraft, es ist ein Versagen der Führung“, sagte Art Acevedo, Polizeichef von Houston, wo es mehrere große Proteste im vergangenen Jahr nach dem Tod von George Floyd gab. „Die Capitol Police muss es besser machen, und ich sehe nicht, wie es sonst gehen soll.“ Acevedo sagte, er habe an Veranstaltungen auf dem Gelände teilgenommen, um ermordete Polizisten zu ehren, die höhere Zäune und eine stärkere Sicherheitspräsenz hatten, als das, was auf den Videos vom Mittwoch zu sehen gewesen sei. Auch der Chef der Gewerkschaft der Capitol Police, Gus Papathanasiou, sprach von einem Versagen der Führung. Die Planungsfehler hätten die Beamten in Gefahr gebracht. „Wir hatten das Glück, dass nicht mehr von denen Schusswaffen oder Sprengstoff hatten“, so Papathanasiou in einer Erklärung.

Bidens Angelobung als Herausforderung

Nun ist die Aufmerksamkeit groß, was die Angelobung des gewählten US-Präsidenten Joe Biden am 20. Jänner betrifft. Nach den Randalen wurden auf dem Capitol-Gelände hohe schwarze Metallzäune errichtet. Fix ist zudem, dass rund 6.200 Mitglieder der Nationalgarde aus sechs Bundesstaaten die Capitol Police in Washington für die nächsten 30 Tage unterstützen sollen. Auch das Sicherheitskonzept könnte überarbeitet werden. Für die Sicherheit bei der Inauguration ist aber ohnehin eine Vielzahl von Institutionen zuständig. Bei der Angelobung Trump 2017 war ein Großaufgebot von Polizei, Militär und Geheimdiensten im Einsatz. Insgesamt wird die Zahl der Sicherheitsleute damals mit 28.000 angegeben.

Die feierliche Amtseinführung des Präsidenten findet traditionell an der Westseite des Kapitols auf den Stufen zum Parlament unter freiem Himmel statt. Heuer dürfte das Konzept aber wegen der Pandemie angepasst werden.