„Zeitnah, bis spätestens Mitte der Woche“ soll, wie ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann am Sonntag in der ZIB2 sagte, geklärt sein, ob die Schulen wieder richtig geöffnet werden können. Da die Infektionszahlen in den Bundesländern sehr unterschiedlich seien, wäre neben einem österreichweiten Vorgehen auch eine regionale Lösung möglich, also eine Öffnung nur in Regionen mit niedriger Infektionszahl – beide Modelle hätten aber Vor- und Nachteile.
Schülerinnen und Schüler waren seit März nur 78 von 167 Tagen in der Schule – und sie beklagen das auch, wie die neue Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ unter 13.000 Schülerinnen und Schüler ergibt. Vor allem ältere Schülerinnen und Schüler gaben eine Verschlechterung ihrer Lernfreude an. Gestiegener Leistungsdruck, zu viele Stunden vor dem PC und die Ungewissheit, wann es zurück in den Präsenzunterricht geht, seien die Gründe dafür. „Das ist ein alarmierendes Ergebnis“, sagte eine der drei federführenden Autorinnen der Studie, Spiel, am Montag im Ö1-Morgenjournal.
Verzweiflung und Zukunftsängste
„Die Schülerinnen und Schüler (der Oberstufe, Anm.) sind ja schon seit 3. November zu Hause, und es ist für sie nicht klar, wann sie wieder in die Schule kommen.“ Eine Reihe von ihnen habe zudem Abschlussprüfungen wie die Matura vor sich, „und das macht sie schon verzweifelt“, so Spiel. „Das sind ja Menschen, die sich sehr viele Gedanken nicht nur über ihre eigene Zukunft – das ist auch die Phase, in der man seine Identität im Jugendalter entwickelt – machen, sondern auch um die Zukunft der gesamten Welt und Gesellschaft.“ Spiel nannte als Beispiel dafür die Klimaproteste von „Fridays for Future“. „Und jetzt erleben sie, dass für sie persönlich die Zukunft schwierig wird.“
Studie: Motivation im Homeschooling sinkt
Zu viele Stunden am Computer und Leistungsdruck machen laut einer Studie vor allem Schülerinnen und Schülern der Oberstufe im Homeschooling zu schaffen. Ihre Motivation sinkt.
Die Untersuchung ist die Nachfolgerin von drei Erhebungen über das Distance-Learning im Frühjahr. Für die nunmehr vierte Onlinebefragungswelle wählte das Forschungsteam der Fakultät für Psychologie um Spiel, Barbara Schober und Marko Lüftenegger nun den Zeitraum von 23. November bis 6. Dezember. Zu diesem Zeitpunkt waren die Oberstufen seit 3. November im Distance-Learning, die Pflichtschulen seit 16. November. Die Stichprobe für die Studie war nicht repräsentativ – so konnten etwa Schülerinnen und Schüler ohne entsprechende Geräteausstattung nicht teilnehmen. Es sei daher davon auszugehen, dass Risikogruppen unterschätzt werden, so die Autoren.
Ältere stärker betroffen als Jüngere
In Sachen Wohlbefinden und Lernfreude schnitten die Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler deutlich schlechter ab als ihre jüngeren Kollegen. Rund 70 Prozent der Pflichtschülerinnen und Pflichtschüler stimmten der Aussage „Ich fühle mich gut“ ganz oder ziemlich zu, an den Oberstufen waren es dagegen nur 46 Prozent. Umgekehrt stimmte das an den Pflichtschulen für 13 Prozent nicht oder eher nicht, an den Oberstufen dagegen für 28 Prozent.
Im Vergleich zum ersten Lockdown empfanden 44 Prozent der Pflichtschülerinnen und Pflichtschüler mehr oder etwas mehr Spaß am Lernen, aber nur 24 Prozent der Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschäler. Umgekehrt hatten 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler an den Pflichtschulen und 41 Prozent an den Oberstufenschulen etwas weniger oder weniger Freude (Rest gleich viel oder weiß nicht).
Ähnlich sieht es bei der Erledigung der Aufgaben aus: Im Vergleich zum Frühjahr gelangen knapp der Hälfte der Pflichtschülerinnen und Pflichtschüler die Aufgaben besser oder etwas besser, bei den Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschülern war es nur bei 31 Prozent der Fall. Umgekehrt kamen nur 13 Prozent der Jüngeren etwas schlechter oder schlechter mit den Aufgaben zurecht, während das bei 22 Prozent der Älteren der Fall war.
