Zwei Personen in Schutzanzügen an einer Abfüllanlage des „Serum Institute of India“ in Pune (Indien)
Reuters/Francis Mascarenhas
Indien

Die Fabrik des „Impfstoffprinzen“

Während in einigen Ländern bereits Menschen gegen Covid-19 geimpft werden, steht Indien derzeit in den Startlöchern. Am Samstag soll die Impfkampagne im Land mit mehr als einer Milliarde Einwohnern und Einwohnerinnen starten. Unterstützung wird vom größten Impfstoffhersteller der Welt erwartet – der soll aber auch andere Länder beliefern.

Seit Beginn der Krise im vergangenen Jahr stand Indien im Fokus der medialen Berichterstattung. Nicht nur wegen der rasant steigenden Infektionszahlen im südasiatischen Land. Indien zählt zu den größten Herstellern von Medikamenten und Impfstoffen weltweit. Das Land beheimatet ein halbes Dutzend großer und eine Vielzahl kleinerer Impfstoffhersteller, die zum Beispiel Impfdosen gegen Polio und Mumps produzieren – und zuletzt eben auch gegen Covid-19, jene Krankheit, die durch das Coronavirus ausgelöst wird.

Im Wesentlichen dreht sich allerdings alles um das weltweit bekannte Serum Institute of India. Laut BBC ist das Unternehmen nach Anzahl der produzierten und verkaufen Dosen der größte Impfstoffhersteller überhaupt. Bis zu 1,5 Milliarden Dosen können nach Angaben des Instituts jährlich hergestellt werden, großteils in der Produktionsstätte in der indischen Stadt Pune. Das Unternehmen wurde vor mehr als 50 Jahren von Cyrus Poonawalla gegründet, „Indiens Impfstoffkönig“. Seit 2011 leitet dessen Sohn, Adar, das Geschäft.

Vom Pferdezüchter zum „Impfstoffkönig“

Das Unternehmen profitierte von der seit Anfang 2020 grassierenden Pandemie. Laut Medienberichten soll allein das Vermögen der Familie Pooonawalla deutlich in die Höhe geschnellt sein. Der Konzern schloss nämlich einen Deal mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca, der im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Universität Oxford einen Covid-19-Impfstoff entwickelte. Eine Milliarde Dosen will man herstellen und anschließend in einkommensschwache Länder liefern. So lautet jedenfalls der Plan.

Impfstoffhersteller Cyrus Poonawalla (Serum Institute of India)
Reuters/Bazuki Muhammad
Der mittlerweile 79-jährige Cyrus Poonawalla hat sich aus dem Impfstoffgeschäft zurückgezogen (Foto aus 2011)

Die Geschichte des Impfstoffherstellers ist die Geschichte von Cyrus Poonawalla, der laut „Forbes“ ein Nettovermögen in Höhe von 11,5 Milliarden US-Dollar (9,5 Mrd. Euro) besitzt. Der heute 79-jährige Poonawalla stammt aus einer Familie, die mit Pferdezucht und Pferderennen Geld gemacht hat. Poonawalla soll sich aber von dieser Branche abgewendet haben, und versuchte sein Glück mit dem Bau von Autos. Doch das Geschäft ging nicht auf, weshalb er schließlich ein Produkt für die Masse herstellte: Impfstoffe.

Zunächst soll Poonawalla alte Pferde, die nicht mehr für Rennen geeignet waren, an Pharmafirmen verkauft haben. Aus dem Pferdeblut wurde das Serum gewonnen, aus dem Serum der Impfstoff entwickelt. Weil Poonawalla der Meinung war, dass er Indien auch allein mit Impfstoffen versorgen kann, gründete er 1966 das Serum-Institut, mit dem auch Microsoft-Gründer Bill Gates seit Jahren kooperiert, um Impfstoffe auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.

Exportieren – aber zuerst kommt Indien dran

Nach mehr als 50 Jahren an der Spitze des Unternehmens ist Cyrus Poonawalla inzwischen in den Hintergrund getreten. Als „Impfstoffprinz“ kümmert sich Sohn Adar um das Geschäft, und ist mittlerweile Dauergast in Nachrichtensendungen, wie die „Wiener Zeitung“ schreibt, die 2019 selbst das Werk besucht hatte. Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie ging Adar laut Boerse-online.de ein finanzielles Risiko ein, weil er bis Ende des Jahres 2020 bereits Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs produzieren ließ, obwohl die Genehmigung für das Produkt in weiten Teilen der Welt noch aussteht. Bisher wurde der Impfstoff in Großbritannien und in Indien zugelassen.

Während auf der Insel bereits die Nadel gesetzt wird, will Indien am 16. Jänner mit der großen Kampagne starten. Zuerst werden 30 Millionen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen geimpft, danach rund 270 Millionen Menschen, die älter als 50 Jahre alt sind, sowie Bürger und Bürgerinnen unter 50 mit Vorerkrankungen. Die dazu benötigen 600 Millionen Impfdosen sollen innerhalb von sieben Monaten verimpft werden. Am Dienstag sollen laut Angaben der Regierung 5,65 Millionen Impfdosen verteilt worden sein. 50 Millionen hat das Serum-Institut aktuell auf Lager.

