Der neue Arbeitsminister Martin Kocher im ZIB2-Studio
ORF
Arbeitsminister Kocher

„Werde mich nicht einschränken lassen“

Wenige Stunden nach seiner Angelobung hat der neue ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher Montagabend in der ZIB2 Einblicke in seinen Wechsel vom Experten zum Regierungsmitglied gegeben. Der Volkswirt war zuletzt IHS-Chef. Gerade beim Arbeitsmarkt sei aber Expertise gut, denn da „müssen alle an einem Strang ziehen“, so Kocher: „Das Ziel, langfristig Vollbeschäftigung zu erreichen, ist für alle gleich.“

Kocher sieht sich als neutraler Experte: „Aber ich wäre nicht auf einem Ticket der ÖVP, wenn ich nicht mit vielen Dingen übereinstimmen würde.“ Als er am Samstagabend von Kanzler Sebastian Kurz nach dem Rücktritt von Christine Aschbacher (ÖVP) gefragt wurde, ob er Arbeitsminister werden wolle, habe er sich entschieden, dass er nun Verantwortung übernehmen müsse. Zudem sei er mit Kurz in der Analyse einig gewesen: „Deshalb glaube ich, dass wir gute Lösungen finden.“

Von ihm werde nun erwartet, den Stand der Wissenschaft einzubringen. Er werde auch nicht immer die Parteilinie der ÖVP vertreten können und müssen. Das sei auch nicht notwendig. In den Bereichen Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Finanzen werde sein „Input offen sein“: „Ich werde mich nicht einschränken lassen.“ Zu Themen außerhalb seines Aufgabengebiets, etwa zur Flüchtlingspolitik der Regierung, wolle er sich derzeit nicht äußern: „Ich bitte um Verständnis, dass ich mich am Anfang auf den Arbeitsmarkt konzentriere.“

Minister Kocher über seine Pläne für den Arbeitsmarkt

Der neue Arbeitsminister Martin Kocher über seine Motivation, das Amt anzunehmen, seine politische Einstellung, die Coronavirus-Politik der Regierung und seine Konzepte für den Arbeitsmarkt.

Der bisherige IHS-Chef übernahm das Amt nur zwei Tage nach dem Rücktritt seiner Vorgängerin Aschbacher. Sie war über eine Plagiatsaffäre gestolpert. Sowohl bei ihrer Diplomarbeit an der Fachhochschule Wiener Neustadt als auch bei ihrer Dissertation an der Slowakischen Technischen Universität (Slovenska technicka univerzita, STU) in Bratislava soll es Ungereimtheiten gegeben haben.

„Vom Spielfeldrand auf das Spielfeld“

Im Ö1-Morgenjournal sagte Kocher: „Ich war am Spielfeldrand, dann kam das Angebot, aufs Spielfeld zu kommen, das konnte ich nicht ablehnen. Und ich werde mich mit vollem Einsatz dafür einsetzen, dass wir die Arbeitsmarktfolgen der Pandemie abschwächen und nach der Pandemie wieder Beschäftigung schaffen.“ Er habe nicht lange überlegt, um etwas in dieser schwierigen Situation beizutragen – mehr beizutragen denn als Experte.

„Wenn ich das Koalitionsabkommen nicht sinnvoll gefunden hätte, hätte ich nicht zugesagt“, sagte Kocher. Auf die Frage, ob er auch unter Türkis-Blau zugesagt hätte, antwortete der neue Minister, dass ihm die jetzige Situation lieber sei. Wie lange er Politiker bleiben will, darüber mache er sich nicht viele Gedanken.

„Auf alle Gruppen schauen“

Kocher tritt sein Amt nun mitten in der schlimmsten Arbeitsmarktkrise seit 1945 an. Für umso wichtiger hält er in den nächsten Wochen und Monaten die Akutbekämpfung. Unmittelbar nach seiner Angelobung sagte Kocher, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen entscheidend sei – dabei wolle er „auf alle Gruppen schauen“. Es gebe Gruppen, die stärker von der Krise betroffen sind, und solche, die weniger betroffen sind, so der Minister.

Man werde die Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der derzeitigen Akutphase so gut es geht gestalten – aber auch nach Ende des Lockdowns und der derzeit aufrechten Schließungen (etwa in der Gastronomie, im Handel und im Tourismus, Anm.), „um Menschen in Beschäftigung zu bringen“.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Kocher (r.) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Angelobung am Montag

Konzept für Kurzarbeit im Februar

Ende Dezember waren rund 521.000 Menschen ohne Job. Das ist ein Plus von knapp 28 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Der Höchststand seit 1945 war im vergangenen April mit 588.000 Jobsuchenden erreicht worden. Besonders stark hat die Krise die Arbeitslosenzahlen im Tourismus und Verkehrswesen in die Höhe schießen lassen. Zusätzlich waren Ende Dezember über 417.000 Personen in Kurzarbeit.

In der ZIB2 kündigte er an, Anfang Februar ein Konzept für die Kurzarbeit vorzustellen: "Wir müssen aus der Kurzarbeit raus, wenn die Situation es zulässt, nicht wenn noch manche Bereiche von behördlichen Schließungen betroffen sind. Ende März läuft das CoV-bedingte Kurzarbeitsprogramm aus. Die Sozialpartner drängen auf eine Verlängerung. Anfang Jänner hatte Kochers Vorgängerin Aschbacher noch eine Weiterführung der Kurzarbeit über März hinaus in Aussicht gestellt und Gespräche mit den Sozialpartnern für Februar angekündigt.

