Christine Aschbacher
APA/Helmut Fohringer
Regierung

Plagiatsaffäre kostet Aschbacher den Job

Die Plagiatsaffäre rund um zwei Abschlussarbeiten hat Familien- und Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) ihren Job gekostet. Sie trat am Samstag, am Tag nach dem Aufkommen der Anschuldigungen, zurück. In einer Erklärung beteuerte die 37-Jährige ihre Unschuld und beklagte eine Vorverurteilung durch „politische Mitstreiter“ und Medien. Ihren Nachfolger will Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag vorstellen – die Opposition fordert Kompetenz.

In einer Erklärung verteidigte sich Aschbacher am Samstag: Die Vorwürfe, sie habe die Dissertation während der Amtszeit als Ministerin verfasst und vorsätzlich plagiiert, „sind Unterstellungen und weise ich zurück. Diese Arbeiten werden von den jeweiligen Instituten, wie bei jedem anderen auch, auf üblichem Weg geprüft. Ein solches faires Verfahren steht jedem in diesem Land zu. So wie es bereits anderen, etwa Thomas Drozda, Johannes Hahn oder Bogdan Roscic und anderen zugestanden wurde“, so Aschbacher.

Aschbacher betonte, ihre wissenschaftlichen Arbeiten „stets nach bestem Wissen und Gewissen verfasst“ zu haben, und kritisierte eine Vorverurteilung. Medien und politische Mitstreiter gestünden ihr aber eine solche Fairness nicht zu, sie werde „medial in unvorstellbarer Weise“ vorverurteilt. Davon sei auch ihre Familie betroffen, zum Schutz ebendieser lege sie ihr Amt zurück, so Aschbacher – Bundeskanzler Sebastian Kurz habe sie in einem Gespräch informiert.

Mann könnte Nachfolge antreten

Zuvor dankte Kurz Aschbacher für ihre Arbeit im abgelaufenen Jahr, er respektiere die Entscheidung, so der Kanzler. Aschbacher habe in einer nie da gewesenen Krisensituation tagtäglich mit vollstem Einsatz gearbeitet. Unter ihrer Führung seien das Modell der Kurzarbeit weiterentwickelt und Hunderttausende Arbeitsplätze gerettet worden.

Die Nachfolge könnte ein Mann antreten: „Ihr Nachfolger in der Funktion als Arbeitsminister wird am Montag präsentiert“, so Kurz in einer knappen Presseerklärung, die das Kanzleramt unmittelbar nach der Rücktrittserklärung verschickte.

Mehrere Namen kursieren – ein Favorit

Freilich machte umgehend die steirische ÖVP darauf aufmerksam, sich für die Steirerin Aschbacher eine Nachfolge aus der Steiermark zu erwarten. Tatsächlich kursieren schon einige Namen – als Favorit wird Helwig Aubauer gehandelt. Der Bereichsleiter für Arbeit und Soziales in der Industriellenvereinigung verhandelte 2017 bei den Koalitionsverhandlungen mit den Freiheitlichen aufseiten der ÖVP mit. Zuvor arbeitete Aubauer auch in den Kabinetten der beiden Ex-Minister Martin Bartenstein und Reinhold Mitterlehner (beide ÖVP).

Auch weitere Namen kursieren, etwa der Steirer Kurt Egger, Generalsekretär des Wirtschaftsbunds. Auch der steirische Landesrat Christopher Drexler wird ins Spiel gebracht. Laut Angaben des „Kurier“ soll Kurz seine Entscheidung bereits getroffen haben. Ob die Agenden der Familienministerin anstatt einer Neubesetzung vielleicht gar an eine der verbleibenden ÖVP-Ministerinnen geht, blieb am Samstag unbeantwortet.

Bürger (ORF) zu Aschbachers Rücktritt

ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger berichtet vom Ballhausplatz über den Rücktritt von Arbeitsministerin Christine Aschbacher. Die Nachfolge soll schon bald bekanntgegeben werden.

Eine schnelle Reaktion auf den Rücktritt kam am Samstag auch vom Koalitionspartner der ÖVP. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) nahm Aschbachers Rücktritt zur Kenntnis: „Ich respektiere den Schritt von Christine Aschbacher und bedanke mich für die gute Zusammenarbeit in den letzten Monaten“, schrieb Kogler am Samstagabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Aschbacher ist nach Grünen-Staatssekretärin Ulrike Lunacek das zweite Mitglied der türkis-grünen Regierung und die erste Ministerin, die – fast auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Angelobung am 7. Jänner 2020 – die Politik verlassen muss.

