Migrantenboot in der Aegäis
AP/Joan Mateu
Mobbing und illegale Aktionen

EU-Behörde OLAF ermittelt gegen Frontex

Die Führung der EU-Grenzschutzagentur Frontex gerät wegen psychischer Misshandlung des Personals und einseitiger Postenvergabe unter Druck. Medienberichten zufolge ermittelt die EU-Behörde für Betrugsbekämpfung OLAF. Frontex wird außerdem die Mitwirkung an illegalen Rückschiebungen von Geflüchteten – auch Pushbacks genannt – angelastet.

Das Frontex-Hauptquartier in Warschau wurde nach Angaben des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ Anfang Dezember durchsucht, darunter angeblich auch das Büro von Frontex-Chef Fabrice Leggeri und seines engsten Mitarbeiters selbst. „Die Sache geht bis ganz nach oben“, zitierte der „Spiegel“ eine Person, die mit dem Vorgang vertraut ist. Die Ermittlungen dauerten noch an, Einzelheiten seien noch nicht bekannt.

Nach Insiderinformationen dem ORF gegenüber geht es bei der Untersuchung vor allem um „psychische Demütigung von Mitarbeitern“ durch den Chef und seine Umgebung. Auch der Vorwurf, Franzosen hätten bessere Chancen gehabt als Bürger anderer Länder, werde geprüft. Die Ermittler untersuchen Vorwürfe von „Belästigung und Fehlverhalten auf höchster Ebene“, die dazu geführt haben sollen, dass einige hochrangige Beamte die Agentur in den vergangenen Monaten verlassen haben, berichtete auch das Nachrichtenportal „Politico“, das sich auf vier anonyme EU-Beamte beruft.

Schwere Vorwürfe gegen Frontex-Führung

Die EU-Korruptionsbekämpfung hat im Hauptquartier der EU-Grenzschutzagentur Frontex Durchsuchungen durchgeführt. Der Führung der Agentur werden unter anderem Mobbing und die Mitwirkung an illegalen Pushbacks vorgeworfen.

Vorwurf illegaler Pushbacks

„OLAF kann bestätigen, dass eine Untersuchung in Bezug auf Frontex eingeleitet wurde“, teilte die Pressestelle der Betrugsbekämpfungsagentur laut „Politico“ in einer E-Mail mit. Dass OLAF eine Untersuchung durchführe, bedeute aber nicht, dass beteiligte Personen oder Organisationen notwendigerweise ein Fehlverhalten oder einen Betrug begangen haben. Es gelte die Unschuldsvermutung, sagte laut „Spiegel“ auch eine OLAF-Sprecherin.

Frontex Schiff und Flüchtlingsboot in der Aegäis
APA/AFP/Aris Messinis
Ein Flüchtlingsboot vor der griechischen Insel Lesbos vor einem Frontex-Patrouillenboot

Außerdem werde untersucht, Frontex habe an illegalen Rückweisungen von Geflüchteten an der griechisch-türkischen Grenze in der Ägäis mitgewirkt. Zurückweisungen auf See verstoßen gegen griechisches und internationales Recht. Geflüchtete haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Grundsätzliche Aufgabe von OLAF ist die Bekämpfung von Korruption und Betrug in den EU-Behörden. Das Amt untersucht aber auch mutmaßliches Fehlverhalten von EU-Beamten und anderen Mitarbeitern der EU-Institutionen.

Frontex-Schiffe in der Nähe

Im Oktober hatten der „Spiegel“, das ARD-Magazin „Report Mainz“ und der japanische Fernsehsender TV Asahi berichtet, dass griechische Grenzschützer regelmäßig Schlauchboote mit Geflüchteten an Bord in Richtung Türkei zurückgetrieben hätten. Die türkische Küstenwache habe die Menschen dann in türkischen Gewässern retten müssen.

Den Berichten zufolge waren seit April 2020 bei mehreren dieser Pushback-Aktionen Frontex-Beamte in der Nähe. Teils gibt es zu den Vorfällen Videos. In einem Fall sollen laut „Spiegel“ auch deutsche Soldaten beteiligt gewesen sein. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson forderte bereits mehrfach Aufklärung.

Die Fregatte „Brandenburg“ läuft aus dem Marinehafen aus
APA/dpa/Sina Schuldt
Die deutsche Fregatte „Brandenburg“ überwacht in Zusammenarbeit mit Frontex die türkische und griechische Küste

Frontex unterstützt Griechenland mit fast 600 Beamten. Sie helfen im Rahmen der Frontex-Operation „Poseidon“ bei der Überwachung der Seegrenzen zur Türkei und bei der Identifizierung und Registrierung ankommender Geflüchteter. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch warfen Athen schon mehrfach vor, illegale Zurückweisungen zu erlauben. Athen bestritt das stets.

Leggeri bestreitet Verwicklung

Auch Leggeri wies die Vorwürfe zurück. Seinen Angaben zufolge hat eine interne Untersuchung kein Fehlverhalten der EU-Grenzschützer festgestellt. Leggeri bestätigte zwar, dass die in den Berichten genannten Schiffe an den fraglichen Tagen tatsächlich im Einsatz waren. „Aber es gab keine Beweise, dass sie an Pushback-Aktivitäten beteiligt waren“, so Leggeri im Innenausschuss des EU-Parlaments Anfang des Jahres.

Der Frontex-Direktor wiederholte zudem, dass die Befehlsgewalt bei den fraglichen Einsätzen jeweils bei den griechischen Behörden gelegen habe. Es habe auch zwei weitere Situationen gegeben, in denen mögliche Menschenrechtsverletzungen vermutet wurden. „In diesen beiden Fälle habe ich den griechischen Minister und den Befehlsführer der griechischen Küstenwache gebeten zu ermitteln“, sagte Leggeri.

„Komplizierte“ Situation

Er verwies auch auf die „komplizierte“ Situation im östlichen Mittelmeer aufgrund von Grenzstreitigkeiten zwischen Griechenland und der Türkei. „Nach Angaben der Türkei liegen Lesbos und alle Inseln, auf denen wir stationiert sind, vollständig in der Such-und-Rettungs-Zone der Türkei.“ Nach griechischen Angaben seien es griechische Gewässer.

Er sei sich bewusst, dass es im Bezug auf Menschenrechte „Unzulänglichkeiten“ gebe, sagte Leggeri weiter. Er begrüße deshalb Pläne, die Grenzschutzeinsätze an den EU-Außengrenzen unabhängig überwachen zu lassen.

„Viele Fragen offen“

Den EU-Abgeordneten reichten die Erklärungen nicht aus. Leggeri habe die Vorwürfe nicht entkräften können. Es gebe zu viele dieser Verdachtsfälle, sagte etwa die niederländische Liberale Sophie in ’t Veldt. „Wir fragen uns, ob wir Ihnen vertrauen können.“ Die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel sagte: „Es bleiben zu viele Fragen offen“, und forderte Leggeris Rücktritt. Die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath verwies auf das Mandat, das Frontex zur Seenotrettung verpflichte, und verlangte ebenfalls ein lückenlose Aufklärung.