Zumindest im vergangenen Sommer nach Ende des ersten Lockdowns hatte Kocher noch vor womöglich zu hohen Anreizen bei der Kurzarbeit gewarnt. Damals wünschte er sich eine Differenzierung bei der Kurzarbeit zwischen Industrie und Dienstleistungen wie Gastronomie, Tourismus oder Event-Sektor.

Homeoffice-Regelung „priorisieren“

Auch die für März angekündigte Homeoffice-Regelung will Kocher „auf jeden Fall priorisieren“. Eine bis Weihnachten avisierte Einigung mit den Sozialpartnern unter Aschbacher kam bisher nicht zustande. Die Verhandlungen seien im Laufen, hieß es bei WKÖ. Der ÖGB bestätigt das und betont darüber hinaus, dass das Thema für die Gewerkschaft sehr weit oben auf der Agenda stehe.

Betroffen sind jedenfalls sehr viele Menschen: Laut Statistik Austria waren im dritten Quartal – also noch vor dem zweiten Lockdown – über 700.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice, knapp 20 Prozent der Beschäftigten.

Gegen kurzfristig höheres Arbeitslosengeld

Eine weitere Herausforderung für Kocher ist das Zügeln der drückend hohen Langzeitarbeitslosigkeit – bundesweit sind viele Arbeitslose sehr lange auf Jobsuche: Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen lag Ende Dezember bei über 137.000, ein Plus von 37,3 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Eine weitere Steigerung ist zu erwarten, so geht das sozialliberale Momentum Institut für 2021 von einem weiteren „kontinuierlichen Anstieg“ aus.

Auch der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria sieht das so – und warnt: Betroffene würden ständig an Qualifikation verlieren, weil es den Kontakt mit der Arbeitsmarktsituation nicht gebe.

Wunschliste der Sozialpartner

Zur Lösung der prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt plädiert Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP) für das Schaffen von Anreizen – man müsse auf dem Arbeitsmarkt „Angebot und Nachfrage zusammenzuführen“. Auch verwies Mahrer auf den Fachkräftemangel, den es sogar jetzt – in Zeiten der Krise – gebe, in diesem Zusammenhang sprach er von „Licht im Schatten“ auf dem Arbeitsmarkt. Drum müsse man die Menschen zu den Stellen bringen, wo es in Zukunft auch eine Nachfrage geben werde.

Arbeitsmarkt als größte Herausforderung für Minister Kocher

Am Montag wurde der 47-jährige Wirtschaftsforscher Martin Kocher als neuer Arbeitsminister angelobt. Und wie Kocher bereits einige Tage zuvor angemerkt hat, wird der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten „das schwierigste Problem“ für die Regierung werden.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian brachte das aus seiner Sicht „wichtigste Betätigungsfeld für den Minister“ auf den Punkt: „Wir haben 502.000 Arbeitslose und 50.000 offene Stellen“, so Katzian im Ö1-Morgenjournal. Es müssten Wege gefunden werden, den Arbeitslosen zu helfen – auch etwa mittels Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Auch sei die Qualifizierung weiterzuentwickeln, um das Finden von Arbeitsplätzen zu erleichtern.

Absage für höheres Arbeitslosengeld

Einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent erteilte Kocher in der ZIB2 aber eine Absage. Er habe sich schon als Experte dagegen ausgesprochen. Es gehe jetzt darum, die Kurzarbeit zu nützen: „Eine kurzfristige Erhöhung des Arbeitslosengeldes wäre schwer zu argumentieren.“

Für Kocher herausfordernd wird jedenfalls die Umsetzung der CoV-Joboffensive. Die mit 700 Mio. Euro dotierte Arbeitsmarktinitiative der Regierung soll via AMS Aus- und Weiterbildungen für über 100.000 Arbeitslose bringen. Etwas weniger als zwei Drittel der Mittel, nämlich 428 Mio. Euro, sind für 2021 vorgesehen.

Die Maßnahme soll Menschen ohne Job für den erwarteten Konjunkturaufschwung heuer und im kommenden Jahr qualifizieren. Der Qualifizierungsfokus liegt auf Digitalisierung, Pflege und Gesundheit, nachhaltigen Jobs und dem Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).

Insolvenzwelle erwartet

Dabei dürfte heuer noch einiges an Ungemach drohen: Für spätestens ab dem zweiten Halbjahr erwartet der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) eine Insolvenzwelle, sowohl bei Firmen als auch bei Privaten. Aufgrund des „extremen Rückstaus an Insolvenzen und der Zunahme der verschuldeten Haushalte infolge des Verlusts Tausender Arbeitsplätze steht fest, dass auf Österreich eine Insolvenzwelle zukommen wird“. Auch Kocher rechnet mit einem „Nachholeffekt bei Insolvenzen“: „Das müssen wir abfedern.“

Massiver Anstieg von Insolvenzen erwartet

Für viele Betriebe in Österreich wird das Jahr 2021 ein Jahr der Entscheidung. Wenn die CoV-Finanzhilfen auslaufen, wird sich zeigen, wer nach den teilweise massiven Umsatzausfällen noch weiterbestehen kann.

Dank der staatlichen CoV-Hilfen war die Zahl der Insolvenzen im Vorjahr trotz Wirtschaftskrise gesunken. Nach dem Wegfall der staatlichen Maßnahmen ab der zweiten Jahreshälfte 2021 erwartet der AKV bei den Firmenpleiten einen Anstieg um bis zu 15 Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 2019, sollte es nicht zu einer Verlängerung der Stundungen über den 31. März 2021 hinaus kommen.