„Wissenschaftliche Katastrophe“

Erst am Donnerstag waren die Vorwürfe publikgeworden, Aschbacher habe in ihrer Diplomarbeit an der Fachhochschule (FH) Wr. Neustadt aus dem Jahr 2006 und ihrer Dissertation, abgegeben 2020, unsauber gearbeitet. Der Plagiatsjäger Stefan Weber prüfte beide Arbeiten. Zur Diplomarbeit schrieb Weber in seinem Blog, sie sei „eine einzige wissenschaftliche Katastrophe“ und ortete „Plagiate, falsche Zitate, mangelnde Deutschkenntnisse“.

Weber sah sich auch die Dissertation an, wie er gegenüber ORF.at sagte. Das Ergebnis: Mindestens 21 Prozent der Arbeit seien plagiiert. Demzufolge bestehe der Text zu 21 Prozent aus Textpassagen, die aus anderen Quellen übernommen wurden, ohne sie als Zitate auszuweisen. „Das ist ein sehr hoher Wert“, befand Weber, der zudem wegen der „systematischen Verschleierung“ indirekter Zitate von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgeht.

Es gebe auch etliche „Stilblüten“, die er so „noch nie“ gesehen haben will. Dass ein Übersetzungsprogramm dafür verantwortlich ist, glaubt er nicht. „Die Programme sind schon so gut, dass sie solche Kunstsätze nicht produzieren.“

„Annahmen sind wie Seepocken“

Die teilweise kaum noch verständlichen Sätze erwecken den Eindruck, als entstammten sie direkt einem automatischen Übersetzungsprogramm. Tatsächlich scheint das bisweilen der Fall zu sein. Puls24 berichtete etwa von einer Stelle, bei der augenscheinlich Teile eines „Forbes“-Artikels von Google Translate übersetzt und dann weitgehend unverändert in die Arbeit kopiert wurden. Darunter findet sich etwa die Feststellung: „Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsamen uns.“

Das habe dem „Standard“ zufolge wohl auch dazu geführt, „dass Aschbacher in ihrer Dissertation angibt, für ihre wissenschaftliche Arbeit mit ‚Hunderten von Teams‘ zusammengearbeitet zu haben. Der Autor des „Forbes“-Artikels heißt Robert Tucker und ist Chef einer Consulting-Firma in Kalifornien. Er schrieb: ‚In my work with hundreds of teams (…)‘. Aus ‚work‘ wurde ‚Dissertation‘“.

Dokument zur Vergebung der Dissertation inklusie eidesstattlicher Erklärung von Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP)
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Der für seine Plagiatsprüfungen bekannte Medienwissenschaftler Weber ortet auch in der Dissertation von Aschbacher Plagiate

Aschbacher scheint zudem in Publikationsdatenbanken als Koautorin mehrerer Aufsätze auf, gemeinsam mit ihrem Doktoratsbetreuer und wechselnden dritten Personen. Das Themenspektrum ist weit und reicht von einer Managertypologie über Wasserkraftnutzung in der Slowakei und dem Potenzial für Biomasse bis hin zum Phänomen „Brain Gain“. Die zwischen 2016 und 2020 veröffentlichten Schriften weisen ähnliche Merkmale auf wie Aschbachers Dissertation.

Folgen für akademische Grade möglich

Gegenüber der „Kleinen Zeitung“ hatte ein Sprecher von Aschbacher zuvor gesagt, dass die 2012 angemeldete Dissertation im Wesentlichen Ende 2019 fertiggestellt gewesen sei, also bevor Aschbacher Ministerin wurde. 2020 seien dann nur noch einige Formalitäten zu erledigen gewesen. Die Defensio fand seinen Angaben zufolge im August statt. Auf etwas über 130 Seiten beschäftigt sich die Politikerin darin mit dem „Entwurf eines Führungsstils für innovative Unternehmen“ – so der Titel der Arbeit, die im Onlinekatalog der Universität abrufbar ist.

Sollte nun die niederösterreichische Hochschule zu dem Schluss kommen, dass schon der Magistergrad durch das Vortäuschen wissenschaftlicher Leistungen erschlichen wurde, ist er wieder abzuerkennen. Eine Erschleichung ist erst dann anzunehmen, wenn einerseits Täuschungsabsicht vorliegt und andererseits „wesentliche Teile“ ohne entsprechenden Ausweis abgeschrieben wurden. Die Aberkennung des Magistergrads hätte dann auch für den PhD-Titel Aschbachers Folgen.

Slowakische Uni will Dissertation prüfen

Unklar ist freilich, ob ein allfälliges Plagiat überhaupt zu einer Aberkennung eines im Vorjahr in der Slowakei erlangten Doktortitels führen kann. In dem Nachbarland ist die nämlich erst seit heuer möglich. Die Gesetzesänderung erfolgte nach einer Reihe von Plagiatsaffären in der slowakischen Politik.