Fläschchen mit dem Covid-Impfstoff von AstraZeneca
Reuters/Francis Mascarenhas
Das Serum-Institut hat mit AstraZeneca einen Deal über eine Milliarde Dosen abgeschlossen

Das Impfstoffunternehmen soll zwischen 60 und 70 Millionen Dosen pro Monat herstellen können, berichtete zuletzt BBC. In anderen Medien ist von 100 Millionen Dosen die Rede. Um die Produktion auf diesem Niveau halten zu können, wurden rund 300 Millionen US-Dollar in neue Anlagen investiert. Für Indien und andere Märkte läuft der vergleichsweise günstigere AstraZeneca-Impfstoff unter dem Namen Covishield. Nebenbei durchquert auch noch der in Indien entwickelte Impfstoff Covaxin der Firma Bharat Biotech die Produktionshallen.

Alles schaut nach Afrika

Das Serum-Institut ist auch Teil des weltweiten COVAX-Programms, das auch von der UNO-Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestützt wird. Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die im Wettlauf um den Impfstoffvorrat verlieren, werden über Vereinbarungen bestimmte Mengen an Impfstoffdosen zur Verfügung gestellt. Im Herbst erklärte sich das Serum-Institut bereit, 200 Millionen Dosen (drei US-Dollar pro Stück) an das Programm zu liefern. Eine Option für weitere 900 Millionen Dosen wurde vereinbart – von insgesamt zwei Milliarden, die das COVAX-Programm bereits aufstellen konnte.

Freilich hat das Unternehmen auch bilaterale Abkommen mit anderen Ländern. Derzeit soll es Verträge mit Bangladesch, Saudi-Arabien und Myanmar geben. Unklar ist, um welche Mengen es sich handelt und wann diese geliefert werden. Zuletzt wurde auch berichtet, dass Nepal, Brasilien und Sri Lanka daran interessiert sind, in Indien hergestellte Impfstoffe zu erhalten. Laut BBC steht für Poonawalla und das Serum-Institut Indien an erster Stelle. Sobald der „anfängliche Bedarf“ gedeckt ist, könne der Impfstoff von AstraZeneca oder von Bharat Biotech in andere Länder exportiert werden.

Impfstoffhersteller Adar Poonawalla (Serum Institute of India)
Reuters/Francis Mascarenhas
Poonawalla will den Impfstoff nicht nur an Staaten verkaufen, sondern auch auf dem Privatmarkt anbieten

Vor allem afrikanische Länder dürften vom Serum-Institut abhängig sein. Der Kontinent scheint bisher nicht zu den Lieferprioritäten der großen Pharmafirmen zu gehören, die die wichtigsten Covid-19-Impfstoffe herstellen. Pfizer und Biontech stellen Afrika 50 Millionen Dosen ab März bis Ende dieses Jahres in Aussicht, Moderna und AstraZeneca haben kein Angebot abgegeben. Laut dem Nachrichtenportal Quartz verwies AstraZeneca explizit auf das Serum-Institut, mit dem die afrikanischen Regierungen verhandeln sollen. Einige tun es schon – als Alternative und Notnagel zum COVAX-Programm, falls die Lieferung ausbleibt.

Regierung widerspricht Konzern

Laut dem „Wall Street Journal“ besteht etwa bereits eine Vereinbarung zwischen der Regierung in Südafrika und dem Serum-Institut. Südafrika soll insgesamt 1,5 Millionen Dosen bis Februar erhalten. Die Impfungen würden ohne eine lokale Genehmigung des Impfstoffs durchgeführt. Wie hoch der Preis für die Dosen ist, steht nicht fest. Poonawalla hatte im vergangenen November gesagt, dass der Impfstoff für die indische Regierung etwa 3,40 US-Dollar pro Dosis kosten würde. Ob diese Preispolitik auch für ausländische Regierungen – abseits von COVAX – gilt, ist unklar.

Vor gut zwei Wochen stand die Frage im Raum, ob der weltgrößte Impfstoffhersteller überhaupt exportieren kann. Serum-Institut-Geschäftsführer Poonawalla sagte, dass die Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs in Indien ihm nicht erlaube, das Vakzin in andere Länder zu liefern. Die Reaktion der indischen Regierung, die nach eigenen Angaben die Welt mit Medikamenten beliefern will, ließ nicht lange auf sich warten. „Die Regierung hat keine solche Maßnahme ergriffen, und das sollte absolut klar sein“, sagte der zuständige Gesundheitsminister.

Allerdings dürfte sich mit dem geplanten Verkauf auf dem Privatmarkt etwas getan haben. Denn noch Wochen vor der eigentlichen Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs in Indien geriet das Serum-Institut ins Kreuzfeuer der Kritik. Poonawalla wollte schnellstmöglich den privaten Markt mit dem Impfstoff versorgen. Dieses Geschäft dürfte nun erst mit März starten, weil zuerst die indische Regierung und COVAX bedient werden sollen. Medienberichten zufolge soll der Preis für Private allerdings doppelt bis dreimal so hoch sein wie für den Staat.