Schülerinnen und Schülern der Oberstufe geht es schlechter, obwohl sie laut Studie wesentlich mehr arbeiten. Über 60 Prozent gaben an, dass sie über acht Stunden pro Tag für die Schule aufwenden. Zu schaffen macht den Älteren, dass sie nicht wissen, wie es weitergeht, wie sie es schaffen sollen, schlechte Noten auszubessern, und dass sie zu wenig Freizeit haben.
„Wichtige Kompetenzen“ gelernt
Sie hätten aber auch etwas dazugelernt, sagte Spiel im Ö1-Morgenjournal und nannte Selbstorganisation, ihr Lernen zu strukturieren und die Nutzung der digitalen Medien. Auch Lehrpersonen hätten dazugelernt. Spiel plädierte dafür, die Leistungsbeurteilung nicht nur an Schularbeiten festzumachen. Sie schlägt eine Art Lernportfolio vor, in dem jede Schülerin und jeder Schüler einträgt, welche Aufgaben im Rahmen der Lehrstoffes, die auch die eigenen Interessen widerspiegeln, sie bzw. er mache.
Die Matura sollte man auf keinen Fall ausfallen lassen. „Sie ist so ein wichtiges Ritual bei uns“, sagte Spiel. Maturantinnen und Maturanten im Lockdown könnten es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. Daher muss man laut der Expertin überlegen, was man verlangen kann. Dabei solle nicht außer Acht gelassen werden, wo Schülerinnen und Schüler dazugelernt hätten: in der Selbstorganisation und im selbstständigen Strukturieren ihres Lernens. In ihrer Zukunft, beispielsweise bei Umschulungen und Weiterbildung, seien das „wichtige Kompetenzen“, so Spiel.
Nach Einschätzung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) sind vor allem sozial Benachteiligte bei Schulschließungen von „Kollateralschäden“ betroffen, und die „soziale Kluft“ werde durch Schulschließungen noch größer. Durch die entgangene Bildung sind nach ihrer Einschätzung auch langfristige Auswirkungen auf das zukünftige Bildungsniveau und das berufliche Fortkommen zu erwarten, was enormen volkswirtschaftlichen Schaden zur Folge habe.
Faßmann: „Testen ist die einzige Antwort“
Ursprünglich sollten die Schulen österreichweit am 18. Jänner wieder zum Klassenunterricht zurückkehren. Innerhalb der Bundesregierung wird aber noch beraten, ob nicht doch bis zum Ende des Lockdowns am 24. Jänner das Distance-Learning aufrecht bleibt. Wenn die Schulen öffnen, dann jedenfalls mit einem „Sicherheitsnetz“, so Faßmann: „Testen ist die einzige Antwort.“ Ab 18. Jänner würden die Schulen fünf Millionen kostenlose „Anterio-Nasal-Tests“ erhalten. Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal sollen einmal pro Woche auf freiwilliger Basis die Möglichkeit haben, diesen Test durchzuführen.
Die Teilnahme ist freiwillig. „Es ist ein großzügiges Angebot, um letztlich Klarheit zu verschaffen, haben Kinder eine Infektion oder nicht“, so Faßmann in der ZIB2. Volksschülerinnen und Volksschüler sollen die Testkits mit nach Hause nehmen und die Tests mit ihren Eltern durchführen. Die Teilnahme befreit nicht vom Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in der Schule. Kinder unter 14 Jahren brauchen eine Einverständniserklärung der Eltern – liegt diese nicht vor, bekommen sie auch keinen Test. „Es wird Eltern geben, die das ablehnen“, meinte Faßmann. Das sei auch möglich. „Insgesamt ist das aber eine Chance, die Schulen nicht nur zu öffnen, sondern auch offen zu halten.“
Faßmann über die Teststrategie an Schulen
Ein fixes Öffnungsdatum für Schulen könne noch nicht genannt werden, doch mit der Öffnung soll jedenfalls ein „Sicherheitsnetz“ in Form freiwilliger Selbsttests installiert werden, so Bildungsminister Faßmann in der ZIB2.
Wochenstunden nicht erhöhen
Skeptisch zeigte sich Faßmann zum Vorschlag des niederösterreichischen Bildungsdirektors Johann Heuras, temporär in den kommenden Jahren die Zahl der Wochenstunden zu erhöhen, um Unterrichtsausfälle durch die Coronavirus-Krise zu kompensieren. Man werde stattdessen wie bereits angekündigt die Zahl der Förderstunden bereits in diesem Schuljahr erhöhen. Dadurch würden zusätzliche Stunden in das System „hineingespielt“, „aber in einer anderen Organisationsform, als es der Bildungsdirektor gemeint hat“.