Die Slowakische Technische Universität (Slovenska technicka univerzita, STU) will die Dissertation jedenfalls gründlich überprüfen. Das berichtete die liberale slowakische Tageszeitung „Dennik N“ am Samstag (Onlineausgabe).

Opposition: Kompetenter Nachfolger notwendig

Die Reaktionen der Opposition kamen am Samstag schnell. Für den Bundesgeschäftsführer der SPÖ, Christian Deutsch, ist der Rücktritt „die logische Konsequenz“. „Die Kurz-Regierung schlittert von einem Chaos ins andere, zumal Aschbacher nach (Ulrike, Anm.) Lunacek bereits das zweite Regierungsmitglied ist, das zurückgetreten ist“.

Der Chef der FPÖ, Norbert Hofer, drückte Aschbacher für ihren Rücktritt seinen Respekt aus. „Dennoch ist eine Überprüfung ihrer wissenschaftlichen Arbeiten durch die zuständigen Hochschulen unumgänglich“, sagte Hofer in einer Mitteilung. NEOS-Generalsekretär Nikola Donig begrüßte Aschbachers Abgang als „notwendigen Schritt für die Integrität der Politik“. Bei der Schwere der Vorwürfe „ist dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit“, sgte Donig. Das Ministerium müsse nun mit einer kompetenten Persönlichkeit nachbesetzt werden.

Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) erklärte in seiner Stellungnahme, Aschbacher habe ihn „im Laufe des heutigen Tages über ihre persönliche Entscheidung informiert, die ich nicht erwartet, aber zu respektieren habe“. Er bedaure den Rücktritt der Ministerin, die sich in der Regierung „von Tag zu Tag gesteigert“ habe, aber der „Schutz ihrer Familie“ habe Vorrang.

Seltener Schritt in Österreich

ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann hatte am Vormittag noch die Prüfung durch die FH Wiener Neustadt abwarten wollen, wo Aschbacher den Studiengang Wirtschaftsberatende Berufe besuchte. Dass Qualifizierungsarbeiten von Politikerinnen und Politikern im Fokus medialer Aufmerksamkeit stehen, sei nicht neu. „Mir fällt spontan Guttenberg ein, den es ganz hart getroffen hat“, verwies Faßmann auf den deutschen CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, der nach der Aberkennung seines Doktortitels 2011 als Verteidigungsminister zurückgetreten war.

In Deutschland wurde auch Ex-Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) der Titel entzogen, ihr Rücktritt folgte. In Österreich ist ein solcher Schritt seltener. Hierzulande nahm zuletzt nur der ehemalige steirische Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann (ÖVP) wegen Plagiatsvorwürfen den Hut und wechselte in den Landtag und später in den Bundesrat. Buchmann war auch der einzige höherrangige Politiker, dem aufgrund eines Plagiats auch tatsächlich der akademische Titel entzogen wurde.

Beim bisher prominentesten Fall, dem damaligen Wissenschaftsminister und heutigen EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP), wurde nach einer Prüfung dagegen kein wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt. Seine Arbeit habe zwar nach aktuellen Standards „nicht den Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis“ entsprochen, hieß es 2011. Da seine Dissertation aber bereits 25 Jahre davor eingereicht wurde, sei nicht mehr zu verifizieren, ob sie damals den an der Universität Wien geltenden Standards genügt habe. Auch bei Ex-Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) und Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ/parteilos) wurde nach Prüfungen festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Titels nicht vorlagen.

ÖVP-Background

Aschbacher war von Kurz vor einem Jahr mit der Führung des Arbeits- und Familienministeriums betraut worden. Die 37-jährige Steirerin entstammt einer ÖVP-Familie: Ihr Vater war für die ÖVP Bürgermeister, ihre ältere Schwester ist Ortschefin in Wundschuh. Aschbacher kennt Kurz und seinen Büroleiter Bernhard Bonelli seit ihrer Zeit in der Schülerunion. Ihre Vita weist außerdem Stationen im Wirtschaftsressort im Kabinett des Ressortchefs Reinhold Mitterlehner sowie im Finanzressort unter Maria Fekter (beide ÖVP) auf. Über etliche Jahre war Aschbacher auch im Beratungsbusiness tätig. Vor ihrem Wechsel in die Regierung betrieb sie die Agentur Aschbacher Advisory.

Während des Pandemiejahres 2020 und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise blieb der Arbeitsministerin vor allem die undankbare Rolle, immer neue Rekordwerte an Arbeitslosen und Kurzarbeitern vermelden zu müssen. In die Schlagzeilen geriet Aschbacher aber auch mit einem Foto zum „Corona-Familienhärteausgleich“. Diesen zahlte die Ministerin Ende Mai persönlich und in bar an ein Kleinkind aus und ließ sich dabei von einem Kanzleramtsfotografen für Pressebilder ablichten.